Erste Scherbe

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Du hast mir mal gesagt, ich könne mit dir über meine Ängste sprechen und über die Dinge, die mich bewegen.
Ich glaube kaum, dass du meine Schatten besonders interessant finden wirst, denn sie sind dunkel und hartnäckig und traurig und unterscheiden sich kaum von anderen.
Ich kann mit dir über Sorgen und Schatten sprechen, aber nicht über meine eigenen.
Vielleicht ist das ein Fehler.
Vielleicht sollte ich das.
Sorgen haben Zähne, und mit denen fressen sie sich in dich rein, wenn du sie für dich allein behältst.
Sorgen mögen es nicht, wenn man sie einsperrt. Dann kratzen sie mit ihren Krallen an den Wänden, verbiegen deine Gedanken und die Türschlösser. Sie wollen wachsen, nach draußen, in deinem Kopf herumspuken, nicht eingesperrt bleiben in diesem Raum, den du nie betrittst und immer wegsiehst, wenn du ihn mal aufschließen musst.
Du hast Alpträume, jedes Mal, nachdem du eine weitere Sorge hineingesperrt und sie beim Fortgehen hast schreien hören, hinter der verschlossenen Tür. Sorgen sind Kinder, die geliebt werden wollen und denen es egal ist, wenn andere daran zerbrechen.
Herzlos, aber so sind Kinder eben.
Sprich, sagen die Leute zu mir, wenn ich wieder zu still bin und man die Bisswunden der Sorgen unter meiner Haut schimmern sieht.
Sprich, nur so kannst du sie loswerden.
Wenn man sie ausspricht, lösen sich Sorgen auf, weil sie es nicht ertragen, wenn die Welt von ihnen weiß.
Sorgen sind anhänglich. Sie wollen zu dir gehören, und nur zu dir, und selbst, wenn du sie wegstößt und sie angewidert in dem Raum zurücklässt, bleiben sie bei dir.
Sorgen sind die loyalsten Begleiter, die wir haben können. Sie ertragen es nicht, wenn du sie mit jemandem teilst und sie dabei in zwei Teile reißt.
Du reißt sie mitten hindurch, diese kleinen, schutzlosen Körper, die nichts weiter können, als sich irgendwo festzuhalten, festzuklammern, dazubleiben.
Das Entsetzen steht ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn du sie so grausam tötest, und es fühlt sich an wie Verrat, wenn du die durchscheinenden Leichen fallen lässt und zusiehst, wie sie verblassen. Sorgenleichen.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich immer das Thema wechsle, wenn du dich dem Raum in meinem Kopf nährst, dich fragend zu mir umdrehst und versuchst, das Schloss zu öffnen.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich es hasse, wenn mich jemand versteht.
Es ist, als würde ich ein Geheimnis ausplaudern, dass ich sorgsam hüte, ich und die Sorgen in dem dunklen Zimmer. Du kannst wütend sein, wenn ich dich wegstoße, aber komm nicht wieder zurück, um das Schloss aufzubrechen. Ich fühle mich so verdammt schutzlos, wenn mich jemand versteht. Ich kann nicht einfach reden, denn für mich ist reden nicht so harmlos und nichtssagend wie für dich. Du läufst immer Gefahr, in die Nähe des Raumes zu gelangen auf deinen Streifzügen durch meinen Kopf, und die Tür zu öffnen.
Und wenn du alle meine Sorgen zerreißt, was bleibt dann noch von mir übrig?

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