Kapitel 4 | Ekstase

298 12 0
                                    

Wummernde Bässe brachten die Gläser auf der Theke zum vibrieren.
Hunderte verschwitzte, tanzende Menschen drängelten sich vor dem DJ Pult und battelten sich darum, wer den heißesten Body im Club hatte.
Der DJ drehte den Regler immer wieder auf volle Lautstärke und brachte die Menge damit zum ausrasten.
Es war heiß und stickig im Club.
Die Lichtshow der EDEN Party war wie immer die Beste an einem Donnerstagabend wie diesem und der Alkohol der Stärkste.
Inmitten der Menge tanzte ein Achtzehnjähriger mit wild verwuschelten Haaren dicht an dicht mit einem völlig Fremden.
Ihr Unterschied hätte größer nicht sein können.
Abgesehen von schwarzen Augen, hatten die Zwei nichts gemeinsam. Wo der eine eher in eine Punk-Show gepasst hätte, schien der Andere wohl auf dem Weg zu einem Lehrerkongress falsch abgebogen zu sein.
Der Lehrertyp war um einiges älter als sein verschwitzter Tanzpartner, trug Brille und Hemd. Doch das schien den jüngeren nicht zu stören.
Über sie hinweg stießen Rauchfontänen in die Luft, während der DJ eine Sekunde lang die Musik verstummen ließ, nur um mit noch härteren Bässen und schneidenden Beats wieder voll aufzudrehen.
Die Lasershow an der Decke des Clubs erlosch und ein schnell flackerndes, grell weißes Licht machte aus der Menge einen kreischenden Pool.

Gerade als der lange Typ seinem Gegenüber die Hände auf die Hüften legte, fand dieser wieder zurück aus seiner Ekstase und drehte sich von ihm weg.
Der Junge mit den wilden Haaren und dem Kajal um die tiefschwarzen Augen drückte sich blitzschnell und flink an den Tanzenden vorbei, nach vorn zur Bar.
Stöhnend ließ er sich dagegen schubsen und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tresen ab. Er hob die Hand und schaute einen der Barkeeper an.
Ben.
Ein großer, muskulöser Typ mit kurzen, braunen Haaren.
Dieser putzte gerade eines der Gläser und drehte sich zu ihm. Er lächelte kurz und hob fragend beide Augenbrauen.
„Vodka!" schrie der schwarzhaarige Junge dem Typ hinter der Bar zu.
„Bull?" brüllte dieser zurück. Die Musik war so laut, dass sie sich selbst schreiend kaum verstanden.
Der Junge schüttelte energisch den Kopf und schlug mit der Faust auf den Tresen.
„Pur!!"
Ben nickte im Takt des Basses und füllte puren Vodka in das Glas, das er eben noch geputzt hatte. Er schob es dem Schwarzhaarigen zu und zwinkerte vielsagend.
„Geht aufs Haus, Gab!"
„Danke!"

Gabriel schnappte das Glas und kippte es mit einem Ruck hinunter. Mit einem kurzen Huster stellte er es wieder auf dem Tresen ab und starrte den Barkeeper an. Er nickte ihm zu und deutete auf das Glas.
Schmunzelnd griff dieser nach der Flasche vor ihm und schenkte nochmal nach. Den lauten Beat in den Ohren und das volle Glas in der Hand, drehte sich Gabriel wieder mit dem Rücken zur Bar.
„Hey!"
Der lange Typ mit dem Hemd hatte ihn ausfindig gemacht und war ihm nun zur Bar gefolgt. Er stellte sich neben ihn und beugte sich über den Tresen zum Barkeeper. Einen Augenblick später hielt auch er ein Glas in der Hand, allerdings mit einer schwarzen Flüssigkeit.
Gabriel ignorierte den Langen und stand nun ein paar Schritte neben der Bar. Mit dem Glas in der Hand bewegte er sich rhythmisch, aber nur ganz leicht zum Beat der Boxen. Er hatte die Augen für einen Moment geschlossen und versuchte, nur die Musik in seinen Kopf zu lassen und die Gedanken auszusperren.
Leicht verärgert öffnete er die Augen, als ihm jemand auf die Schulter tippte.
„Hey! Echt cooler Laden hier!" der Kerl der aussah wie ein Lehrer hatte sich zu ihm herunter gebeugt und sprach laut und dicht neben seinem Ohr.
Gabriel nickte im Takt der harten Bässe und nippte an seinem Drink. Er hatte keine Lust, sich zu unterhalten.
Alles was er wollte, war der Rausch der Musik und tanzen, bis ihn die Kräfte verließen. Doch davon war er noch weit entfernt.
„Kommst du von hier??"
Dieser Kerl roch nach kaltem Rauch.
Zigarettenrauch...
Nun hatte Gabriel Lust auf eine Zigarette.
Er schnaubte und packte sein Gegenüber am Handgelenk. Ein wenig verwirrt ließ dieser sich von dem Jungen mit nach draußen schleifen, wo die Musik durch die dicken Glastüren stark gedämpft wurde. Den Bass konnte man auch noch von dort spüren, doch er war nicht mehr ganz so einnehmend.

Gabriel stellte sich unter den überdachten Teil des Außenbereichs und atmete tief die kalte Nachtluft ein. Es regnete wohl schon seit einer Weile, denn es war innerhalb weniger Stunden sehr kühl geworden.
Nun, da er raus aus der stickigen Clubluft war und wieder etwas Sauerstoff an seine Lungen kam, merkte er, wie sich alles um ihn herum drehte. Die letzten drei Gläser Vodka hatten sich schon in seinem Nervensystem eingenistet und machten seine Knie weich.
Schnaufend versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen und wippte mit dem Fuß zum Takt der gedämpften Musik.
Er nippte wieder an seinem Glas und schaute dem langen Typen erwartungsvoll in die Augen.
Dieser verstand schnell, stellte sein Glas ab und zog eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hemdtasche. Schmunzelnd hielt er Gabriel eine davon vor den Mund und ließ eine kleine Flamme aus seinem Feuerzeug aufsteigen.
Gabriel nahm die Zigarette zwischen die Lippen, hielt das andere Ende ins Feuer und zog langsam daran.
Als er die Augen öffnete, schaute er den Mann mit der Brille eindringlich an und blies den Rauch zur Seite hin weg.

Sein Gegenüber lächelte und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an.
„Du tanzt gut", meinte er und deutete auf die Glastür hinter Gabriel.
„Wie heißt du eigentlich?" Er sprach noch etwas zu laut, da ihnen Beiden noch immer die Ohren klingelten.
Gabriel musste gar nicht lange überlegen, ob er ihm antwortete. Es war ihm scheiß egal ob alle Welt wusste, dass er der Sohn des bekannten Immobilienhai Peter Leith war. Und ebenso egal war es ihm, was die ganze Welt wohl über ihn denken mochte.
„Gabriel Leith", entgegnete er und zog nochmal an dem Glimmstängel. Der schwere Rauch breitete sich in seiner Lunge aus und wurde dann langsam wieder hinaus gelassen. Ein Kribbeln fuhr ihm durch die Hände und er griff nach seinem Glas.
„DER Leith?", sein Gegenüber schien etwas erstaunt, „ was machst du dann hier? Sollte ein Kerl mit einem Dad wie deinem nicht lieber auf einer Uniparty feiern??"
Gabriel verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Schwachsinn."
Er nahm einen weiteren Schluck. Mit jedem Mal wurde das Gesöff ekelerregender.
„Ich will jetzt nich über meinen Vater sprechen!" er warf dem Lehrertyp einen ernsten Blick zu, doch dieser grinste nur ein wenig verhalten.
„Aha." Er lachte leise und beugte sich zu ihm vor.
„Und was willst du dann?"
Gabriel antwortete nicht.
„Deine Moves auf dem Parkett vorhin waren ja ganz schön... heiß... für einen Kerl der vielleicht gerade mal achtzehn Jahre alt ist...?" Sein grinsen wurde breiter und bekam etwas Schmutziges.
Gabriel hielt dem Blick stand. Er kannte diese Art von Mann nur zu gut. Sie waren nur auf eines aus und egal wie schmeichelnd ihre Worte wurden, sie gaben sich nicht mit einem Nein zufrieden.
Doch Gabriel war heute Nacht nicht in den Club gekommen, um sich flachlegen zu lassen.
Die Beiden starrten sich einen Moment lang stumm an und zogen gleichzeitig an ihren Zigaretten.
„Kannst du mir nen Gefallen tun?", fragte Gabriel ihn schließlich und brach damit die Stille.
Der Lange runzelte ein wenig die Stirn und legte den Kopf schief.
Gabriel schaute in sein Glas und dann wieder zu seinem Gegenüber. Ohne von dessen Augen ab zu lassen, kippte er sich den Rest des Drinks hinunter und stellte schwungvoll das Glas auf den Stehtisch.
„Holst du mir noch einen?"
Er sog tief den Rauch des Glimmstängels ein und lies ihn langsam zu Mund und Nase wieder raus.
Der Lehrertyp hatte etwas Hinterlistiges in seinem Blick, doch Gabriel war bereits viel zu betrunken um das zu erkennen. Mit einem Nicken nahm er Gabriels Glas und schob sich an ihm vorbei.
Erst als er die Tür schließen hörte, warf Gabriel die Zigarette auf den Boden und wollte die Flucht ergreifen.

Doch irgendetwas stimmte nicht.
Sein ganzer Körper kribbelte plötzlich von Kopf bis Fuß und ihm wurde unerträglich heiß und kalt zugleich. Ein schweres Nebeltuch legte sich über seine Augen und der dumpfe Klang der Musik schien sich immer weiter von ihm zu entfernen.
Gabriel spürte, wie langsam die Übelkeit in ihm hochstieg und er den Halt unter den Füßen verlor.
Wie aus weiter Ferne, so klang es, hörte er nur noch ein tiefes Lachen und dann wurde alles um ihn herum schwarz.

„Rotzgöre"

...    

the Anarchy of the HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt