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»Das könnte mitunter deine dümmste Idee sein.«
»Ich weiß.«
»Du hast noch immer keine Ahnung von sowas.«
»Definiere 'sowas'.«

Diana schweigt. Ziemlich lange. Bis ich durch die Telefonleitung ein Seufzen vernehme, das auch gut ein Stöhnen sein könnte. Beides sehr angemessene Reaktionen auf meine Idee.
Kurzerhand eröffne ich einen Videochat und zeige ihr, was ich meine. Mit ausladenden Handbewegungen und meiner überzeugenden Vorstellungskraft schaffe ich es, sie zumindest ansatzweise zu beeinflussen. Auch wenn sie noch etwas skeptisch schaut, sehe ich ein kleines Strahlen in ihrem Blick, das nicht durch die schlechte Verbindung zustande kommt.

»Du kannst damit echt mega auf die Schnauze fallen, Kassy«, wirft sie erneut ein, was ich mit einem Schulterzucken abtue. Nicht dass ich mir keine Sorgen mache, doch es ist eine fixe Idee. Bevor diese aus meinem Kopf verschwindet oder meine Zweifel mir alles ruinieren, will ich Diana davon begeistern. Damit sie mich mit dieser Begeisterung zurück anstecken kann, wenn es soweit ist, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

»Es wäre eine Zukunft. Wir sind jung.«
»Wir?«
Nickend schalte ich auf simple Telefonie zurück und halte mir das Handy wieder ans Ohr. »Natürlich wir. Du wirst meine Partnerin.«

»Dass ich aber nichts einbringen kann, wäre das noch riskanter. Such dir jemanden, der dich unterstützen kann.«

Es gibt keine Sekunde Zögern vor meiner Antwort. Ist auch nicht nötig. »Das tust du. Hast du immer.«

  

Die Bahnfahrt zurück zu Diana und meinem eigentlichen Job verbringe ich damit, Listen zu erstellen, was noch gemacht werden müsste, was wir besorgen müssten, wie wir es aufziehen würden. Tausendundeine Idee fliegt durch meinen Kopf und als die Bahndurchsage mein Ziel ankündigt, bin ich noch immer so schlau wie vorher. Nur dass ich jetzt einen zweiten riesigen Stapel loser Blätter habe, auf dem Notizen stehen, die meine Zukunft bedeuten könnten.

»Bitte sag mir, dass das dein neuer Roman ist«, begrüßt Angelique mich keine zehn Minuten später und versucht einen Blick auf die Kritzeleien zu werfen. »Denn wenn jetzt nicht irgendein berühmter Blogger anfängt, dich schlecht zu machen und ihm seine zehntausend Fans nacheifern, stehst du besser im Kurs als erwartet.«

»Bestseller-Material?«, scherze ich, doch Angeliques Gesicht bleibt ernst und konzentriert.

Als ob ... Das wäre ... Es war doch nur ein Versuch. Als würde direkt das erste Buch einer unbekannten Autorin zum Bestseller werden. Gerade jetzt, kurz vor der Buchmesse, wenn alle großen Autoren neue Bücher herausbringen. Niemals. Oder doch?

»Wie lief es bei deinem Schatz?«

In der ganzen Aufregung und neu gefundener Inspiration habe ich gut verdrängen können, dass Sam so abweisend wie noch nie zuvor war. Es fällt leicht zu vergessen, was vor einem liegt, wenn man die Augen schließt.

»Können wir bitte über etwas anderes reden?«, bitte ich sie beim Einsteigen ins Taxi. Ich bin noch nicht bereit, mit jemanden darüber zu reden, was geschehen ist. Abgesehen von Papa, versteht sich. Diana habe ich ebenfalls abgewiegelt, ihr versprochen es ihr am Abend zu erzählen, auch wenn ich das nicht vorhabe.

Es ist noch zu frisch, meine eigenen Gedanken sind noch zu ... unwirsch. Noch weiß ich selbst nicht, was ich von der Situation halten soll, wie ich damit umgehen kann. Also versuche ich das beste Mittel, das ich kenne: Verdrängung.

»Du hast morgen ein Interview in dieser Gesamtschule von der ich dir erzählt habe und anschließend gehen wir mit dem elften Jahrgang zu dieser Benefizveranstaltung von diesem einen Musiker ... Du weißt schon, der, der versucht hat sich umzubringen ... Jedenfalls werdet ihr beide dann eine kleine gemeinsame Rede halten und viele schöne Fotos für die Presseschießen. Vergiss nicht, ein neues Buch anzudeuten, egal welches, hinterher können wir immer noch behaupten, dass du dich umentschieden hast und –«

Zum ersten Mal stoppt Angelique in ihrem Monolog und schaut mich direkt an. Es ist nicht so, dass ich ihr nicht zugehört habe, denn das habe ich. Ich wollte nur nicht reagieren.

»Ich habe dir nie gesagt, wie leid es mir tut, dass Skye gestorben ist.«

Ihre Themenwahl überrascht mich. Klar, Angelique kennt meine Familie, doch sie hält schon seit Monaten die professionelle Distanz ein. Als ich ihr sagte, dass ich wegen der Beerdigung die Tour um einige Tage verschieben müsse, schien sie genervt zu sein. Anteilnahme passt also nicht so wirklich zu ihr.

»Ich setze dich oft Druck aus, den du wahrscheinlich als ungerechtfertigt empfindest. Wie die Sache mit den Schulen und den Reden und der langen Tour. Ich weiß, was du davon hältst und ich weiß, dass ich deswegen in der Liste deiner Lieblingsmenschen einiges an Punkten verloren habe.«

Was sie nicht sagt.

»Es wäre auch gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte dabei ausschließlich dein Bestes im Geiste gehabt, denn mir ging es auch um meine Provision und darum, beim Verlag gut abzuliefern. Immerhin ist das mein Job.«

Was sie mir mehr als einmal vorgeworfen hat in den vergangenen Wochen. An Angelique konnte ich bisher immer gut leiden, dass sie unabhängig ist und mein Interesse als Hauptziel hat. Sie arbeitet nicht für einen Verlag, sondern mit ihm, um mir zu helfen.

»Aber ich sehe dennoch dich. Ich sehe, welche Fortschritte du gemacht hast und wie wacker du dich schlägst, bei allem, was dir in den Weg geworfen wird. Sei stolz auf dich – ich bin es.«

Everyday at 5AM {I'm asleep}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt