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"Genau, sie versteht die Situation einfach nicht, ich habe nichts falsch gemacht", redete ich mir ein und legte mich zurück in den warmen Sonnenschein der durch die Baumwipfel schien.
Doch richtig entspannen konnte ich nicht, Tae Ris Gesichtsausdruck schlich sich immer wieder vor mein inneres Auge. "Sie ist doch kein niemand, wie kommt sie darauf..." flüsterte ich gedankenverloren und begriff erst Sekunden später was das Problem war.
"Du hast Scheiße gebaut. Mal wieder"

Ich stand auf, zog mir meine Schuhe an und ging in die Richtung, in der Tae Ri zwischen den Bäumen verschwunden war.
Ich wollte diesen Wald nicht betreten, ich scheute mich davor einen Fuß auf die fauligen Blätter am Boden zu setzen und Schritt für Schritt durch die moosbedeckten Bäume zu stolpern.

"Tae Ri?", rief ich zögerlich in den Wald hinein.
"Yah, Tae Ri!", setzte ich wieder an, nun lauter, und formte mit beiden Händen ein Megafon. Meine Stimme hallte von Baum zu Baum und kehrte schlussendlich zu mir zurück, belächelte mich und mein Verhalten.
Du kannst noch so laut rufen, sie antwortet doch eh nicht! dachte ich verbittert bevor ich die Hände wieder sinken ließ.
"Das ist doch Scheiße! Komm jetzt raus und red mit mir, so können wir an der Sache doch nichts ändern!", brüllte ich mies gelaunt nachdem ich einige Sekunden auf ein Zeichen ihrerseits gewartet hatte, aber einfach nichts zurück kam.
"Ich hab da keine Lust drauf! Lass uns das jetzt klären und begraben, ernsthaft!", schrie ich wieder, in der Hoffnung, dass sie es hört und da endlich wieder raus kommt bevor ich den Rest des heißen Sommertages alleine hier rum hängen muss.
Ich habe nicht die Absicht gehabt sie weder mit meinen Worten zu verletzen noch sie in irgendeiner Weise abzuweisen.
Könnte es vielleicht sein, dass... Sofort schlug ich mir die wirren Gedanken aus dem Kopf. Als würde gerade sie auf einen verwöhnten Stadtjungen, Sohn eines reichen Konzerninhabers, stehen. Vor allem nicht nach der ganzen Sache mit Jin und ihrer ganzen Teenie-Romanze die sie jetzt wohl oder übel hinter sich lassen müsste. Wie kam ich überhaupt darauf? Ich war mir nicht sicher, doch der Gedanke, dass sie uns schon als Freunde ansah, gefiel mir mehr als erwartet.
Die verbrachte Zeit mit ihr war auf keinen Fall ein negatives Erlebnis, im Gegenteil. Die Tage die ich mit ihr verbracht hatte waren bestimmt nie langweilig gewesen. Die zwei Wochen auf dem Hof waren definitiv nicht leicht für mich, doch durch ihre Unterstützung wog die Last nicht ganz so viel Gewicht auf meinen Schultern. 
"So war das gar nicht gemeint!", fing ich wieder an zu rufen, ließ meine Stimme aber sinken.
"Ahhh wirklich..." brummte ich unentschlossen als mich schon wieder keine Antwort erreichte. Zögerlich wagte ich einen Schritt nach vorne und hörte die trockenen Blätter unter meinen Sohlen knistern während das Moos unter meinem Gewicht sachte absank.
So weit so gut, motivierte ich mich selbst.
Zehn Meter wagte ich mich in den Wald, blickte mich um und lauschte auf irgendwelche Geräusche die von dem Mädchen stammen könnten bis ich wieder umdrehte und beschloss am See auf sie zuwarten.
Sie konnte schließlich nicht ewig weg bleiben.

-*-
Ich verlor das Zeitgefühl, ich setzte mich auf als ich es am Waldrand knacken hörte. 
Tae Ri schob sich durch die niedrig herab hängenden Äste und kam wortlos auf mich zu.
"Sollen wir Reden oder lassen wir das einfach so stehen und vergessen das?", fragte ich nach als sie nichts sagte und bloß still da saß, und anscheinend nicht so recht wusste was sie nun zu mir sagen sollte. Wahrscheinlich fand sie die Situation selbst ein wenig lächerlich, so wie sie drein blickte.
"Sorry, ich hab übertrieben...", murmelte sie schlussendlich kleinlich und zupfte unruhig an ihrem Shirt.
"Was du nicht sagst...", entgegnete ich unter meinem Seufzer hinweg und hob herausfordernd die Augenbrauen während ich mich von ihr abwandte. Es sind wohl keine Fünfzehn Minuten gewesen, in denen sie beleidigt im Wald verschwunden war, und dennoch kam es mir vor wie eine Ewigkeit.
"Vergessen wir die Sache einfach... nimm dir meine Worte nicht so zu Herzen. Du müsstest schon wissen, dass ich ziemlich viel Scheiße von mir gebe.", erwähnte ich, nachdem keiner von uns beiden etwas gesagt hatte und wir bloß still auf der Decke saßen. Hin und wieder nahmen wir uns eine Gabelspitze von dem Apfelkuchen zwischen uns und versuchten bei dieser unangenehmen Stille die warme Abendsonne auf unserer Haut zu genießen.
"Ich kann nicht anders, ich bin bei so was zu sensibel... ich hasse das", säuselte sie mies gelaunt und steckte sich die Gabel in den Mund bevor ihre Haare wieder ins Gesicht fielen und der Blick auf den Boden gerichtet war.
"Hattest du das schon immer?", fragte ich zögernd und wusste nicht genau wie weit ich gehen durfte. Meine Lust auf noch so eine Situation hielt sich sehr in Grenzen.
"Sensibel war ich schon immer. Bei jedem Film, bei jedem Buch, bei jedem Streit und immer wenn es mir mal nicht passte. Aber dass ich so reagiere hätte selbst ich nie vermutet", gestand sie seufzend. Mit der Gabel reflektierte sie die Sonne auf den Boden und verfolgte mit leeren Augen den winzigen Lichtstrahl über den Sand. Ich schielte unauffällig zu ihr rüber und wusste nicht so recht was ich jetzt darauf antworten sollte. Diese Situation überstieg meine Sozialkompetenzen und Sensibilität galt damals nur für mich. Wie man bei anderen Leuten darauf reagiert wusste ich nicht.
"Tut mir leid, dass du dir diese Seite von mir antun musst. Ich weiß, ich bin unerträglich", belächelte sie sich selbst von oben herab und lachte ironisch auf bevor sie ihr Gesicht seufzend in die Handflächen fallen ließ.
"Stimmt", bezeugte ich nach einer Weile und richtete meinen Blick auf den See vor uns.
"Aber das heißt ja nicht, dass es unbedingt schlecht ist", merkte ich an bevor ich mich auf den Rücken legte und meine Hände über meine Augen legte.
"Backpulver alleine schmeckt schließlich auch Scheiße, aber wenn man den Kuchen als Gesamtes betrachtet ist das ja egal, oder nicht?", ich klang ungewollt theatralisch, aber dieser Vergleich schoss mir in den Kopf. Genau das hatte Mark mir in der Oberschule gesagt, als ich mal wieder vergessen hatte, dass ich es wert war.
Ich war es wert geliebt zu werden, wert mit Respekt behandelt zu werden, wert meine Meinung äußern zu dürfen.
Genauso wie sie, nur versank sie gerade förmlich in ihrem Selbstmitleid.
"That got deep real quick", merkte sie belustigt an und hob den Kopf während sie hörbar ausatmete und mir entgegen blickte.
"Dass du mich überhaupt noch motivieren willst. Ich hätte mir schon längst ins Gesicht geboxt", äußerte sie skeptisch.
"Mach doch. Ich hab keine Einwände"
"Ha ha, lustig"
"Aber ehrlich jetzt; klar ist es nervig eine beleidigte Leberwurst hier sitzen zu haben, aber das ist doch jeder mal. Jeder hat Macken oder irgendwelche Angewohnheiten die andere nerven oder stören, aber du kannst es nicht jedem einzelnen Vollidioten auf diesem Drecksplaneten recht machen. Also steh einfach zu dir und sei stolz auf alles was dich definiert", haute ich ihr plötzlich meine Gedanken um die Ohren und konnte selbst kaum glauben, dass diese Wörter tatsächlich meinen Mund verlassen hatten. Es ist selten, dass ich diese Art von Gespräch führe, geschweige denn aufkommen lasse.
"Ohoo, Chang Kyun! Was ist denn in deinem Kopf passiert, dass du so etwas nettes sagen kannst, huh? Ich bin ja richtig beeindruckt!", stichelte sie provokativ und pickste mir mit ihrem Zeigefinger in die Seite.
"Du warst garantiert schon von mir beeindruckt, bevor ich so geredet habe!", entgegnete ich herausfordernd und versuchte mir die Hitze auf meinen Wangen als fiesen Sonnenbrand einzureden. Es freute mich, dass sie wieder gute Laune hatte, doch eine andere Sache war da noch, die mich irgendwie aus dem Konzept brachte.
"Es ist gleich 17 Uhr, wollen wir langsam zusammen packen?", wollte sie wissen, als für kurze Zeit Stille herrschte und wir nicht genau wussten, was wir dazu noch sagen sollten.
"Wollen wir nicht noch den Kuchen aufessen bevor wir fahren?", entgegnete ich als sie die Dose gerade schließen wollte. Schulterzuckend legte sie den Deckel zurück und ergriff die Gabel um sich eine volle Ladung zu gönnen.
"Wieso hast du eigentlich Angst vor Hunden?", erkundigte sie sich plötzlich als ich ebenfalls zugriff.
"Hat keinen speziellen Grund... uns ist damals mal einer zu gelaufen, als ich noch kleiner war. Der Köter mochte aber keine Kinder und hat mir voll in den Hinten gebissen. Hab auch eine Narbe, ich glaube daher kommt diese Angst", antwortete ich wahrheitsgemäß und erinnerte mich zurück an den beängstigenden Hund mit dem goldenen Fell, und wie er mir damals bellend hinterher jagte. Tae Ri fing aber plötzlich an zu lachen, als ich schaudern den Kopf schüttelte und mich wieder dem Essen auf meiner Gabel widmete.
"Als wenn du davon eine Narbe hast!", rief sie ungläubig aus und hielt sich lachend die Hand vor den Mund bevor ich auch nur ansatzweise ihre Zähne sehen konnte.
"Ehrlich! Ich kann sie dir zeigen!"
"Nein, niemals! Lass die Hose an!", kreischte sie erschrocken als ich mich vermeintlich an meinem Hosenbund zu schaffen machte und mir ein dummes Grinsen nicht verkneifen konnte.
"Wie du willst", schnaufte ich gelassen und ließ von dem Knoten im Gummi ab.
"Meine Freunde haben mir damals die Hose runter gerissen, als ich denen das erzählt habe", beichtete ich und schaute ihr belustigt in die Augen als sie ihren Blick wieder auf mich richtete.
"Du weißt gar nicht was du verpasst", stichelte ich besserwisserisch und zuckte mit den Schultern.
"Wie waren deine Freunde in Seoul denn so?". Neugierig starrte sie mich mit ihren braunen Augen an während ich überlegte, was man über meine Freunde so berichten konnte.
"Das Gegenteil von mir. Jedenfalls Jungkook und Mark. Mit den beiden habe ich die meiste Zeit verbracht, und als Jimin in unsere Klasse gewechselt ist, hat er auch angefangen mit uns abzuhängen. Aber der Typ war schon ein Fall für sich, wenn man das so sagen kann. Vielleicht lernst du die drei ja mal kennen.", berichtete ich in Gedanken an die Chaoten in Seoul.

"Und bei dir in der Schule? Wie läuft das da?", hackte ich nach bevor ich das Thema wieder fallen ließ. Seit Jins Anmerkung während des Holzhackens wunderte ich mich über ihre Schule , da er mal etwas angemerkt hatte.
"Wir sind nicht viele in meiner Klasse, oder generell in der Schule... Meine Freunde hast du ja eben teilweise kennengelernt aber oft bin ich nicht wirklich in der Schule. Wenn ich die mal sehe, dann hauptsächlich drei Mal die Woche in den Pausen und einmal im Monat weil wir Lust drauf haben. Ich will Großmutter nicht hängen lassen wenn sie mir schon so viel bietet.", erklärte sie ein wenig niedergeschlagen bevor sie erneut nach dem Kuchen langte.
"Du lebst doch nicht nur da um zu arbeiten! Du kannst doch öfters zur Schule gehen und deine Freunde treffen! Wieso schwänzt du einfach? So nimmt dich doch keine Universität, mach deinen Abschluss ordentlich!".
Ich war schockiert wie sie so daher redete. Es schien ihr jedenfalls nicht egal zu sein wie oft sie die Schule besuchte und wann sie sich mit ihren Freunden traf.
"Ich übernehme sowieso wahrscheinlich den Hof. Mit Jin zusammen...", rechtfertigte sie sich schulterzuckend und wich ständig meinem entsetzten Blick aus.
"Landwirtschaftswesen kann man studieren! Was ist denn los mit dir, du kannst dein Leben doch selbst bestimmen. Nur weil Oma das von dir erwartet muss es ja nicht gleich beschlossenen Sache sein", versuchte ich verzweifelt auf sie einzureden, woraufhin sie nur missmutig mit den Schultern zuckte, als wüsste sie nicht genau was man darauf kontern könnte. Eine Weile schwiegen wir uns an, unschlüssig was man jetzt noch sagen konnte, weshalb ich einfach den Deckel auf die Kuchenschüssel donnerte und motiviert aufstand.
"Aufstehen, wir fahren weiter"







«applepie» || im changkyunWo Geschichten leben. Entdecke jetzt