Und jetzt?

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Ich warte und warte, doch es passiert nichts mehr. Die Angst um mein Baby ist groß. Keiner erzählt mir genau was los ist. Warum ich hier bin. Was jetzt geschehen wird.
Es klopft an der Tür. Meine Mutter kommt rein.
"Hey, wie geht es dir? Ich bin sofort los gefahren, als ich angerufen wurde."
Ähm okay?
"Ganz gut. Denke ich.."
Ich bin immer noch verwirrt.
"Was ist los?"
Frage ich sie.
"Du hast wohl eine Schwangerschaftsvergiftungen. Das heißt dein Körper arbeitet gegen gegen das Kind. Sie wissen nicht ob sie es schaffen.."
Mitten im Satz hört sie auf zu reden.
"Was schaffen? Wieso sagt mir keiner was los ist?"
Meine Mutter setzt sich auf mein Bett und nimmt meine Hand. Sie sieht mich an.
"Sie wissen nicht ob dein Baby überleben wird!"
Wie ein Schlag ins Gesicht. Mein Baby? Überleben? Warum? Wieso? Hab ich was falsch gemacht? Bin ich schuld daran dass....
Tränen steigen mit ins Gesicht. Ich wünschte du wärst hier. Bei mir.
"Wir kriegen das schon hin."
Sagt meine Mutter und drückt meine Hand. Sie schaut mich unsicher an und streicht mir vorsichtig die Tränen von der Wange.
"Wir kriegen das schon hin."
Wiederholt sie.
Ich sitze nur da. Kann meine Gedanken nicht ordnen. Warum immer ich? Warum kann nicht einmal etwas gut laufen?
Meine Mutter steht auf und holt sich einen Kaffee und mir einen Tee. Wir sitzen lange so da. Ohne ein Wort zu sagen.
"Wie geht es den kleinen?"
Frag ich sie. Die "kleinen" sind meine drei jüngeren Geschwister die noch immer bei meiner Mutter wohnen. Es sind normale Kinder. Mit normalen Schulalltag und Geschwisterstreit. Mit den normalen Zickerreien und Alltagsproblemen. Normale Kinder eben.
"Gut. Vinni ist sehr gut in der Schule und wird wahrscheinlich in ein paar Jahren das Abi schaffen und dann studieren können."
Abi? Ich habe das Gefühl Jahre lang in der Zeit stehen geblieben zu sein. Wie alt ist er denn jetzt ? Ich bin in der Psychiatrie  17. geworden. Dann müsste er bald 16 werden. Wow.
"Sophie hat bald ihren 14. Geburtstag. Wäre schön wenn du dabei sein könntest. Wenn es dir besser geht. Und du es möchtest."
14? Man hab ich viel verpasst. Ich sehe uns immer noch als Kinder, wie wir im Wald umher gerannt sind und die Blätter durch die Luft geworfen haben. Wie wir fangen gespielt haben und auf den Bäumen und Ästen umher geklettert sind. Einmal hatten wir die Idee, ein Baumhaus zu bauen, doch wurde da leider nie etwas draus. Es waren schöne, unbeschwerte Zeiten, in denen noch alles so perfekt war. War... es liegt weit hinten. In der Vergangenheit. Und heute? Morgen? Ja..

"Ja, würde ich gerne. Wenn es geht.."
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie scheint sich tatsächlich zu freuen, mich dabei zu haben.
Während ich noch immer mit den Gedanken in der Vergangenheit umherschweife, öffnet sich die Tür und die Ärztin von vorhin, samt Pfleger kommen herein.
"Geht es dir etwas besser?"
Fragt sie mich.
"Ich nicke etwas mit dem Kopf."
"Das freut uns. Also, wir haben die Testergebnisse  vor liegen und tatsächlich hast du eine Präeklampsie. Also eine Schwangerschaftsvergiftung. Zum Glück haben wir es doch noch zeitig entdeckt, sodass dein Mäuschen noch etwas im Bauch bleiben kann. Doch du wirst hier bleiben müssen und wir müssen deine Werte stets im Auge behalten, um bei einer Verschlechterung direkt reagieren zu können. Du bleibst bitte im Bett und gönnst deinem Körper etwas Ruhe. Dann sehen wir weiter."
Okay. Das heißt?
"Wie lange wird sie hier bleiben müssen?"
Fragt meine Mutter.
"Höchst wahrscheinlich bis zur Geburt des Babys."
Was? Ich bin doch erst in der 17. Woche. Das können die doch nicht ernst meinen?!

Und doch. Es war ihr Ernst. Tag ein Tag aus. Die Tage vergingen. Es wurde nicht viel besser, aber auch nicht schlimmer und darauf kommt es an.

Meine Mutter ist fast jeden Tag vorbei gekommen und auch meine Geschwister kamen hin und wieder mit. Zum 14. Geburtstag meiner Schwester kamen sie auch und wir haben Kuchen gegessen. Es war wirklich schön.

Mein Bauch wuchs und wuchs. Es war ein mega Gefühl die ersten Tritte zu spüren. Das die kleine auf meine Stimme reagiert. Es war und ist wundervoll. Wirklich ein Wunder.

Meine Mama erzählte mir, dass sie das Zimmer schon renoviert haben. Ein Baby Bett  haben wir auch schon. Ich habe über Video Chat mit entschieden welches wir nehmen. Es ist fast so als wäre man tatsächlich dabei. Mein jüngster Bruder Tobi, hat mir sein Handy gegeben damit das alles möglich werden konnte.
Mir geht es wirklich gut. Nicht schlecht-gut sondern gut-gut.

Sie war auch einmal da. Einmal. In all der Zeit. Wir haben etwas geredet, doch war sie immer auf Abstand.
"Ich darf eigentlich gar nicht hier sein. Du bist eine Patientin gewesen und könntest es wieder werden. Wir können uns in ein paar Jahren auf ein Kaffee treffen. Mit deiner Maus."
Sie nahm mich noch einmal in den Arm und ging ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Und tatsächlich kam sie nicht mehr wieder. Auf Nachrichten und Anrufe reagiert sie nicht. Ich sollte mich auf mich und mein Baby konzentrieren doch irgendwo fehlt etwas. Oder jemand.

Die Schwester und Pfleger kenne ich mittlerweile sehr gut. Ich kenne jeden Winkel dieses Zimmers. Jedes Essen - vor allem was gut und schlecht schmeckt - und jedes Fernsehprogramm.

Und dann, ganz plötzlich ist der Tag gekommen.
Ich bin in der 35. Schwangerschaftswoche. Eigentlich zu früh für meinen Schatz, doch bin ich froh das sie so lange durchgehalten hat!

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