Epilog

296 59 41
                                    

Wenn das hier einer meiner veröffentlichten Romane wäre, würde ich niemals dieses Wort als Kapitelnamen setzen. Zum einen, weil es kein Epilog ist. Eine gerade erst begonnene Geschichte kann kein Ende haben. Zum anderen verabscheue ich das Wort in Büchern, weil es mir zu abgedroschen ist. Ich weiß auch nicht, ich bin seltsam, was das geschriebene Wort angeht.

Doch gerade ist mir danach, einen Epilog zu verfassen.

  
»Kassandra Moon, schwing deinen Arsch endlich aus der Küche und hilf mir!«

Niemand sonst benutzt solch wunderbare Ausdrucksweise, außer meiner besten Freundin. Schon gar nicht vor den Kunden, was ich ihr an jedem anderen Tag verbieten würde. Doch heute darf sie es. Heute darf sie unflätig sein und herumbrüllen und weinen und lachen und schreien soviel wie sie will. Denn heute ist ihr Tag. Unser Tag.

Heute wird das »Sun & Rain« ein Jahr alt.
Es ist vermutlich albern, meinem Café einen so lächerlich klingenden Namen zu geben. Doch er ist poetisch, mit Hintergrund und er bedeutet mir etwas.

Das Leben braucht beides, um zu gelingen. Das Leben braucht Sonnenschein und Regen. Nur so entstehen Regenbögen.

Anfänglich lief es schlecht. Sehr schlecht, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Unser Konzept war fehlerhaft und wir mussten viel einstecken. Die Konkurrenz an Cafés ist groß und unsere Idee musste erst einmal angenommen werden …

Was wir führen, ist kein normales Café. Wir haben meine Leidenschaft verwendet und haben das erste Buch-Café der Umgebung eröffnet. Ausgestattet mit mittlerweile über 200 Büchern, die unsere Kunden wie in einer Bibliothek ausleihen können. Zum Vor-Ort lesen oder mitnehmen. Wir haben eine Kaffee und Tee Flatrate eingerichtet und mehr Essen auf der Karte, als gut für den täglichen Kalorienbedarf ist. Wir wechseln uns mit den Gerichten ab, haben Buffet-Tage und gesetztes Essen. Wir verkaufen Kuchen und Torten, sowie Eis und andere Snacks.

Viel zu viel, wie wir am Anfang feststellen mussten. Mittlerweile werden wir angenommen, haben mehr Ahnung davon, was läuft und was nicht gut kommt. Wir lernten. Wie es sich gehört.

Papa war es letztendlich, der uns nach einem halben Jahr half, kurz bevor wir beschlossen aufzugeben. Er sprach uns gut zu, half uns mit den Finanzen und den Einkäufen. Er brachte uns bei, dass weniger manchmal mehr ist und dass Kunden Abwechslung brauchen. Dass wir nur so herausfinden können, was gut läuft, wenn wir uns abwechslungsreich präsentieren.

Optimal läuft es noch immer nicht, es könnte immer besser gehen. Doch es ist ein Versuch. Wenn es scheitert, dann werden wir traurig sein, aber auch mit einem lachenden Auge zurück sehen. Denn wir haben etwas gewagt. Nicht viele Menschen können das von sich behaupten.

 
»Du hast aber einen schönen Arsch.«
Sam schlingt von hinten seine Arme um meine Hüfte und bringt mich damit vor versammelter Kundschaft zum Grinsen.

Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass er zu mir gehört, jetzt voll und ganz. Doch das macht unsere Beziehung für mich aus. Das tägliche Glücklichsein, weil es kein Traum ist. Weil es real ist und ich jeden Tag dankbar sein kann. Mehr kann man sich für eine Beziehung wohl nicht erhoffen.

Jeden Monat fliegt er für ein Wochenende zu seiner Tochter, was zu viel Geld verschlingt. Egal wie oft ich ihn bisher bat, endgültig zu Leo zu ziehen, verneinte er es. Ich weiß nicht, ob ihn das ehrt, doch es ist seine Entscheidung.

   
»Ich möchte mich bei allen Anwesenden bedanken«, beginnt Diana ihre Rede und kurz schweifen meine Gedanken ab. Ach, seien wir ehrlich, ich höre ihr überhaupt nicht zu. An manchen Tagen hört sie sich noch zu gerne reden.

Stattdessen lasse ich einen Blick über die Räumlichkeiten schweifen. Über das erweiterte Café mit den gemütlichen Sitzecken, den vielen Büchern und Zeitschriften an den Wänden. Es ist einfach und bunt zusammengewürfelt, wie alles in meinem Leben es bisher war.

Das einzige, das ich von dem alten Café behalten habe und das nach wie vor hinter der Theke an der Wand hängt, ist die riesige Mond-Uhr, die in jedem MoonHour zu finden ist. Nur dass diese hier nicht funktioniert und auf ewig auf 21 Uhr eingestellt ist.

Familiengeschichte sollte man nicht loswerden. Nicht wenn sie einem alles geschenkt hat, was man ist.
Das ursprüngliche MoonHour existiert vielleicht nicht mehr, aber es hat uns zusammengebracht. Es hat mir meine Familie geschenkt.

   

»Mein Leben ist kein Roman.«
Wie oft ich diesen Satz schon schrieb und dachte. Dabei ist das doch gar nichts schlimmes. Romane sind voller Abenteuer und Hindernisse und Liebe und Mut und Angst. Romane erzählen Geschichten, ähnlich wie mein Leben.
Mein Leben ist also ein Roman. Ob mit einem Happy End, wird sich noch zeigen.

Denn …

Jeden Morgen um fünf Uhr liege ich schlafend in unserem Bett.

Jeden Morgen um acht Uhr klingelt mein Wecker und ich schaffe es gerade noch so, Sam zu verabschieden, bevor er zur Arbeit fährt.

Jeden Mittag um dreizehn Uhr trete ich meine Schicht in unserem kleinen Buch-Café an und verabschiede Diana, die meist die Frühschicht übernimmt.

Jeden Tag verbringe ich in dem Laden, der mein Ursprung ist, meine Heimat; an dem Ort, an dem die Moon-Familie ihren Anfang nahm, vor all diesen Jahren.

Jeden Abend um einundzwanzig Uhr warte ich auf meinen allerletzten Kunden, reiche ihm den letzten Tee des Tages und gehe mit ihm in unsere Wohnung.

Jede Nacht bin ich glücklich. Mit mir. Mit uns. Mit dieser Geschichte.

Everyday at 5AM {I'm asleep}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt