Kapitel 11
Ich riss meine Augen auf und sah mich hektisch um. Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich mir meine Jacke und Schuhe angezogen und rannte los. Wie bei einem Szenenwechsel befand ich mich mit einem Mal im Wald. Um mich herum waren manche Dinge ziemlich verschwommen, aber einzelne Dinge waren schärfer hervorgehoben. Ich sah mich in der Gegend um, bis ich eine kleine Bewegung auf dem Boden wahrnahm. Ich rannte darauf zu und erkannte, dass es sich um einen Hasen handelte. Der Hase rannte weg, doch mein Körper bewegte sich wie von allein hinterher. Normalerweise wäre ich vermutlich schon längst hingefallen, doch in diesem Moment sah ich alle Hindernisse ganz klar vor mir, genauso wie ich genau wusste, wo ich hin laufen musste, um an dem Hasen dran zu bleiben. Ich hörte das rascheln, welches er beim Rennen verursachte, ich konnte seinen Duft wahrnehmen und ich konnte wider erwarten eine erstaunlich lange Zeit sein Tempo halten. Nach einer Weile kam ich jedoch in einen dichteren Teil des Waldes. Der Boden war schlammiger und machte es mir schwieriger das Tempo zu halten, doch die Geräusche des Hasen konnte ich noch hören, also war ich immer noch ziemlich schnell. Gerade als ich wieder in einen lichteren Teil des Waldes kam, merkte ich einen leichten Druck an meinem Arm. Ich sah zu der Stelle und erkannte an meiner Jacke einen Riss. Ich ignorierte ihn aber wieder und lief wieder dem Hasen hinterher. Das Geräusch war schon deutlich leiser, doch nach einer Weile schaffte ich es wieder näher zu kommen. Wie schaffte ich es bloß schneller als ein Hase in dem Wald vorwärts zu kommen? Als ich ihm noch ein Stück näher kam, gab ich nochmal mehr Tempo, damit ich ihn tatsächlich noch erreichen würde. Ich hatte gerade eine Bewegung im Laub erkannt, als die Umgebung um mich herum anfing zu verschwimmen. Ich wurde deutlich langsamer und hörte nur noch meine Atmung und die Schritte im Laub. Ich wurde noch langsamer und sah mich um. Alles wurde undeutlich und erst jetzt merkte ich wie dunkel es um mich herum war. Ich blieb stehen und hielt mich mit einer Hand an einem Baum fest. Vollkommen außer Atem krallte ich mich daran fest um nicht umzukippen. Es wurde um mich herum immer dunkler und verschwommener, bis es irgendwann komplett schwarz war und meine Beine nachgaben.
Mit einem Mal saß ich aufrecht in meinem Bett und sah mich um. Ich sah nichts Ungewöhnliches. Meine Tür war genau wie das Fenster geschlossen, durch das Fenster erkannte ich das geringe Licht durch die Straßenbeleuchtung. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es fünf Uhr morgens war. Hatte ich wirklich von gestern Mittag bis jetzt durchgeschlafen? In letzter Zeit war wirklich nicht alles in Ordnung mit mir, vielleicht sollte ich bei Gelegenheit mal zum Arzt gehen. Normalerweise musste ich erst in einer Stunde aufstehen, aber da ich nun wach war und gestern keine Hausaufgaben mehr gemacht hatte, stand ich so leise wie möglich auf und machte mich dann tatsächlich um fünf Uhr morgens an die Arbeit. Als ich fertig war, war es gerade mal halb sechs. Ich ging nach unten in die Küche und machte das Frühstück für meine Familie. Dadurch hatte ich eine Beschäftigung und meine Mutter hatte morgens mal etwas mehr Zeit.
„Guten Morgen. Wie kommt es, dass du schon wach bist? Hast du nicht gut geschlafen?“
„Guten Morgen. Nein ich habe einfach zu viel geschlafen und war schon früher wach. Ich dachte mir ich tu dir einen Gefallen und mache schon mal das Frühstück.“ Ich lächelte meiner Mutter entgegen und sah zu, wie sie sich freudig an den Tisch setzte. Da sie heute mehr Zeit hatte, erzählte ich ihr, was ich geträumt hatte und wartete dann auf ihre Reaktion, während wir gemeinsam frühstückten.
„Mich würde das an eine Katze oder so erinnern. Ich meine du hattest sowas wie Instinkte und warst anscheinend ziemlich schnell.“
„Aber ich war nicht so nah am Boden, ich war wenn dann mindestens ein riesiger Tiger.“ Ich philosophierte noch eine Weile mit meiner Mutter über den Traum, bis sie sich noch weiter fertig machte und ich mich langsam ebenfalls fertig machen musste. Auf dem Weg nach oben in mein Zimmer merkte ich einen deutlichen Muskelkater in meinen Beinen. Woher hatte ich den denn jetzt? Vermutlich kam der verspätet von vor zwei Tagen, als ich mich mit Flo treffen wollte. Kaum hatte ich mich fertig gemacht, drehte ich eine Runde mit Balu. Als ich mit Balu wieder zurück kam, saß eine Katze in der Nähe unseres Hauses. Ich erinnerte mich wieder an meinen Traum und da ich Katzen eh liebte, blieb ich stehen und lockte sie zu mir. Wider erwarten kam sie sofort freudig auf mich zu kuschelte sich an meine Hand, die ich ihr entgegen hielt. Balu saß ruhig neben mir und wartete darauf, dass wir weiter gingen. Er hatte zum Glück kein Problem mit Katzen, deshalb blieb er auch so ruhig. Nach einer Weile musste ich aber wieder rein und bewegte mich langsam zur Haustür, damit ich nicht über Balu oder die Katze stolpern würde.
„War das nicht die Katze von unseren Namen?“ Meine Mutter stand im Flur und sah mich überrascht an, als ich mit Balu das Haus betrat.
„Kann sein, wieso?“
„Wieso? Ich weiß nicht, vielleicht, weil die sonst nie Fremde an sich ran lässt. Das müsstest du am besten wissen.“ Sie sah mich nochmal kurz an und ging dann wieder zurück in die Küche. Meine Mutter hatte recht, unsere Nachbarskatze war schon älter, aber sie hatte auch früher nie Fremde an sich ran gelassen. Vor ein paar Jahren hatte ich noch manchmal versucht sie zu streicheln, aber nachdem sie mich immer zerkratzt hatte, hatte ich irgendwann Abstand von ihr gehalten. Warum war sie dann plötzlich so freundlich zu mir? Ich zog meine Schuhe aus und lief wieder nach oben in mein Zimmer, um die restliche Zeit vor der Schule zum aufräumen zu nutzen. Ich lief so schnell es eben mit Muskelkater ging durch mein Zimmer und hob überall meine Klamotten auf. Bei meiner Jacke stoppte ich jedoch. Ich legte die gesammelten Sachen auf meinem Bett ab und nahm mir dann meine Jacke.
„Mum hast du rein zufällig in den letzten Tagen meine Jacke angezogen?“ schrie ich laut, damit sie mich auch so hören konnte.
„Nein habe ich nicht, wieso? Findest du sie nicht?“ kam ihre Antwort kurz darauf.
„Doch ich habe sie, aber die ist vollkommen dreckig.“ Ich sah wieder auf die Jacke und sah sie mir genauer an. Gerade als ich sie zu den dreckigen Sachen legen wollte, fiel mir ein kleiner Riss auf. Ich schlüpfte mit meinem Arm in den Ärmel, um zu erkennen wie groß das Loch war und begutachtete es ausführlich, in der Hoffnung, ich würde dadurch erfahren, was passiert war. Gerade als ich wieder in einen lichteren Teil des Waldes kam, merkte ich einen leichten Druck an meinem Arm. Ich sah zu der Stelle und erkannte an meiner Jacke einen Riss. Es traf mich wie ein Schlag. Ich zog meinen Arm wieder aus dem Ärmel und erkannte an der Stelle, wo der Riss im Ärmel war, einen kleinen blauen Fleck an meinem Arm. Ich schüttelte den Kopf und warf die Jacke zu den anderen dreckigen Sachen und brachte kurz darauf alle in den Keller. Was auch immer ich gemacht hatte, ich war bestimmt nicht im Wald und hatte einen Hasen verfolgt.
„Mai kommst du mal?“ Ich wollte eigentlich noch eine Wäsche machen, aber der Ton meiner Mutter ließ keine Verzögerung zu. Ich ging die Treppe hoch und fand meine Mutter im Flur vor. Sie sah alles andere als begeistert aus. „Ich habe dir keine neuen Schuhe gekauft, damit du sie kurz danach vollkommen versaust!“ Sie deutete auf meine schwarzen Schuhe. Jedenfalls waren sie einmal schwarz gewesen, jetzt waren sie über und über mit Schlamm bedeckt. Nach einer Weile kam ich jedoch in einen dichteren Teil des Waldes. Der Boden war schlammiger und machte es mir schwieriger das Tempo zu halten, doch die Geräusche des Hasen konnte ich noch hören, also war ich immer noch ziemlich schnell. Was sollte ich denn meiner Mutter erzählen? Der Traum von dem ich dir erzählt habe war kein Traum? Da wäre ich wohl spätestens morgen im Krankenhaus oder in der Irrenanstalt.
„Tut mir leid, Balu hatte mich in den dichteren Teil vom Wald gezogen, wo es anscheinend ziemlich schlammig war.“ Meine Mutter war anscheinend genauso überzeugt von der Aussage wie ich, aber sagte trotzdem nichts mehr dazu und verließ dann das Haus mit einer wegwerfenden Handbewegung. Ich hätte wohl nicht sagen sollen, dass Balu mich gezogen hätte, denn sowas machte er seit Jahren nicht mehr. In Gedanken versunken ging ich die Treppe hoch, wobei es für Außenstehende wohl ziemlich lustig aussehen müsste. Oben angekommen nahm ich meine Tasche und mein Handy und ging wieder runter um kurz darauf mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Ich verbrachte den kompletten Weg über eine ansatzweise vernünftige Erklärung zu finden, fand allerdings keine. Ich denke eher, dass das kein Traum war. Der gestrige Satz von Flo kam mir immer wieder in den Sinn. An der Schule angekommen stellte ich mich auf den Schulhof und wartete wieder auf Lily. Das machte alles keinen Sinn. Alles was nicht vollkommen unlogisch war, war, dass ich schlafgewandelt wäre oder es kein Traum war. Das war allerdings beides auch wieder ziemlich abwegig, da ich zum einen soweit ich wusste noch nie schlafgewandelt war und zum anderen niemals freiwillig einen Hasen jagen würde.
„Kannst du mir heute vielleicht doch von deiner Theorie erzählen? Ich werde auch wirklich zuhören.“ Kaum hatte ich die Nachricht an Floriel gesendet, kam Lily auf mich zu und fing an von irgendetwas zu erzählen. Meine Gedanken waren allerdings immer noch zu vertieft in die unerklärlichen Dinge, weshalb ich fast nichts davon mitbekam. Als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte, warf ich schnell einen Blick darauf.
„Klar.“Seine Antwort war zwar knapp, aber sie genügte mir, um meine Gedanken wenigstens für eine Weile beiseite zu schieben und mich auf Lily und den darauf folgenden Unterricht konzentrieren zu können.
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Spiegelwelten
FantasíaAls Mailea dem mysteriösen Floriel scheinbar zufällig begegnet, spürt sie sofort, dass etwas an ihm anders, besonders ist. Zuerst fürchtet sie ihn und seine gefährliche Ausstrahlung, doch schon bald lässt sie sich von ihm in eine bedrohliche, ihr un...