Die Warheit

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Es ist einige Zeit vergangen. Ich bin immer noch in der Klinik aber soweit stabil. Vielleicht war es dieser Punkt an dem es einfach nicht tiefer geht. An dem man merkt das man am Boden ist und nicht so weiter machen kann. Ich weiß es nicht genau, aber ich denke es war so ein Punkt.
Du wurdest auf eine andere Station versetzt, aber ich denke es hat uns beiden gut getan. Anfangs musste ich sehr kämpfen, aber da wir uns trotzdem fast jeden Tag gesehen haben, war es okay.

Beim Mittagessen ist wieder so ein Moment wo ich dich sehe. Manchmal reden wir ein wenig mit einander. Andere male gehst du stumm an mir vorbei. Ich rede mir dann immer ein, dass du gerade im Stress bist, oder vor den anderen Patienten Abstand zu mir halten musst, was ja auch verständlich ist. Doch heute gehst du direkt auf mich zu.

"Ich möchte, dass du nach dem Mittagessen rüber auf die Station kommst !"
Ich schaue wohl gerade so, als wenn man mir gesagt hätte, dass die Dinosaurier, noch immer am leben wären. Ich nicke bloß und bin in Gedanken schon dabei die verschiedensten Szenarien durch zu spielen. Sogar während des Essens denke ich nur darüber nach, was du wohl mit mir besprechen willst. Ja, sogar das Essen habe ich wieder gelernt. Es war ein Kampf aber ich habe es geschafft. Kontakt zu meiner Mutter wird auch bald stattfinden. Aber ich denke, das dass ganz gut funktionieren wird. Sie hat sich auch in psychologischer Behandlung begeben, um mich besser verstehen zu können. Um meine Handlungen etwas besser nachvollziehen, beziehungsweise verstehen zu können, obwohl ich es selber nicht mal verstehe. Aber das sie es für mich tut, zeigt mir auch schon das sie etwas an sich arbeitet, damit wir zusammen gut leben können. Ob wir jemals wieder ein normales Mutter-Tochter Verhältnis haben werden?- Ich habe keine Ahnung.
Ich werde es auf mich zu kommen lassen.
Auf einmal stehen die Mitpatienten von meiner Station auf. Wie? Die Zeit ist schon um?
Ich schlemme noch schnell zwei Gabeln voller Kartoffelpüree in mich hinein und stehe auf, bringe mein Tablett weg und gehe mit den anderen nach draußen. Ich war so in Gedanken, dass ich mit auf Station gehen wollte, doch ein Betreuer hielt mich am Arm
"Du sollst doch auf die K4, wegen dem Gespräch."
"Achso, ja stimmt."
Ich gehe also in die entgegen gesetzte Richtung. Ich kenne die Station noch von 'damals'. Es ist merkwürdig hier lang zu gehen, mit dem wissen gleich ein Gespräch mit dir zu führen. Ich stehe vor der Tür. Atme noch zwei, drei Mal tief durch. Ich drücke auf die Klingel. Erst jetzt merke ich wie meine Hände zittern und ich anfange zu schwitzen. Wieder so ein Moment wo man sich wünscht Deo dabei zu haben.
Die Tür wird geöffnet. Du hast die Tür geöffnet. Du siehst so ernst aus. Das ist gar nicht das schlimme, da du eigentlich immer ernst ausschaust. Mich beunruhigt eher das auch deine Ausstrahlung und die Körperhaltung vollkommen ernst ist.

Wir setzen uns in den Besucherraum. Wir sitzen gegenüber von einander an der Ecke des Tisches.
Wir schweigen uns an. Ich weiß nicht warum, aber auf einmal steigen mir Tränen in die Augen. Warum verdammt noch mal? Ich weiß es wirklich nicht. Es kann kommen was will. Eventuell sagst du mir ja sogar, dass ich bald entlassen werde oder ähnliches, aber nein. Tascha fängt an zu heulen, ohne zu wissen was überhaupt kommt. Sehr stark.
Doch du schaust mich immer noch ernst und etwas bemitleidend an.
"Ich möchte mit dir über den Vorfall reden der vor einigen Wochen geschehen ist."
Ich schlucke. Ich habe es anscheinend schon erwartet, denn meine Tränen stocken und ich verfalle wieder in mein stummes, altes ich.
"Welchen Vorfall?"
Frage ich ganz doof. Ich will mich nicht daran erinnern und kann es auch kaum noch. Wahrscheinlich von den Medikamenten die ich damals in mir hatte, zur ruhig stellung. Was tut das denn jetzt noch zur Sache?
"Du weißt genau wo von ich spreche Tascha!"
Shit!
"Ich möchte das du darüber redest. Ich weiß wie schwer es dir fällt, und deshalb übernehme auch ich diese Gespräche. Ich möchte das du dich mir öffnest und deine Gefühle raus lässt."
Hat du gerade im ernst 'Gespräche' gesagt? Mit E am Ende? Also im plural? Mehrere? Ist das dein ernst? Natürlich ist es dass, aber wie kommst du nur auf die Idee?
"Schau mich an!"
Ich hebe vorsichtig meinen Kopf. "Tascha!"
Ich schaue dir direkt in die Augen und da platzt es auch schon aus mir heraus.
"Wer ist auf diese scheiß Idee gekommen? Wer hat gesagt das da irgendetwas passiert ist? Wer meint, dass darüber gesprochen werden muss? WER?"
Mir wird schlecht. Total übel. Das kam in letzter Zeit öfter nach dem essen vor. Die Psychologin meinte das läge an der Psyche. Ich halte mir den Bauch.
Du nimmst meine Hände in deine.
"Ich hab es doch gesehen, Tascha. Nadine hat es gesehen. Du kannst mir nicht sagen das nichts passiert ist.."
Was? Sie..?
"Tascha... wir haben es auf Band!"
Bitte was? Ich halte die Luft an. Sie haben was? Aber das kann nicht sein! Oder doch? Mir wird speil übel. Ich ziehe meine Hände aus deinen und stehe auf.
"Ist gut. Ist okay."
Versuche ich stark zu sagen, als würde es mich nichts angehen.
Warum stellst du dich jetzt vor mich? Lass mich durch sonst..

Es war das peinlichste was mir je passiert ist. Ich habe dir direkt vor die Füsse gekotzt. Aber wortwörtlich. Ich liege in meinem Bett. Die Bettdecke über dem Kopf gezogen. Die Kopfhörer in den Ohren und die Musik auf voller Lautstärke. Es wurde ein Schwangerschaftstest gemacht. Die sind doch bescheuert.
Ich und schwanger?

Am Abend klopft Nadine, eine Betreuerin an der Tür.
"Möchtest du etwas essen?"
Sie kommt hinnein und setzt sich auf das Bett neben mich. Ich bewege mich keinen Zentimeter. Kann das sein? Ich schwanger? Der Akku meines MP3 Players ist mittlerweile schon lehr. Trotzdem habe ich die Kopfhörer noch in den Ohren. Kann es wirklich wahr sein? Ich kann mich doch gar nicht um so ein kleines Ding kümmern. Ich schaffe es ja nicht mal für mich selber zu sorgen, wie soll ich dann mit einem Kind klar kommen?
"Wir haben das Ergebnis des Schwangerschaftstestes."
Mir stockt der Atem. Ich schaue auf. Direkt in ihre Augen. Mir kullert eine Träne nach der anderen über die Wangen.
"Ich darf dir nicht sagen wie er ausgefallen ist. Aber du wirst es heute noch erfahren."
"Wieso?"
Mehr Worte bekomme ich zur Zeit einfach nicht aus mir raus.
Sie stellt das Tablett mit belegtem Brot auf den Nachtschrank, streicht mir noch einmal über meinen Arm, setzt ein Lächeln auf und geht aus dem Zimmer.

Als du, spät am Abend ins Zimmer kommst, springe ich auf. Ich laufe dir endgegen und lasse mich in deinen Armen fallen. Ich fange an zu heulen, weil ich genau weiß welche Nachricht du mir überbringen musst. Ich weiß es genau!
Wir stehen da, einfach so. Ich am heulen und ich glaube du musst dich auch mal wieder die Tränen verkneifen. Irgendwann drückst du mich vorsichtig von dir weg. Du hältst mich an meinen Armen.
"Tascha, schau mich an!"
Ich kann nicht. Nein! Sag es nicht! Bitte!!
Ein kleiner Blick in deine Augen genügen als Antwort.
"Ja! Du bist schwanger! Aber du weißt selbst, dass es genügend Möglichkeiten gibt! Egal wie du dich entscheiden solltest!"
Jetzt bricht es so richtig aus mir heraus. Ich breche, nach langer Zeit wieder zusammen. Da sitze ich auf dem Boden und bin am heulen. Du ziehst mich wortwörtlich hoch und zusammen gehen wir zum Bett. Du setzt dich neben mich und nimmst mich in den Arm. Ich liebe es wie du mir über den Kopf streichst, um mich zu beruhigen. Und tatsächlich werde ich ruhiger.
"Wir reden morgen über alles weitere okay?! Ich muss auch langsam nach Hause. Dickerchen hat bestimmt schon hunger."
Mit 'Dickerchen' meinst du natürlich deine Hündin. Es ist wirklich ein toller Hund.
Ich schaue dich an und lasse mich noch einmal in deine Arme fallen.
Am liebsten würde ich für immer so sitzen bleiben.
In deinen Armen fühle ich mich sicher. Geborgen, beschützt, einfach in Sicherheit.
Letzt endlich lasse ich dich dann doch los und noch bevor du die Zimmertür geschlossen hast, bin ich weinend und doch lächelnd eingeschlafen.

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