»So allmählich solltest … du es deinem … Vater aber sagen.« Dianas Worte werden fast von ihrem Keuchen verschluckt, was bei mir nicht anders sein wird, weswegen ich stillschweigend die nächste Kiste hochhebe und zum Auto bringe, das draußen parkt.
»Er wird es früh genug erfahren«, bringe ich nach einigen Minuten Pause und einem halben Liter Wasser raus. Obwohl es recht eisige Temperaturen draußen sind, frieren wir beide nicht. Was auch kaum möglich ist, bei all den Möbeln und Kisten, die wir geschleppt haben in den vergangenen drei Stunden.
Seit der Buchmesse sind bereits unfassbare dreieinhalb Monate vergangen und meine – unsere – Pläne sind einen großen Schritt gewachsen. Denn es sind nicht nur mehr Träume, es ist zur Realität geworden.
Ohne Papas Zutun oder Hilfestellung haben wir einen Kredit aufgenommen, der vergangene Woche endlich bewilligt wurde. Da wir so viel Geld wie möglich sparen wollen, verzichten wir auf einen Innenarchitekten, haben uns aber Ratschläge bei Lucian geholt. Er hat die MoonHours geleitet und kennt sich immerhin damit aus, was es heißt, ein Café zu eröffnen.
Ja, ein Café. Kein MoonHour, kein 24h-Café, sondern etwas anderes, eigenes. Ich will meiner Familie, unserer Tradition treu bleiben, aber ich will auch etwas eigenes erschaffen. Es wirkt wie das perfekte Projekt für mich. Es ist alt und neu. Beides gleichzeitig.
»Bei der Eröffnung?«, feixt Diana weiter und lehnt sich erneut auf meiner Couch zurück. »Ich bin so erledigt. Mir tut alles weh.«
»Wie das so ist, wenn man Tonnenweise Kram durch die Gegend schleppt.«
Gestern schon haben wir angefangen, das Mobiliar des MoonHours zu entsorgen. Wobei nein, das klingt zu gemein. Still und heimlich haben wir es bei Papa ins Lager geschafft, wo es nicht verloren geht. Aber es hat keinen Platz mehr bei uns, Papa hat recht. Es war Kassandra Seniors Baby, Zeit für Kassandra Junior etwas Neues auf die Beine zu stellen.
Tag für Tag schuften Diana und ich. Sie arbeitet nebenbei noch in einem kleinen Klamottenladen und ich versuche ihr so viel Arbeit wie möglich ab zu nehmen. Sie soll sich nicht in etwas verrennen, nur weil ich eine fixe Idee hatte.Weil ich keine Ahnung von Handwerkssachen habe, besorgt Lucian uns alle, die wir brauchen. Durch seine Kontakte sparen wir ebenfalls einiges an Geld und als er eines Tages anruft, um zu sagen, dass er seinen Protegé schickt, damit er uns hilft, hätte ich nicht mit einer Mini-Ausgabe meines alten Familienfreundes gerechnet.
Mike ist kompetent, auch wenn er kaum älter ist als ich. Er hat Ahnung von dem, was er macht und wir sind schnell ein kompatibles Team.
Es läuft gut. Fast zu gut, um wahr zu sein.
Natürlich gibt es noch viele dunkle Tage. Momente, bei denen ich mir wünschte, Sam wäre da, um sie mit ihm zu teilen. Momente, in denen ich meinen besten Freund mehr vermisse, als ich laut zugeben möchte. Ich habe nicht nur ihn verloren, ich habe uns verloren. Ein Teil von mir ging mit ihm und es ist erschütternd, wie sehr ich meine Welt um ihn aufgebaut habe. Kein Wunder, dass sie erst einmal in Einzelteile zerbrach.Deswegen ist die Ablenkung und der Stress hervorragend. Sie sorgen dafür, dass ich keine ruhige Minute zum Nachdenken und Zweifeln habe. Dass mir keine Zeit bleibt, mir darum Sorgen zu machen. In letzter Zeit bin ich einfach nur.
»Es ist März.«
»Ich weiß.«
»Du musst in wenigen Tagen auf die Buchmesse in Leipzig.«
»Angelique, ich weiß.«
»Deine fehlende Internetpräsenz stört einige, weißt du.«Seufzend verkneife ich mir ein erneutes »ich weiß«, denn wir beide wissen, dass mir das mehr als bewusst ist. Aber es ist wie es ist. Ich habe ihr mitgeteilt, dass ich an einem neuen Projekt arbeite – einem Mehrteiler – und dass der erste Teil bereits steht. Sie weiß allerdings auch, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn veröffentlichen möchte. Das Leben vor Ort bietet mir mehr Anreiz als die Welt hinter dem Bildschirm, in der Buchwelt.
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Everyday at 5AM {I'm asleep}
General Fiction»Jeden Morgen um fünf Uhr liege ich in meinem Bett. Jeden Morgen um fünf Uhr bin ich tief und fest am Schlafen. Das ist nicht unbedingt der spannendste Einstieg in diese Erzählung - aber es ist der Anfang meiner Geschichte.« Kassandra Moons Leben be...