»Es ist wirklich schön, eine junge Autorin mit einem solch ... düsterstem Thema zu sehen.«
»Düster?«, wiederholen Diana und ich zeitgleich, ehe wir uns zweifelnd ansehen. »Ich würde das Thema nicht als düster bezeichnen.«
»Nun, Ihre Hauptfigur bewegt sich doch am Rande eines Abgrundes«, erklärt die Frau vor uns, als hätte ich das Buch nicht selbst geschrieben. »Sie will sich umbringen.«
»Wollen wir das nicht alle mal?«, sagt Diana, bevor ich ihr mit dem Ellbogen in die Seite boxe. Mag sein, dass ich ihren Humor schätze und einzuordnen vermag, fremde Leute sehen das vermutlich anders.
Wie die Frau, die ... was ist sie eigentlich? Verlegerin, selbst Autorin oder Buchhändlerin? Ich bin mir nicht sicher, es waren zu viele Menschen in den letzten Tagen. Zu viele Gesichter, die ich alle niemals wiedersehen werde und die mir nichts bedeuten. Wer jemals gesagt hat, dass Autor sein kein anstrengender Beruf ist, hat sie nicht mehr alle.
»Bald ist die große Buchmesse, sehen wir Sie da auch?«
Nickend trinke ich einen weiteren Schluck Kaffee, um nicht laut antworten zu müssen.
Die Buchmesse ist mein letzter Stopp – findet sie immerhin in meiner Heimatstadt statt. Was allerdings noch immer ewig dauert. Ewig und siebzehn Tage.
Diana verwickelt die Frau in weiteres Geplänkel und dankbar streiche ich ihr über die Schulter. So allmählich bin ich die ganzen Gespräche leid. Nicht dass es nicht auch Spaß macht, was zum größten Teil an Diana liegt. Sie erobert die Herzen der meisten Menschen im Sturm und ist laut, wenn ich leise sein muss. Sie übernimmt, wenn ich nicht mehr kann und sie deckt mich, wenn ich eine Auszeit brauche. Was in den vergangenen vier Wochen öfter vorgekommen ist, als ich vermutet hätte. Aber durchschnittlich ein bis zwei Tage in einer Stadt ... das ist nicht viel. Mich immer wiederholen zu müssen, Fragen beantworten müssen, mit Fremden reden ... Der Albtraum eines jeden introvertierten Einsiedlers.
Diana hingegen blüht auf. Ihr macht es wirklich Spaß und das ist wohl das Überraschendste an dieser Tour. Die Freude, die sie empfindet, mich anzupreisen.
»Du könntest den Rest auch alleine machen«, scherze ich später in der Nacht in unserem Hotelzimmer und lasse mich rücklings aufs Bett fallen.
Meine Füße haben noch nie so sehr geschmerzt. Ebenso wie meine rechte Hand, die von den ganzen Autogrammstunden wundgeschrieben zu sein scheint.
Verdammt, Autor sein ist harte Arbeit.
»Du bist besser darin, mich zu verkaufen, als ich.«
»Das liegt daran, dass ich dich mag«, sagt sie mit einem Grinsen, das ich gut einzuschätzen weiß. »Außerdem ist es eine Sache der Übung, vor Menschen zu reden. Das kriegst du noch hin.«
Darum geht es mir nicht, aber da ich keine Lust auf eine weitere Diskussion habe, belasse ich es dabei und ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche.
Keine neuen Nachrichten. Wie verwunderlich.
»Sei nicht so eine liebeskranke Idiotin.« Diana stellt den Wasserkocher aus, den jedes unser bisherigen Zimmer extra für uns bereit gestellt hat. »Er wird sich nicht melden.«
»Schlimmer wäre es nur, wenn du jetzt gesagt hättest 'Er steht einfach nicht auf dich'.«
»Nichts liegt mir ferner, als dir etwas so offensichtliches mit schlechten Filmtiteln unter die Nase zu reiben.« Wieder grinst sie in meine Richtung, doch diesmal sehe ich das schlechte Gewissen.
Nach dem Tag von Skyes Beerdigung gibt Diana sich die Schuld an dem Kontaktabbruch zwischen Sam und mir. Dabei trägt auch sie nur eine Teilverantwortung. Sam und ich sind erwachsene Menschen, wenn wir es nach vier Wochen nicht schaffen, Kontakt zueinander aufzunehmen, ist das unsere Schuld.
Wobei ich es versucht habe. Mehrfach. Zu oft vermutlich.
Ich schrieb ihm Nachrichten, zu viele, als dass es gesund sein sollten. Ich schrieb ihm sogar Briefe, rief ihn an. Immer mit demselben Ergebnis. Funkstille. Vergangene Woche schickte ich Papa in die Wohnung, weil ich meine größte Angst darin sah, dass etwas mit meinem besten Freund war. Doch es ging ihm gut. Er wollte nur nicht mit mir sprechen.
»Wenn wir zurück sind, werden wir das schon klären.«
Schnaubend richte ich mich auf, entledige mich meiner Schuhe und stehe schwerfällig auf, um meinen Ordner vom Tisch zu klauben. Der Ordner mit meinen Zukunftsideen darin.
»Das dauert aber noch zu lange.«
»Du bist einfach liebeskrank«, stöhnt Diana, erhebt sich ebenfalls von ihrem Stuhl und geht an ihre Jackentasche. Kurzzeitig abgelenkt blättere ich zu der letzten bearbeiteten Seite, einem ungeliebten Finanzplan, der weiter ausgearbeitet werden muss. Er soll so perfekt wie möglich sein, bevor ich ihn Lucian vorlege, der ehemalige Partner meiner Großmutter und meines Vaters. Er pflegte jahrelang die Finanzen und die Buchhaltung der MoonInc.
Diana streckt mir unerwartet etwas unter die Nase und brummt ein »Hier«, während ich ihr schon das Stück Zettelchen aus der Hand nehme.
»Ein Zugticket?«
»Ein Zugticket. Ich hab mit Angelique gesprochen. Morgen früh um fünf geht es los, morgen Abend musst du wieder hier sein. Sprich mit ihm und werde endlich deine miese Laune los.«
»Du bist die Beste!« Mehr kann meine beste Freundin gar nicht sagen, weil ich ihr die Arme um den Hals schlinge und sie mir aufs Bett ziehe, während ich dabei aufgeregt quietsche.
»Sag mir das nicht zu oft, mein Ego leidet noch darunter.« Doch ich weiß, dass es sie freut. Genau wie sie es freuen wird, dass sie einen entscheidenden Part in meiner Zukunft einnehmen wird. Denn was wäre eine Kassandra Moon ohne einen Partner?
Papa holt mich Zuhause vom Bahnhof ab und scheint mich nicht mehr loslassen zu wollen. Was mich nicht verwundert, immerhin kommt es höchst selten vor, dass wir uns solange nicht sehen.
»Wie läuft es?«, fragt er gleich darauf, als würden wir nicht jeden Abend mindestens eine halbe Stunde miteinander telefonieren, sodass er bestens informiert ist.
Ja, man kann mich Papa-Kind nennen, aber das ist okay, ich bin es gerne. Jahrelang habe ich versucht, ihn aus allem rauszuhalten und man sieht, wohin das geführt hat.
»Können wir einfach nur nach Hause fahren? Zu meinem Zuhause?«, bitte ich ihn leise. »Ich möchte das endlich aus der Welt schaffen.«
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Everyday at 5AM {I'm asleep}
General Fiction»Jeden Morgen um fünf Uhr liege ich in meinem Bett. Jeden Morgen um fünf Uhr bin ich tief und fest am Schlafen. Das ist nicht unbedingt der spannendste Einstieg in diese Erzählung - aber es ist der Anfang meiner Geschichte.« Kassandra Moons Leben be...