Verärgert

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Abigail

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als ich ein mir bekanntes Motorengeräusch sich nähern hörte. Da! Endlich kam John in seinem roten Mercedes Cabrio an und stieg aus.

"Na, ihr beiden Süßen", begrüßte er uns von Weitem und zeigte seinen strahlend weißen Zähne.

"John, du Idiot, lange nicht gesehen!", rief ich ihm freudig entgegen.

Seine Haare hatte er mal wieder gekonnt durcheinander gewuschelt und durch das fahle Licht der Laterne kamen seine hohen Wangenknochen wunderbar zum Vorschein. Er war schon hübsch, und wenn man seine nervigen Marotten akzeptierte, dann konnte man ihn sogar als recht guten Freund haben. Mit dem man unter anderem auch ohne Gewissensbisse eine aufregende Nacht haben konnte. Freundschaft plus eben, wie man so schön sagt, und das vollkommen unkompliziert.

Ich ging mit großen Schritten auf ihn zu und umarmte ihn. Immerhin er starrte mir in den Ausschnitt, was aber bei genauerem Nachdenken eigentlich nicht besonders aussagekräftig war. Trotzdem fühlte ich mich ein wenig besser und vor allem begehrenswerter und hörte auf, mir ernsthafte Sorgen um mein Äußeres zu machen.

"Entwickelst du dich wieder zum kleinen Jungen? Du weißt genau, wie ich das hasse." Er sah mir frech ins Gesicht und machte eine Andeutung, mir an die Bürste zu greifen. Ich hielt ihm mahnend den Zeigefinger vor die Nase und gab ihm einen freundschaftlichen Stoß in die Rippen. Er war schon immer mein bester Kumpel gewesen. Ein Freund mit einem IQ, das vielleicht nicht ganz das meinige erreichte, aber zu allem Scheiß bereit.

"Willst du deinen Kumpel nicht begrüßen, man?", dröhnte John und wandte sich Ben zu. Die beiden begannen ihr Kindergarten-Abklatsch-Spiel und als sie gerade richtig aufgewärmt waren, hielt eine schwarze Limousine am Straßenrand.

"Megan!" Sie stieg aus und schenkte mir nur einen kurzen Blick, bevor sie John anstarrte. Ich musste mir ein Augenrollen verkneifen. Diese Mädchen war wirklich rettungslos verloren.

Ich bewegte mich auf das Auto zu und gab ihr ein Küsschen rechts und links. Dann trat ich einen Schritt zurück und bewunderte durchaus erstaunt ihr Outfit. Heute offensichtlich weder Oma noch Gangster. Das kannte man ja gar nicht von ihr. Sie trug ein figurbetontes, schwarzes Minikleid, an dessen unterem Rand kleine schwarze Schmucksteine glänzten. Das hatte sie mit einer silbernen Kette und einer schönen, aber komplizierte Flechtfrisur kombiniert. Sie sah zum Anbeißen aus. Ihre roten Haare fielen wie ein bronzener Teppich in sanften Wellen den Rücken hinunter und ich fühlte gewissen Stolz in mir aufkeimen.

Natürlich schrieb ich es mir zu, dass sie so wunderschön aussah, sonst hatte sie schließlich niemanden, der ihr hätte zeigen können, wie man sich richtig anzog. Ich wagte es kaum zu glauben, aber vielleicht hatte sie ja doch einen Funken Modebewusstsein in sich.

"Wow, du siehst einfach toll aus!" Ich schlug die Hände vor meinen Mund, um mein Erstaunen noch deutlicher zu machen. Megans Gesicht wurde einen Farbton dunkler, aber man sah es kaum unter ihrem Make up. Sie sah sehr süß aus, wie sie sich so freute.

Na, hoffentlich half es auch. Denn John und Ben waren gerade fertig mit ihrer Begrüßungszeremonie, als John sich schon das erste - natürlich wasserstoffblonde - Mädchen schnappte und schamlos mit ihr flirtete. Er beherrschte diese Kunst mindestwns genauso gut wie ich und ließ keine Gelegenheit aus, sie zu zeigen und weiter zu verbessern. Megan bemerkte es und ein Anflug von Enttäuschung huschte über ihr Gesicht. Es tat mir leid, sie so hilflos zu sehen, aber ich konnte ihr nicht helfen. Ich würde sicherlich nicht zu John gehen und ihn anbetteln, mit Megan auszugehen.

Da musste die liebe Megan sich wirklich ranhalten, John war nun mal entgegen aller Wahrscheinlichkeit keine leichte Beute, wenn er nicht von sich auf einen zukam.  Er liebte zwar hin und wieder die Abwechslung von seinen barbieähnlichen Katalogschönheiten, aber Megan hatte bis jetzt noch nicht das Glück gehabt, ihm als eroberungswerte, weibliche Person aufzufallen.

"Kommt Leute, wir wollen schließlich nicht hier draußen versauern, oder?", rief ich schließlich meinen Kollegen zu und ging mit schwingenden Hüften ins 'Impossible'. Schon vor der Tür hörte man laut und deutlich die Bässe und ein paar Betrunkene, die die Texte unsicher mitgrölten. Mir graute vor ihrem schrecklichen Mundgeruch und ihren schwitzigen Leibern, aber das gehörte eben zum Feiern dazu. Auch dann, wenn man so lebte wie ich.

"Wilkommen im 'Impossi'-"

"Fresse Zack", unterbrach ich ihn und schob die Nervensäge zur Seite. Wie konnte man mit 19 Jahren noch so pubertär sein? Das ging einfach nicht in meinen Kopf.

Dein Geschmack ist nun mal auch nicht unfehlbar, du hattest immerhin eine Beziehung mit ihm, dachte ich und war versucht, mir an den Kopf zu fassen. Ich schämte mich nach wie vor für dieses geistige Versagen. Wie hatte er eine andere mir vorziehen können? Mir?

Und dann meinte er wirklich, er könnte mich nach zwei Jahren einfach zurück haben. Es war unglaublich!

Diesen Störfaktor vergaß ich aber sofort, als ich in die wabernde Dunkelheit und stickige Luft des Clubs eintauchte. Automatisch bewegte ich mich im Takt zur ohrenbetäubenden Musik. Meine langen Beine trugen mich automatisch zur Bar und ich bestellte vier Martini, in dem Bewusstsein, dass meine Freunde mir gefolgt waren.

Anderswo hätte ich die Sachen natürlich nicht bekommen, aber ich war hier im Eigentum meines Vaters und natürlich kannte mich jeder, der hier irgendetwas zu sagen hatte. Bevor ich das Glas an meine Lippen setzte, dachte ich zum tausendsten Mal darüber nach, wie ich mir Ben schnappen konnte. Ich musste all meine Verführungskünste auf einen Punkt bringen, da war ich mir sicher.

Megan gesellte sich zu mir und kurz darauf kamen auch Ben und John, letzterer ohne Mädchen, sodass sie sich direkt zu ihm stellte und ein paar Flirtversuche startete. Ich möchte nicht sagen, dass es armselige Versuche waren, aber ich konnte beobachten, wie John noch beim Reden mit Megan seine Augen an dem Hinterteil einer anderen jungen Frau klebte. Meine beste Freundin hatte offensichtlich nicht so wahnsinnig viel Erfolg bei dem Mädchenschwarm, sie würde noch einiges drauflegen müssen. Vielleicht sollte ich ihr Nachhilfe geben?

Da ich noch nicht viel intus hatte, konnte ich mich deutlich an ihr schüchternes Gehabe erinnern. Ach, welch unbedeutende Probleme ich damals doch gehabt hatte. Mein ganzes Leben lang war die präsenteste aller meiner Erinnerungen eben jene dieser schicksalhaften Nacht. Im Nachhinein wäre ich dankbar gewesen, zu betrunken für all meine folgenden Handlungen gewesen zu sein. Und nicht nur ich für meine Handlungen, auch gewisse andere Personen für ihre. Ich wünschte, ich hätte in dieser Nacht einfach in meinem Bett gelegen.

Aber wann macht das Leben schon das, was für einen selbst am besten wäre? Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es immer den schrecklichsten aller Wege für uns wählte. Das Leben war unfair, gehässig und vor allem sehr geübt darin, den Menschen so viel Leid hinzuzufügen, wie es nur ging.

Wie gesagt, ich wäre gern zu betrunken für alles gewesen, was in dieser Nacht passierte.

Aber alles brannte sich mir ins Gedächtnis. Unwiderruflich.

Anscheinend hatte ich so langsam den Rand der Schlucht erreicht, in die ich schon so bald stürzen würde. Ich tanzte einen riskanten Tanz, der mich ihm immer näher brachte. Nur leider konnte ich von hier aus noch nicht erkennen, wie tief sie tatsächlich war. Sonst hätte ich vielleicht Vorsicht walten lassen.

Avenging Angel - Schönheitsschlaf für Anfänger | #DreamAward2018 #SpringAwards18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt