Kyra

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Ich wache auf. Es ist mitten in der Nacht. Starke Schmerzen durchziehen meinen Bauch. Das Bett ist klitsch nass. Ich drücke auf die Schwestern Klingel. Die Schmerzen lassen etwas nach. Was ist das? Sind das die Wehen? Eine Schwester kommt rein.
"Was ist los?"
Fragt sie besorgt. Ich Klingel eigentlich nie. Ich weiß selber, wie viel so eine Krankenschwester zu tun hat.
"Ich weiß nicht. Ich glaube es geht los. Aber es ist doch noch viel zu früh?!"
"Ich rufe mal die Hebamme. Es ist okay wenn die Maus kommen möchte. Sie hat gut durch gehalten."
Wieder diese Schmerzen. Ich halte den Atem an und warte das es vorbei geht.
Die Hebamme ist da.
"Tascha, atmen!"
Ist das erste was sie sagt.
Sie zieht die Decke von mir weg und hilft mir die Hose auszuziehen. Die Fruchtblase ist geplatzt. Sie tastet mich unten rum ab. Sie schaut auf einmal sehr ernst.
"Wir müssen einmal schnell ein Ultraschall vom Bauch machen. Ich glaube dein Mädchen hat sich noch mal gedreht und will jetzt mit der Schulter zu erst raus."
Was? Mit der Schulter zu erst? Passt das überhaupt?
Die Schwester kommt mit einem Ultraschallgerät zurück.  Die Hebamme schallt meinen Bauch und tatsächlich liegt mein Baby quer.
"So wird das nichts. Rufst du unten für eine Sectio an?!"
Wendet sie sich an die Schwester.
"Ja!"
"Tut mir leid Tascha, aber wir müssen jetzt einen Kaiserschnitt machen. Du bekommst gleich ein Medikament um die Wehen zu stoppen und dann fahren wir auch schon runter."
Was? Kaiserschnitt? Was? Ich bin komplett baff. Ich will keinen Kaiserschnitt.
"Wir können!"
Sagt die Schwester vom Flur aus.
Auf einmal geht alles ganz schnell. Ich soll meine Klamotten ausziehen und bekomme ein Krankenhaus Hemd um. Gleichzeitig wird mein Bett provisorisch frisch gemacht. Ich bekomme einen Zugang und dann fahren wir auch schon los. Im Fahrstuhl versucht die Hebamme mich zu beruhigen.
Ich werde in die Op-Schläuse geschoben. Ich soll mich auf ein eine Art trage legen. Dort wird mein rechter Arm fest geschnallt. Ich bekomme eine Infusion. Alle um mich herum haben ihre Aufgabe. Und ich liege mitten drin und weiß nicht was gerade passiert. Ich denke nur an mein Baby. Hoffentlich geht es ihr gut. Ich hoffe es so sehr. Mir wird schwummrig und bekomme eine Maske auf das Gesicht. Dann schlafe ich auch schon ein.

Ich werde wach. Öffne die Augen ein wenig. Wieder kommen die Gedanken um mein Baby. Ist alles gut gegangen? Wo ist sie? Geht es ihr gut?

"Hey, Glückwunsch zu deiner Tochter."
Sagt die Hebamme, als ich die Augen richtig aufmache.
"Wie soll sie denn heißen?"
"Geht es ihr gut? Wo ist sie?"
Frage ich aufgeregt.
"Ja, alles in Ordnung. Zur Zeit ist sie auf der Säuglingsstation. Sie ist ja einige Wochen zu Früh auf die Welt gekommen, weshalb sie erst einmal ordentlich durch gecheckt wird. Wir können gleich zu ihr."
Mein Baby ist auf der Welt. Mein Bauch schmerzt etwas, doch ist es kein Vergleich zu vorhin. Mein Bauch ist immer noch etwas dick. Als wenn sie immer noch da drinnen wäre. Doch ich spüre das irgendetwas fehlt. Mein Baby fehlt.
"Wie soll sie denn nun heißen?"
Fragt die Hebamme erneut.
"Kyra!"
Ich weiß nicht woher ich den Namen jetzt habe. Er ist einfach so in meinem Kopf aufgetaucht. Ich habe mir noch keine Gedanken um den Namen gemacht. Es war alles nicht so wie geplant. Rein gar nichts, von all dem war geplant. Mein ganzes Leben ist alles andere, als geplant abgelaufen.
"Prima."
Sie schreibt den Namen meiner Tochter in die Akte.
Kyra.
Kyra.
Ich kann nicht aufhören den Namen in meinen Gedanken zu sagen.
"Dann wollen wir noch einmal deinen Blutdruck und Puls messen und wenn alles in Ordnung ist, hole ich gleich einen Rollstuhl."
Ich grinse. Ich freue mich so sehr meine Maus zu sehen. Es ist so unreal, wie in einem Traum und doch überwältigend.
Meine Werte scheinen in Ordnung zu sein. Die Hebamme geht raus und holt den Rollstuhl.
Mit einer Schwester zusammen, setzen sie mich rüber und los gehts.

Ich zittere vor Aufregung am ganzen Körper, als wir die Säuglingsstation erreichen. Sie drückt auf eine Klingel vor der Tür. Ein Summen ertönt. Sie drückt die Tür auf und wir können rein. Es ist sehr warm auf der Station. Über all sind die Türen offen. Wir fahren an einem Zimmer vorbei. Drinnen stehen ein Mann und eine Frau. Sie weinen. Sie weinen sehr doll. Der Mann versucht die Frau zu halten. Ich glaube ihr Baby ist gerade verstorben. Die ganzen Geräte um sie herum sind ausgestellt. Die Traurigkeit ergreift auch mich. Geht es meinem Baby wirklich gut?
Auf einmal bleiben wir stehen. Die Hebamme öffnet eine Tür. Drei Inkubatoren (Wärme Bettchen) stehen in dem Raum neben einander. In welchem Wohl meine Maus liegt? Hinten am Fenster bleiben wir stehen. Eine Schwester kommt dazu und gratuliert mir zu Kyra.
Kyra.
Der Name hat etwas lebendiges, starkes.
Die Schwester senkt das Bettchen ein Stück, Sodas ich hinein schauen kann.
"Meine Kyra!"
Tränen kullern mit über die Wangen. So eine liebe habe ich noch nie gespürt. Diese Verbundenheit zu einem anderen Menschen. Das ist es was mir immer gefehlt hat. Das Vertrauen zu lieben! Es waren nicht die anderen, die mich nicht liebten, ich konnte diese Liebe nur nie zu lassen. Darauf vertrauen. Mir selber vertrauen. Und jetzt liegt sie vor mir. Mit winzigen Armen und Beinen. Einer kleinen, mini Stupsnase und einem wunderschönen Lächeln. Mein Mädchen welches mein Leben von Grund auf verändert hat.
"Möchtest du sie auf den Arm nehmen?"
Fragt die Schwester mich.
"Ja. Auf jeden Fall!"
Sie nimmt den Sauerstoff Schlauch aus ihrer Nase und reicht sie mir vorsichtig mit den anderen Kabeln rüber.
Kyra öffnet die Augen und fängt an zu grinsen. Mein Baby weiß wer ich bin. Sie weiß es einfach.
"Möchtest du mal schauen ob sie etwas trinken möchtest?"
Ich überlege eine Sekunde, da ich erst nicht ganz verstehe was sie meint.
"Ja. Wir können es mal ausprobieren."
Die Schwester hilft mir Kyra richtig in den Arm zu legen, damit ich sie stillen kann. Und tatsächlich fängt sie direkt an zu nuckeln.
Mein Bauch schmerzt und zieht sich zusammen.
"Das ist normal."
Sagt die Hebamme, als ich das Gesicht verziehe.
"Das soll so sein. Die Hormone die beim stillen ausgeschüttet werden, helfen deinem Körper sich von der Schwangerschaft zu erholen."

Ich weiß nicht wie lange ich hier sitze und in ihr schönes Gesicht schaue.
Meine Kyra.
Meine Mutter kommt in den Raum.
"Hey Glückwunsch süße."
Sagt sie. Ich weiß nicht wann sie mich das letzte Mal mit süße angesprochen hat.
Ich grinse, weil ich einfach über und über mit glückshormonen geflutet bin. Ich bin froh, dass sie hier ist. Ich zeige ihr Kyra.
"Deine Enkelin."
Sag ich zu ihr. Meine Mama stockt kurz, doch dann merkt sie auch, dass sie gerade Oma geworden ist.
Sie strahlt im Gesicht ebenso wie ich.

Jetzt kann das Leben zu zweit anfangen.

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