Kapitel 29 (1): Das Geschenk der Liebe

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Warum? Warum tut er mir das an? Warum? Warum verletzt er mich so? Warum lässt er uns im Stich? Warum lässt er zu, dass wir seinetwegen Tränen vergießen? Warum? Warum verschwindet er einfach aus meinem Leben? Warum ist er tot? Warum hat er das zugelassen? Er könnte uns alle retten. Er könnte Narnia retten. Warum hat er also das Opfer gebracht? Warum hat er sein Blut umsonst vergossen? Warum hat er sich aufgeopfert wie ein Lamm? Warum musste das geschehen? Warum verursachtet das so viel Schmerz? Warum? Ich brauche dich doch, Aslan! Ich brauche dich! Komm zurück! Hörst du, komm wieder zu mir! Zu uns! Zu Narnia! Ich brauche dich, wir brauchen dich, ja ganz Narnia braucht dich! Bitte, komm zurück. Ich möchte deine wunderschön strahlenden Augen sehen! Deine beruhigende und tiefe Stimme lauschen! Ich will deine wilde Mähne in meine Hände spüren! Ich möchte deine endlose Liebe erfahren! Komm zurück...

Es endet in einem Schluchzen. Neben mir weint auch Lucy und Susan. Wir drei trauern um unseren verstorbenen Freund, Helfer, Retter, Ratgeber, der uns so unendlich liebte, dass er bereit war für uns zu sterben. Er hat sich nicht gewehrt, seine Augen drückten die endlose Liebe aus, sogar als die schwarze Klinge der Weißen Hexe sein Herz durchbohrt hat.

Nun liegen wir da. Das Zeitgefühl haben wir schon längst verloren. Wir sind nachdem alle Kreaturen weg gegangen waren, zu der Leiche von Aslan gegangen. Wir haben uns hingelegt zu Aslan auf dem Steinernen Tisch, um ihm Gesellschaft zu leisten. Wir heulten die ganze Nacht durch. Susan meinte nach einer Weile, dass wir zurück gehen sollten, weil wir die anderen warnen müssten. Doch Lucy hatte die Idee, einfach einen Baumgeist die Nachricht überbringen zu lassen. Mittlerweile müsste es nun jeder in Narnia wissen. Aslan ist tot!

Verzweifelt drücke ich mein Gesicht in die Halsbeuge von dem Löwen. Nomalerweise würde die flauschige Mähne meine Nase kitzeln, doch diese Würde hat die Weiße Hexe Aslan nicht gelassen. Sie haben sein Haupt abgeschert, wie die Wolle eines Lammes. Ohne eine Wimper zu zucken. Mich überkommt die Trauigkeit. Ich will weinen, doch in mir herrscht Leere. Leere und Stille. ich kann keine klaren Gedanken fassen. Ich kann nichts um mich herum hören. Ich kann nichts um mich herum sehen, außer den Leichnam des Löwens.

Schlapp liegt dieser leblose Körper schief auf dem Steinernen Tisch. Das Seil um sein Maul haben wir schon früher hinuntergezwängt, doch man kann es noch deutlich an den hinterbliebenden Spuren erkennen. Dickere Seile hänegen noch an Aslanspfoten, die Enden von den Seilen liegen quer über den ganzen Seteinernen Tisch. Der Schwanz ist unter den Seilen begraben. Das sonst so leuchtende, gesunde und goldene Fell ist nun stumpf, schmutzig und blass. Einfach leblos. Aslans Mähne haben sie ja weggeschert. Jetzt sind da nur noch kleine Überreste von den ehemaligen prachtvollen Haare. Egal wie schlimm das ausschaut, das Gesicht ist am Schlimmsten. Das riesige Maul ist eine Spur weit geöffnet, sodass man die scharfen Zähne sieht. Doch man erkennt immernoch wie sehr er sich vor Schmerz verkrampft hat. Die Ohren, die sonst immer so lustig zucken, sind wie versteinert. Die große Nase ist schon vertrocknet. Und dann die Augen. Selbst wenn sie nicht geöffnet sind, man erkennt das letzte Gefühl des Verstorbenen. Oft sind diese Gefühle bei solchem Tod: Schmerz, Panik, Verzweiflung, Angst und Hass. Doch Aslans Augen deuten nur auf eins hin... Liebe.

Mit meiner zitternden Hand streiche ich über das Fell. Über das nicht mehr schlagende Herz. Über die Stelle, wo sich einst die klaffende Wunde befunden hat. Wie sie so schnell verheilt ist? Das war so:

Als endlich die ganzen jubelnden Kreaturen weg waren, liefen wir schnell zu Aslan hin. Wir alle heulten, als wäre wer gestorben, denn das stimmte sogar. Unser bester Freund starb vor unseren Augen. All das beschäftigte mich, als Lucy mit zitternden Händen ein Fläschchen aus dem roten Mantel hervorzauberte. Ich konnte mich noch an ihre Augen erinnern. Tiefe Trauer eines geliebten Freundes. Doch da! Da war es! Ein Funken Hoffnung. Mit dieser Hoffnung umklammert sie das Fläschchen. Sie umklammerte die Hoffnung und Lucy wollte sie nicht mehr loslassen. Ich sah den Tropfen fallen. Alles in Zeitlupe. Der Tropfen fiel... Es muss klappen! Der Tropfen fiel... Mein Herz flehte, dass es funktionieren würde. Der Tropfen fiel... Doch tief in mir wusste ich schon was passieren würde. Der Tropfen fiel... Ich höre meine Herzschläge, die wild und unkontrolliert gegen den Bruskorb hämmern. Der Tropfen erreichte die Wunde... Mein Puls stieg ernorm in die Höhe. Ich sah, wie sich die Wunde sich wieder zusammenfügt. Ich sah, wie nur noch eine Narbe übrig blieb. Ich sah, Lucys hoffnungsvoller Blick und Susans Stoßgebet zum Himmel. Ich sah, wie wir alle Aslan anstarren, auf ein Zeichen warten, auf eine kleinste Bewegung warten. Ich sah, wie ich an die Narbe greife... Ich wartete... Und wartete... Ich wartete auf einen Herzschag... Ich wartete auf den Puls... Ich wartete auf ein Zeichen des Wunders... Vergeblich.

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