Hausbesuch

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Abigail

Ich seufzte und öffnete die Autotür. Innerlich immer noch mit mir am ringen, zwängte ich meine langen Beine nach draußen und zog den Schlüssel. Dann machte ich mich auf den Weg zur Tür. Für einen Augenblick war ich tatsächlich versucht, einen der Klingelknöpfe zu drücken, denn schließlich hatte auch ich gute Manieren. Allerdings entsann ich mich und trat ohne weitere Ankündigung in das Treppenhaus. Wenn ich unerwünscht war, würde ich das noch früh genug merken, da war ich mir sicher.

"Und wenn se dann drin sin', nech, dann müssen se einfach die Treppe hoch und links, Frollein. Dann sin' se bei ihm." Ich hatte das schmuddelige Gesicht mit den schlechten Zähnen noch deutlich vor Augen, wie sich bei mindestens jedem zweiten Wort Spucketröpfchen über mich ergossen. Anschließend hatte er mich dreckig angegrinst und gefragt, ob er mir nicht etwas in der Kneipe gegenüber ausgeben könne. Ich hatte einen Würgereiz unterdrückt und auf die allerhöflichste Art abgelehnt. Wenn dieser Mann nicht der einzige weit und breit gewesen wäre, der mir Dave Shyles genaue Adresse hatte geben können, dann wäre er anders abserviert worden.

Als ich nun vor der braunen Wohnungstür stand, die nach der Beschreibung des Mannes die seine war, betrachtete ich die netten, kleinen Zeichnungen darauf. Diverse Penisse, Brüste und versaute Sprüche zierten auch diese Tür wie jede andere. Ich hatte mir vor einigen Wochen in Vorbereitung auf mein baldiges Studium schon das ein oder andere College angesehen und natürlich auch Studentenwohnheime besucht. Selbst das heruntergekommenste von ihnen kam mir jedoch im Gegensatz zu diesem wie ein 5-Sterne-Hotel im Vergleich zu einem Toilettenwagen vor.

Ich nahm einen tiefen Atemzug von der durchdringend nach Urin stinkenden Luft - was ich im selben Moment noch bereute - straffte meine Schultern und klopfte bestimmt an. Kurz darauf hörte ich, wie Schritte sich näherten, der Urheber dieser innehielt und dann das Kratzen eines Schlüssels im Schlüsselloch. Ungeduldig betrachtete ich meine Fingernägel und fragte mich unwillkürlich, was genau ich hier überhaupt wollte. Dieser Mord ging mich doch eigentlich gar nichts an, und was ich hier gerade veranstaltete, war nicht viel mehr als ein kindisches Detektivspiel.

Plötzlich bewegte sich die Türklinke und ich konnte durch einen kleinen Schlitz ein großes, braunes Auge erkennen. Dieses weitete sich überrascht und die Tür öffnete sich weiter, bis ich den Mann dahinter ganz sehen konnte. Immer noch stachen seine rehbraunen Augen sehr hervor, doch ich erkannte verwundert, dass sie perfekt zu seinem übrigen Aussehen passten.

Sein sportlicher, wenn auch eher schlaksiger Körper war in eine einfache Jeans und ein Poloshirt gekleidet und seine kinnlangen, dunkelblonden Haare standen an einigen Stellen eher unvorteilhaft von seinem Kopf ab, was ihn ein wenig verwirrt aussehen ließ. Er sah nun wirklich nicht schlecht aus, fiel nur leider nicht in mein Beuteschema. Er wirkte zerbrechlich, als könnte ihn der nächste Windhauch aus einem offen stehenden Fenster von den Füßen reißen und als würde jeder zu feste Griff seiner Hand jeden Knochen in ihr brechen.

Obwohl er schon älter als zwanzig sein musste, sah er verdammt jung aus. Auf eine gewisse Art unschuldig und sanft, etwas, das man bei Männern nicht sehr oft beobachtete.

Und damit war er absolut nicht mein Typ.

Ich räusperte mich.

„Hallo, ich bin Abigail", sagte ich mit meinem strahlendsten Lächeln und reichte ihm meine Hand. „Wie geht's dir?" Ich schaute ihm freundlich in die Augen und trat dann wie selbstverständlich an ihm vorbei in seine Wohnung hinein. Ich schaute mich um, während Dave vollkommen überrumpelt in der Tür stand und mich entgeistert anstarrte.

Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich wirklich gerade auf der Suche nach einem Mörder war. Und ironischerweise ausgerechnet bei diesem Typen anfangen musste, der aussah, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Doch ich schob diesen Gedanken schnell weg, um mich nicht vor mir selbst lächerlich zu machen.

Avenging Angel - Schönheitsschlaf für Anfänger | #DreamAward2018 #SpringAwards18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt