Kapitel 12
„Was meinst du?“ Ich sah von dem Schloss meines Fahrrads wieder hoch und sah in Lilys abwartendes Gesicht. Stimmt, sie hatte mir schließlich gerade eine Frage gestellt. Das blöde war allerding, dass ich den ganzen Tag über nicht aufgepasst hatte, sondern nur gelegentlich ein wenig gelächelt oder mit dem Kopf genickt hatte. Da ich anscheinend den kompletten Schultag über passende Reaktionen gezeigt hatte, würde ich jetzt wohl auch die letzten wenigen Minuten überstehen.
„Ich finde es auch gut.“ Ich stellte mich wieder aufrecht hin und schenkte Lily ein leichtes Lächeln. Lily verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse, als wüsste sie nicht, ob sie enttäuscht oder amüsiert sein sollte.
„Zum einen finde ich es eben nicht gut, und zum anderen bezweifle ich, dass du dich über die angeblich bald kommenden Schuluniformen freuen würdest.“ Mist, das war wohl die falsche Antwort. Ich sah sie entschuldigend an und murmelte ein „Sorry“, bevor ich mein Fahrrad neben ihr in Richtung Straße schob. „Schon ok, jeder hat mal einen unaufmerksamen Tag. Falls du mir erzählen willst, dann weißt du ich bin immer für dich da.“ Sie schenkte mir ein Lächeln und schwang ihr Bein über ihr Rad. Ich tat es ihr gleich, winkte ihr leicht und fuhr dann los. Ich war froh, wie locker sie das manchmal nahm. Bei Gelegenheit sollte ich ihr vielleicht alles erzählen, sonst würde sie irgendwann doch noch sauer werden, da sie mir immer alles sofort erzählte. Abwesend fuhr ich nach Hause und ging eine kleine Runde mit Balu. Im Laufe des Tages hatte Flo mir eine Nachricht geschrieben. Wir würden uns um sechs Uhr am Waldrand treffen. Nachdem ich die Runde mit Balu beendet hatte, nahm ich mir ein Glas Milch und setzte mich auf die Kücheninsel. Normalerweise fand ich Milch nicht sonderlich ansprechend, also nicht schlecht, aber eben auch nicht gut genug um sie ohne Kaffee, Kakaopulver oder Frühstücksflocken zu trinken. Danach stellte ich das Glas in die Spüle und sah wieder in den Kühlschrank. Es gab nichts Besonderes darin, aber ich hatte gerade einen riesigen Heißhunger. Weiter unten entdeckte ich eine kleine weiße Dose und sah sie mir genauer an. Heringsfilet in Sahnesoße, das war genau das richtige! Sofort schloss ich den Kühlschrank, riss den Deckel ab und lehrte binnen Sekunden den Becher.
„Schatz geht es dir gut?“ Gerade als ich die zweite Dose aus dem Kühlschrank geholt hatte, sah mich meine Mutter besorgt an. Ich nickte mit dem Kopf und öffnete die zweite Dose.
„Alles gut, ich hatte nur Hunger.“
„Und dann isst du das so? Ich meine es ist deine Sache, aber es wundert mich nur. Vor allem weil es recht viel ist.“ Ich hob die Dose etwas höher und erst jetzt bemerkte ich, dass ich dann insgesamt fast ein Kilo davon gegessen hatte. Ich aß weiter und dachte meine Mutter würde wieder aus der Küche gehen, doch sie sah mich weiterhin komisch an. Dann mit einem Mal änderte sich schlagartig ihr Gesichtsausdruck. Ich warf die zweite Dose wie auch die erste in den Müll und legte die Gabel zum Glas in die Spüle. Danach drehte ich mich wieder zu meiner Mutter die auf meinen Bauch sah. Ich sah ebenfalls darauf, war aber irritiert, da ich nichts Sonderbares sah.
„Habe ich zugenommen oder ist da ein Fleck oder warum siehst du so auf meinen Bauch?“ Meine Mutter sah mir wieder ins Gesicht.
„Ich hatte mich nur gefragt…also möglicherweise…“ Was war denn mit meiner sonst so direkten Mutter los?
„Frag was du fragen willst.“ Erst schien sie noch zu überlegen, doch dann stellte sie ihre Frage.
„Bist du schwanger?“ Ich riss meine Augen auf und sah starrte meine Mutter an.
„Wie bitte kommst du darauf? Und nein bin ich nicht.“
„Naja du scheinst mir im Moment etwas abwesend zu sein und dann jetzt deine eigenartigen Vorlieben bei einem riesen Hunger. Bist du dir sicher? Also ich meine es gibt ja immer Zufälle und-“ ich riss meine Hände in die Lüfte, um sie zu unterbrechen.
„Zum einen hatte ich wirklich nur Hunger und zum anderen würde ich mich in Maria umtaufen wenn ich schwanger wäre und das Baby würde ich Jesus nennen.“ Erst überlegte sie, aber dann schien sie zu verstehen was ich ihr damit sagen wollte.
„Na gut. Ich weiß schließlich nicht, ob du es mir sagen würdest, wenn es soweit wäre. Aber jetzt ein anderes Thema. Eigentlich bin ich in die Küche gekommen, da Gert und Britta noch zwei Eier für den Kuchen fehlen. Könntest du sie ihnen vielleicht rüber bringen? Dann fange ich schon mit dem Kochen an.“ Ich nickte und holte zwei Eier aus dem Kühlschrank und lief dann schnell zu unseren Nachbarn rüber. Gerade als ich klingeln wollte, hörte ich das leise Miauen ihrer Katze neben meinem Bein. Entgegen meiner Erwartung fing sie an sich an mein Bein zu kuscheln. Ich klingelte und streichelte kurz über ihr Fell. Sie fing direkt an zu schnurren und kuschelte sich wieder an meine Beine. Die Tür wurde geöffnet und Britta stand vor mir. Ich hielt ihr die Eier entgegen, woraufhin sich ein Lächeln in ihrem Gesicht bildete.
„Oh vielen Dank! Ihr seid unsere Retter. Komm doch kurz rein.“ Sie ging einen Schritt zur Seite, um mir Platz zu machen. Vorsichtig trat ich ein und achtete darauf nicht auf die Katze zu treten. „Rapunzel schein dich zu mögen.“ Sie schloss die Tür und ging in die Küche. Ich ging ihr hinterher und übergab ihr dann die Eier.
„Ihre Katze heißt Rapunzel?“ Ich kniete mich hin und streichelte die Katze, Rapunzel.
„Ja, aber dazu gibt es auch eine Geschichte. In ihren ersten zwei Lebensjahren hat sie bei einer kleinen Familie gelebt. Die vierjährige Tochter hatte sie gegen den Willen ihrer Eltern immer Rapunzel genannt, weil sie recht langes und wuscheliges Fell hat. Allerdings wurde die Tochter eines Tages angefahren, als sie der Katze über die Straße hinterher gelaufen war. Es ist zum Glück nichts allzu schlimmes passiert, da der Fahrer nicht sehr schnell war, aber die Eltern wollten es nicht nochmal riskieren und haben sie dann abgegeben. Als ich das kleine Mädchen sah, wollte ich ihr wenigstens ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern, also hatte ich ihr versprochen sie auch Rapunzel zu nennen. Eigentlich hatte ich es da nicht wirklich ernst gemeint, aber irgendwie sind wir dann wohl doch bei dem Namen geblieben.“ Sie warf mir ein Lächeln zu und machte die Eier in eine Schüssel. „Gert sagt, Rapunzel ist so unfreundlich zu anderen wegen ihrem Namen.“ Sie lachte auf und ich musste auch etwas lachen. Ganz unrecht hatte er bestimmt nicht, denn dieser Name war meiner Meinung nach wirklich kein Geschenk. Da ich nicht wusste was ich tun sollte, sah ich mich etwas um. Die Küche und das Esszimmer waren im selben Raum und das Wohnzimmer war nur durch eine halbe Wand getrennt. Rapunzel hatte sich mittlerweile an ein kleines kissenartiges Teil gekuschelt und rieb ihren Kopf häufig darüber.
„Was ist das?“ Ich deutete auf das kissenartige Teil und sah Britta an.
„Oh das ist Katzenminze. Wie du siehst lieben Katzen den Duft.“ Ich kniete mich neben Rapunzel und hob es an meine Nase, als sie sich davon entfernt hatte. Der Duft war sogar wirklich toll! „Tut mir leid, wenn es jetzt etwas unfreundlich klingen sollte, aber ich muss noch einiges im Haushalt machen, also wäre es schön wenn du jetzt wieder gehen würdest.“ Ich stand schnell auf und ging mit ihr zurück zur Haustür.
„Kein Problem, zuhause wartet vermutlich auch schon das Essen auf mich.“ Ich schenkte ihr noch ein Lächeln und lief dann nach Hause. „Bin wieder da.“ rief ich laut, als ich die Tür wieder geschlossen hatte. Meine Mutter stand wie erwartet vor dem Herd.
„Was hat denn so lange gedauert?“
„Ich hatte noch mit Britta über Rapunzel geredet. Wusstest du, dass ihre Katze Rapunzel heißt?“ Meine Mutter drehte sie halb zu mir und sah mich ungläubig an.
„Was hast du da?“ Sie deutete auf meine Hand. Ich sah ebenfalls darauf und schlug mir dann mit der anderen Hand gegen die Stirn.
„Das ist Katzenminze. Ich sollte die wohl bei Gelegenheit zurück bringen.“ Meine Mutter schüttelte kurz den Kopf, aber kam dann mit dem Essen an den Tisch. Obwohl ich vor weniger als einer Stunde ein Kilo Hering mit Sahnesoße zu mir genommen hatte, konnte ich schon wieder gut essen. Nach dem Essen ging ich hoch in mein Zimmer und machte die Hausaufgaben schnell fertig. Danach warf ich einen Blick auf die Uhr, es war halb sechs. Mit einem Mal fiel mir wieder ein, was ich in den letzten Stunden vergessen konnte. Schnell zog ich mir meine Jacke und Schuhe an, dieses Mal dachte ich aber an mein Handy, ich verließ das Haus mit einem „Bin weg.“.
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Spiegelwelten
FantasyAls Mailea dem mysteriösen Floriel scheinbar zufällig begegnet, spürt sie sofort, dass etwas an ihm anders, besonders ist. Zuerst fürchtet sie ihn und seine gefährliche Ausstrahlung, doch schon bald lässt sie sich von ihm in eine bedrohliche, ihr un...