Marinette

1.1K 77 47
                                    

,,Was würde Ladybug in so einer Situation tun?", fragte ich mich selbst laut. Ich kauerte immer noch auf dem Dach, ging hin und her oder legte mich hin.

Ich wusste es. Ladybug hätte gekämpft und versucht Paris zu befreien. Sie hätte den Bewohnern Mut gemacht und ihnen geholfen. Sie hätte sich nicht zehn Jahre versteckt, sondern wäre schon längst dabei die Regierung zu stürzen. Ladybug würde nicht ihre Zeit verschwenden und rumjammern.

Aber ich war seit Jahren keine Ladybug mehr. Mein Job endete, als Cat Noir mich verriet.

Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Diese kurze Zeit, als ich versuchte die Heldin zu sein zeigte mir, wie sehr ich Paris vernachlässigt hatte. Meine Freunde waren zum größtenteils tot oder wurden für grausame Experimente missbraucht. Ich hätte vor Jahren die Heldin sein müssen. Damals hätte ich noch viel mehr aufhalten können, ich hätte mehr Leben retten können. Jetzt aber war es kaum noch aufzuhalten. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich Paris überhaupt noch retten konnte.

Vielleicht sollte ich gehen und Paris hinter mir lassen. Ich hatte mein bestes getan. Wie sollte ich gegen jemanden kämpfen, den ich nicht mal töten konnte? Ich wurde dadurch schwach. Meine Liebe machte mich blind für die Sachen, die klar waren. Izzy hatte in einigen Punkten recht. Er führte an den Menschen Experimente durch und seine Art und Weise zu regieren verletzt er Menschen. Aber ich spürte noch gutes in Adrien. Als er so vor mir saß sah ich keinen Herrscher, sondern einen traurigen und gebrochenen Mann. Außerdem seine Augen. Sie waren violett. Viele, die damals akumatisiert wurden, hatten violette Augen.

Wie konnte ich nur denken, dass ein Kuss helfen würde? Ein Kuss? Es war schlimmer als ich dachte. Ich wusste nicht was war und konnte mir auch nichts vorstellen. Ich konnte einfach nicht mehr. Auch ich hatte irgendwann keine Kraft mehr. Vielleicht gab ich zu schnell auf. Vielleicht war es ein Fehler jetzt aufzugeben. Schließlich gab ich nach knapp vier Tagen auf.

Aber diese Mappe zeigte mir ein klares Bild von allem. Paris war verloren und alleine konnte ich nichts ausrichten. Die Bewohner würden bald erkennen, dass sie kämpfen mussten, da war ich mir sicher.

Ich setzte mich nach langen Grübeln in Bewegung. Ich würde Paris einsam verlassen, ohne was gemacht zu haben. Ich wusste, wo Paris endete, weswegen es nicht sonderlich schwer sein würde, dieses Unheil hinter sich zu lassen. Aber es überhaupt zu verlassen würde der Knackpunkt sein. Der Weg wurde bestimmt gut bewacht. Da jeder mein Gesicht kannte würde man mich auf der Stelle erschießen oder gefangen nehmen, kommt darauf an, ob ich lebendig oder tot zu Adrien gebracht werden sollte. Und welche Qualen er mit antuen wollte ich mir nicht vorstellen. In seinen Augen war ich das pure Böse. Adrien würde  ich sofort töten und nicht noch einmal riskieren, dass ich floh.

Ich wartete, bis es Nacht war. Ich sah nichts außer ein paar vereinzelte Lichter. Hörte ab und zu Gebrüll und laute Musik und roch die gewohnte Nachtluft. Sie war frisch und kalt.

Soldaten aber ließen sich nicht blicken. Sie waren nicht zu hören oder zu sehen.

"Vielleicht feiern sie meinen wahrscheinlichen Tod", dachte ich mir. Ich nahm Anlauf, sprang ab und landete perfekt auf dem andern Dach. Lila hatte mein Bein perfekt operiert. Es tat gar nicht mehr weh!

Hoffentlich blieb das noch so. Nicht, dass ich mich plötzlich auch in eine andere Person verwandelte und so wie Adrien wurde.

Ich nahm wieder Anlauf und landete perfekt. Ich dachte mir nichts dabei, schließlich tat diese Ruhe gut. Man wurde nicht gejagt, abgeschossen oder inhaftiert. Ich sprang wieder, doch dieses mal rutschte ich ab. Mit Mühe konnte ich mich an einer Fensterbank festhalten. Ich sah nach unten, doch dieser Anblick versetzte mich in leichte Panik. Ich würde tief fallen. Auch wenn ich letztens Hilfe hatte, dieses Mal würde ich weniger Glück haben. Da war ich mir sehr sicher.

Mit meiner Faust schlug ich das Fenster ein und kroch in die leerstehende Wohnung. Meine Hand blutete und schmerzte.

,,Man!", fluchte ich. Nichts konnte glatt laufen. Immer musste etwas schief gehen, selbst wenn es nur meine Hand war. Ich riss mir ein Stück Stoff von einer Gardine ab, wickelte dieses Stück hastig um meine Hand. Ich spürte einen stechenden Schmerz.

,,Bitte keine Splitter", hoffte ich. Wieder packte ich meine blutende Hand aus und sah genau hin. Es glitzerten kleine Glaspartikel, die mit meinen Blut verschmiert wurden.

,,Scheiße!"

,,Warum muss mir immer sowas passieren? Es sind doch nur noch wenige Straßen -", ich gähnte und entspannte mich. Ich sollte hier schlafen, mich ausruhen und beruhigen. Morgen früh setzte ich meinen Weg dann weiter fort. Keine komplizierten Pläne mehr, morgen setzte ich alles daran, aus dieser verlorenen Stadt rauszukommen.

Warme Sonnenstrahlen bestrahlten meine Haut. Doch diese waren nicht der Grund warum ich wach wurde. Es war lautes Gepolter, Schreie und Rufe. Ich rieb mir die Augen, sah auf meine verletzte Hand. Mit erschrecken musste ich feststellen, dass die Wunde komplett geheilt war. Kein einziger Kratzer, Narbe oder sonst was.

,,Was zur Hölle?" Ich tastete nach den Splittern, doch auch diese waren nirgends zu fühlen. Ich wusste nicht genau, ob ich mich freuen sollte oder ob Angst angemessener wäre. Ich wurde von jemanden behandelt, der Adrien wahrscheinlich sehr nahe stand. Was war, wenn es irgendein Gift war?

Doch darüber musste ich mir ein anderes mal Gedanken machen. Ich musste hier raus, und zwar schleunigst! Durch das Fenster von gestern kletterte ich aufs Dach. Ich nahm schnell Anlauf, sprang und rollte mich auf dem anderen Dach ab. Ich entdeckte die Stadtgrenze. Ein leichtes Lächeln konnte ich mir jedoch nicht verkneifen. So nah am Ende durfte ich nicht scheiterten, beziehungsweise wieder gefangen genommen werden.

Mit meiner letzten Kraft rannte ich weiter. Zu meinem Glück musste ich nun nicht mehr springen, sondern einfach nur durch sprinten. Die Grenze kam immer näher. Endlich könnte ich neu anfangen.

Es waren nur noch ein paar Meter.

Ich gab die letzten zehn Meter noch mehr Gas. Sie war da! Nach Jahren des Schmerzes konnte ich alles hinter Paris lassen. Doch plötzlich würde ich abgeprallt. Ich flog mehrerer Meter weg. Meine Schulter schmerzte höllisch, mein Kopf pochte wie wild. Was war passiert? Wurde ich zurückgestoßen? Langsam stand ich auf und näherte mich vorsichtig der Grenze. Ich steckte meine Hände nach vorne. Zuerst spürte ich nichts, doch als ich einen Schritt nach vorne trat konnte ich eine unsichtbare Barriere erspüren.

Ich entfernte mich wenige Schritte und raufte mir die Haare. Mir war zum heulen, aber ich konnte nicht. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich war am Ende. Hawk Moth wollte mich wohl wirklich tot sehen, wenn er mir nicht mal die Chance gab zu gehen. Es würden für ihn sofort einige Probleme verschwinden. Es gäbe niemanden, der ihn stören würde. Zudem hatte er meinen Miraculous. Er hielt die Ultimative Macht in den Händen. Ich wollte mir nicht vorstellen, was er alles damit anrichten würde.

Kurz starre ich in die Leere. Was, wenn es ein Zeichen war? Vielleicht gab es etwas, was mich davon abhielt zu gehen. Dieses Etwas wollte, dass ich Paris rette.

Doch ich glaubte nicht an himmlische Zeichen. Für mich sah es mehr danach aus, als wolle jemand nicht, dass irgendwer die Stadt verlässt. Alle Bewohner sollten hier bleiben. Vielleicht wollte Gabriel nicht, dass sich andere Nationen einmischten?

,,Sucht alles ab!", hörte ich von unten. Es waren Soldaten, die mich wohl noch suchten. Ich seufzte. Hier oben zu bleiben hatte keinen Sinn. Vielleicht konnte ich mich in meinem alten Elternhaus noch verstecken. Wenn es überhaupt noch existierte.

Die Geschichte von Marinette Dupain-Cheng und Adrien AgresteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt