Kapitel 12 - Nrezgur

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Jeder wusste, dass Nrezgur nur aus Stein und Bergen bestand. Auf jeder Landkarte wurde es vermerkt und auch Reisende, die von dort zurückkehrten, stellten sicher, es zumindest einmal in ihren Geschichten zu erwähnen.

Doch nichts hätte mich auf die zerklüftete Felslandschaft vorbereiten können, die sich vor uns in alle Richtungen ausbreitete. An manchen Stellen klammerten sich kleine, kümmerliche Bäume an den kahlen Stein und reckten ihre dünnen Arme beinahe flehend dem Himmel entgegen.

Razgar thronte auf meiner Schulter und ließ keinerlei Zweifel an seinem Stolz. Dies war sein Reich.

In drei Tagen erreichen wir unser Ziel, verkündete er und sah mich an. Ihr werdet eure Reittiere zurücklassen müssen.

Stumm nickte ich und starrte die steilen Felswände an. Wie sollten wir da hoch kommen?

Der Wyvern schnaubte belustigt. Du und Black wolltet schon immer einmal fliegen, nicht wahr?

Schwer schluckte ich und nickte langsam, konnte aber den Blick nicht von den fast senkrechten, zerklüfteten Felsen vor uns abwenden. Es hatte etwas Beängstigendes, Ehrfurchgebietendes an sich, das ich aber nicht näher beschreiben konnte.

"Wenn man das Land sieht, wundert mich Razgars raue Art nicht mehr", murmelte Black leise. Ich lachte und sah den Wolf an, während Razgar erneut schnaubte. Allerdings schwieg er dazu und schüttelte sich kurz.

"Und mich wundert es nicht mehr, warum ein mächtiges Volk hier lebt", flüsterte ich und wandte mich wieder dem Stein vor uns zu, ehe ich meinen Rappen anhielt. Das Gelände war zu unwegsam um weiter reiten zu können.

"Wie kommst du denn darauf?" Black stieg ebenfalls von seinem Pferd ab und sah mich an. Dann machte er sich daran, dem Fuchsschecken seine Ausrüstung abzunehmen.

Ich folgte seinem Beispiel. "Dieses Land mag karg und rau sein, doch es ist auch mächtig. Hier fließt eine Macht, die mir beinahe Angst macht, gleichzeitig hat sie etwas Lockendes. Außerdem, sieh dich um. Obwohl es so rau und trostlos ist, hat es doch eine wilde, unbezwingbare Schönheit."

Niemand sagte etwas. Auch nicht Weise H'rhun, die von ihrem Maultier glitt und ihm über die Nüstern strich. Das Tier schnaubte und warf den Kopf zurück, ehe es sich herum drehte und den Rückweg antrat. Nachdenklich sah ich ihm nach und legte den Kopf schief.

Bevor ich aber etwas sagen konnte, landete eine Gruppe Falken neben uns. Sie trugen eine Art Geschirr bei sich, vermutlich wollten sie uns so transportieren. Ich kämpfte meine Angst nieder und holte tief Luft. Das Geflecht aus Gurten wirkte nicht sehr vertrauenserweckend, obwohl mir mein Gefühl sagte, dass sie diese Gurte bereits mehrmals genutzt und getestet hatten.

Razgar sah mich an. Vertrau ihnen und deiner Macht. Wenn es darauf ankommt, kannst du selbst fliegen.

Ich zögerte etwas und sah den Wyvern auf meiner Schulter an, der die Schwingen ausbreitete, bereit zu fliegen. Ich habe weder Flügel noch Schwingen!

Er lachte grollend und drehte den Kopf leicht. Du hast die Macht, alles zu sein, was du möchtest. Du könntest ein Adler sein oder ein Fisch. Du bist der Einzige, der stark genug ist, jeden seiner Träume wahr werden zu lassen.

Schweigend sah ich ihn an, ohne wirklich zu begreifen, was er soeben gesagt hatte. Einer der Falken stieß mir leicht gegen die Schulter, während einige anderen das Geschirr hielten und mich beobachteten. Offensichtlich erwarteten sie, dass ich mich in das Geschirr begab.

Schwer schluckte ich, ehe ich Black hilfesuchend ansah. Bevor er aber etwas tun konnte, ging ich auf die Falken zu und stieg in das Geschirr. Sie halfen mir dabei und zurrten alles fest, ehe sie einander zunickten. Mühsam unterdrückte ich ein Zittern der Angst. Obwohl ich kein Kämpfer war, hätte ich mich in diesem Moment lieber mit jemandem geschlagen als in diesem Geschirr zu sein. Black schien es nicht anders zu ergehen, als er in ein ähnliches Geflecht aus Seilen und Gurten stieg, das ebenso fest gezurrt wurde wie das meine.

Der letzte DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt