Vierundzwanzigste Scherbe

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Du brennst.
Gestern waren es deine Augen, dieser flackernde, taumelnde Blick, der keinen Halt findet und der niemandem gilt. Heute ist es dein ganzer Körper, der brennt.
Du bist ein Lauffeuer, und ich sehe, wie du dich verkrampfst, wenn ich in der Nähe bin.
Du willst niemanden sehen, obwohl du niemanden wegschickst, und manchmal glaube ich,
du läufst vor dir selbst weg.
Dein ganzer Körper ist in Lauerstellung, du kannst nicht stillsitzen und atmest zu laut.
Die Flammen sind da, wo ich sie nicht löschen kann,
und ich spüre ihre Hitze, wenn ich bei dir bin.

Heute Morgen habe ich sie in deinen Bewegungen entdeckt:
Du gehst anders als sonst, du sitzt anders, du siehst immer aus, als würdest du gerade gehen wollen, wenn du ankommst.

Selbst beim Lesen bist du hektisch, hungrig;
deine Augen fressen die Buchstaben.

Manchmal frage ich dich Sachen, die mich hilflos machen, Fragen, auf die ich
keine Antwort habe.

Ich frage sie dann, wenn ich deine Stimme hören musst, denn du redest kaum.
Not-Fragen, fast beiläufig. Ich frage nach deinem Befinden und besänftige mich selbst damit.

Warum siehst du so müde aus?
Wo warst du gestern Nacht?
Warum isst du nichts?
Wohin gehst du?

Ich versuche dich zu finden hinter den Ameisen, die an deiner Stelle unter deiner Haut krabbeln,
denn ich glaube du, versteckst dich vor mir.
Manchmal glaube ich, du hast Angst, mich zu verbrennen.

Du bist mir schon seit Tagen nicht mehr nahegekommen.

Heute hast du etwas an den Spiegel geschrieben und danach weggewischt, ich habe die Schlieren des wasserlöslichen Filzstifts entdeckt, den du benutzt hast.
Ich stelle mir vor, dass du es direkt über deine Augen geschrieben hast, um dir nicht mehr ins Gesicht sehen zu müssen, und ich frage mich, was es war.

Nimmst du mich wahr, wenn ich neben dir stehe, liege, sitze, zerbreche?
Es fühlt sich an, als siehst du durch mich hindurch. Da ist Rauch, der mir die Sicht auf deine Gedanken versperrt, und Flammen, wo ich sonst sehen konnte, was du fühlst.
Weißt du, dass ich da bin?

Vielleicht glaubst du es nicht.

Gestern bin ich zum ersten Mal vor deinen Flammen zurückgewichen, und du hast es bemerkt. Natürlich hast du es bemerkt.
Ich glaube, ich werde dich nie wieder ansehen zu können, ohne an den Spiegel zu denken und daran, dass du dir selbst nicht in die Augen schauen konntest.
Und daran, wie verletzt du ausgesehen hast, als ich plötzlich auch nicht mehr zurückschauen konnte.

Du brennst.

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