Warten

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Abigail

Ich musste innerlich zähneknirschend zugeben, dass er leider wirklich schöne Augen hatte. Aber in meinem Kopf waren diese Bilder. Bilder, die sich so sehr in mein Gedächtnis eingebrannt hatte, dass die Abdrücke immer noch schmerzten und vermutlich niemals ganz verschwinden würden. Er hatte mir Dinge angetan, die ich ihm nie würde verzeihen können. Ganz zu schwiegen davon, dass ich ihm auch gar nicht verzeihen wollte. Unsere gemeinsamen Erinnerungen, die wenigen guten und die vielen schlechten, ich konnte sie nicht vergessen. So war es nun mal, in meinem Kopf waren Bilder -

und in seinem eindeutig zu wenig Gehirn.

"Wow, ich habe selten eine Frau so viel fluchen hören", hauchte er bewundernd. Ich wartete förmlich auf den Sabber, der ihm aus dem Mund liefe, und verdrehte die Augen. Wie hatte ich ihm je vertrauen, ihn gar lieben können?

"Verpiss dich, du armseliger Perversling. Du machst mich wahnsinnig mit deinem notgeilen Gehabe. Und bitte, pass auf, dass du gleich nicht auf deiner eigenen Schleimspur ausrutscht. Ich glaube nicht, dass auch nur irgendjemand hier dir aufhelfen würde. Und glaube mir eines: Es genügt ein Anruf bei einer gewissen Person, um dich ein für alle Mal zu entlassen. Du arbeitest hier doch anscheinend sowieso nur, um mich und so viele andere hilflose Mädchen zu verarschen!", fauchte ich entnervt.

Ich glaube, das hatte er verstanden, denn er machte die Fliege und ging ein wenig in sich zusammengesunken zu seinem Platz als Türsteher. Ich wendete mich mit wehenden Haaren zu Ben und verdrehte ein weiteres Mal die Augen. Auf einmal prustete er los.

"Was?", knurrte ich.

"Du und hilflos? Du hast mir im Kindergarten doch schon immer die Schaufel weggenommen und meine Sandburgen zerstört. Und daran hat sich bis jetzt im Prinzip nicht viel geändert. Nur, dass unsere Sandburgen mittlerweile aus Mamor sind und du einen Kran brauchst, um sie zu zerstören", erklärte er japsend.

Ich warf ihm einen ironischen Bilck zu. "Ach, halt doch deinen Mund, du Vollidiot. Sonst erstickst du noch gleich an deiner eigenen Lache, so wie sich das anhört", schnaubte ich verächtlich, konnte mir jedoch ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Ben sah zwar in jeder Lebenslage gut aus, aber lachend mochte ich ihn am liebsten. Auch, wenn ich den Anblick leider viel zu selten genießen durfte.

Jetzt musste er noch mehr lachen. "So langsam wird's peinlich, man. Was ist jetzt schon wieder?", fragte ich.

"In einem Punkt hat Zack schon Recht", brachte er mühselig hervor. Ich war erstaunt. Er hasste Zack eigentlich genauso wie ich und hatte keinerlei Gemeinsamkeiten mit ihm, egal, um was es ging. Ich schaute ihn fragend an.

"Ich hab auch noch nie eine Frau so viel fluchen hören." Erst versuchte ich noch, ihn böse anzuschauen, aber letztendlich musste ich auch kichern. Kichern, mein Gott, das passte nun wirklich gar nicht zu mir.

Ich wusste nicht, warum ich immer so viel schimpfte und fluchte, es lag mir anscheinend im Blut. Meine Mutter hatte früher genauso viel geflucht wie ich. In dem Punkt waren wir beide ungekrönte Königinnen. Nun ja, zumindest bis Dad sich so sehr verändert hatte, und das leider nicht zum Guten. Ansonsten waren Mom und ich uns nicht sehr ähnlich, wir hatten nicht einmal den gleichen Geschmack, vor allem nicht bei Männern. Das jedenfalls meinte Dad. Und ich ebenso.

Während Ben und ich auf die übrigen Trantüten warteten, dachte ich über die beste Strategie nach, mir Ben endlich zu angeln und das nebenbei auch noch Tessa merken zu lassen. Wenn ich schon an sie dachte, lief es mir kalt den Rücken herunter und ich bekam leichte Würgereize.

Wie hatte ich all die Jahre mit ihr und den anderen aushalten können? Im Nachhinein war es mir schleierhaft. Aber mit derartigen Grübeleien wollte ich mir nicht unseren Abend versauen. Diesen Abend, den ich unter anderem mit Ben verbringen würde, da war ich mir sicher. So wie ich ihn kannte, war es bei ihm leider nicht getan mit einem kurzen Herunterbeugen und einem schönen Einblick in gewisse schlagende Argumente. Bei ihm musste man mehr Arbeit leisten. Er war nur leider so verdammt undurchschaubar, was manchmal ein echtes Kreuz war.

Ich seufzte und warf meine Haare nach hinten, was Ben mit einem gelangweilten Blick quittierte. "Ist was?", fragte er lässig.

Ich setzte meinen Schmollblick auf und schenkte ihm einen lange geübten Augenaufschlag. "Ach, die anderen kommen nicht und ich hab wahnsinnigen Durst." Vielleicht konnte ich ihn mit der Unschuldiges-süßes-Mädchen-das-Hilfe-braucht-Nummer bekommen.

Er sah mich an und erwiderte ironisch: "Wenn du mich gleich auch noch fragst, ob ich dir etwas ausgebe, dann kann ich mich wirklich nicht mehr zurückhalten. Wer ist denn hier die Superreiche?"

"Naja, du lebst auch nicht gerade im Armenhaus, Benjamin." Das war schon einmal ein völliger Reinfall. Ich beugte mich herunter, um an meinen Hotpants herum zu zupfen. Wer weiß, vielleicht konnte man ihn ja doch mit der altbewährten Methode kriegen. Ich wagte einen vorsichtigen Blick nach oben. Es war kaum zu glauben! Er sah einfach in die entgegengesetzte Richtung! Aber irgendwie machte ihn das ja noch einen Tick begehrenswerter. Endlich musste ich mal meine Intelligenz nutzen, um an einen hübschen Jungen zu kommen.

Trotzdem war mir die Lust vergangen und ich lehnte mich ebenfalls an die harte, kalte Hauswand und wartete.

Avenging Angel - Schönheitsschlaf für Anfänger | #DreamAward2018 #SpringAwards18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt