Kapitel 15 | Braune Kieselsteine

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Die späte Nachmittagssonne quetschte sich durch die Holzlamellen am Fenster. Draußen konnte man einen wilden Bach rauschen und plätschern hören. 
Irgendwo in der Nähe hackte jemand Holz und der Geruch von Bier und Zigaretten lag in der nebligen Luft im Inneren der alten Holzhütte.
Laut knarzend öffnete sich die schwere Eingangstür und das Geräusch von nassen Lederstiefeln auf ausgetretenen Dielen erfüllte den Raum. 
Ein großer, schlanker Mann in schwarzer Jeans und einem weißen, langärmeligen Hemd schritt hinein in den weitläufigen Raum, in dem hier und da ein paar Tische mit Stühlen standen, in der Ecke eine kleine Küchenzeile und ein schmaler, dunkler Gang, von dem mehrere Türen in verschiedene Räume führten. 

Sobald er die Tür hinter sich zugezogen hatte, erschien ein weiterer Mann im Raum. Stramm wie ein Soldat stand er am Ende des Ganges, wo sich der Raum öffnete, und schaute den Ankommenden ehrenhaft an. 
"Herr Schmidt", presste er militärisch hervor. 
Der Mann im Hemd hob beide Augenbrauen und stellte eine große, schwarze Sporttasche neben sich ab.
"Berichte mir, was da passiert ist", befahl er mit tiefer Stimme und ließ sich auf eine Bank, in der Ecke des Raumes fallen. 
"Nun ja, ähm-", begann der Andere um Worte zu ringen. 
Der blonde Mann mit dem Namen Schmidt wurde von der Dunkelheit des Raumes eingenommen, lediglich die schmalen Streifen Sonnenlicht, die durch die Lamellen drangen legten sich ehrfürchtig über seine harten Gesichtszüge und ließen ihn Respekt einflößend wirken. 
Seine stahl-grauen Augen bohrten sich im Bruchteil einer Sekunde in die seines Gegenübers, der sich nun hinter einem Stuhl positioniert hatte und Schutz suchend nach dessen Lehne griff. 

"Die Sache mit dem Gärtner, die das Fräulein vorgeschlagen hatte, hat so weit sehr gut funktioniert, der Junge Leith ist darauf eingegangen. Es gab einen Streit, woraufhin der Junge reiß aus genommen hat und wie das Fräulein vermutet hatte, ins Maestro geflüchtet ist, um sich zu betrinken." Er räusperte sich und versuchte während seines Berichts, dem harten Blick Schmidts nicht auszuweichen.
"Axel hat ihn aufgegriffen und, wie geplant, mit Roofies ausgeschaltet. Auch der unauffällige Transport ist einwandfrei gelungen, bis- naja..."
Er holte tief Luft und sprach nun mindestens doppelt so schnell, damit er es hinter sich hatte. Schlechte Nachrichten waren nie gut für den, der sie überbrachte. 

"Peter Leith hat unsere Forderungen ignoriert und die Sons of Anarchy eingeschaltet. Zwei ihrer Männer haben unser Versteck, und somit auch den Jungen ausfindig gemacht, Axel überrascht und den Jungen mitgenommen." Er spürte, wie sich der Blick Schmidt's tiefer in seinen Kopf bohrte und ihn stumm daran erinnern wollte, was mit den Leuten passierte, die schlechte Nachrichten überbrachten. 
Eine Schweißperle bildete sich auf der Stirn des jungen Mannes. 
"Und heute ist Axel zum Haus der Leith's gefahren und hat sie bewacht, bis der Junge aufgetaucht ist. Er wollte ihn wieder in seine Gewalt nehmen, doch ähm-"
"...", Schmidt hatte die Arme verschränkt und grub nun die Finger immer tiefer in die Hemdärmel. 
"E-er wurde überwältigt, wir haben ihn verloren."
Ein Donnergrollen rollte über Schmidts Gesichtsausdruck und er zog blitzschnell ein Messer aus einer Halterung an seinem Gürtel. 
Ehe sich der junge Mann auch nur bewegen konnte, stand Schmidt bereits vor ihm und drückte die scharfe Seite der Klinge an seine Kehle. 
"Du willst mir doch nicht erzählen das Axel sich von einem dieser Motorradfutzis hat erschießen lassen", knurrte er und nahm immer mehr die Gestalt eines wütenden Wolfes an, so groß und rasend machte er sich. Tiefe Zornesfalten gruben sich in seine Stirn und ließen den jüngeren, braunhaarigen Mann immer kleiner werden. 
"N-nein, e-eigentlich nicht", stammelte er nun. Die Schweißperle auf seiner Stirn bahnte sich nun ihren Weg hinab, zwischen seinen dicken Augenbrauen hindurch und langsam über den gekrümmten Nasenrücken. 

"E-es war d-der Junge", hauchte er und versuchte, nicht nach hinten weg zu kippen. Er spürte, wie die stets frisch geschliffene Klinge des Jagdmessers an seiner Kehle die ersten Hautschichten auftrennte. Sein Herz schlug ihm wie wild bis unters Kinn. 

Schmidt konnte die unterwürfige Angst seines Sohnes schon riechen, da holte er mit dem Messer aus und warf es mit voller Wucht nur wenige Millimeter an dem Jungen vorbei.
Lediglich der Luftzug der fliegenden Klinge berührte ihn. 
Erschrocken drehte er sich um und sah, dass das Jagdmesser nun hinter ihm in der Wand steckte. 

Wenn man genauer hin sah, hatte das Messer wohl schon einige Male in dieser Wand gesteckt. Hier und da waren verschieden große Löcher von abgeplatztem Putz.

"Verflucht nochmal!", knurrte Schmidt und schlug mit der Faust auf den Tisch, der unter der Wucht erzitterte.
"Wie konnte diese kleine schwule Ratte einen Mann wie Axel-... Dafür werden sie bezahlen!"
Gerade noch rechtzeitig konnte der braunhaarige junge Mann seinem Vater ausweichen, der aus Wut ein Glas nach ihm warf. 
Angsterfüllt hielt er die Arme über den Kopf und ging in Deckung. 
"T-Tut mir leid, Vater"
Schmidt wirbelte herum und packte den Kleineren am Kragen. 
"Wie oft soll ich dirnoch sagen, dass du mich so nicht nennen sollst, Junge??"

"V-verzeihung... Herr Schmidt"
"Deine Respektlosigkeit gleicht der eines Niggers", knurrte er und stieß ihn zu Boden. 
Der junge Mann wurde nun selbst wütend und wollte wieder auf die Beine, da drückte ihn sein Vater mit dem schweren Stiefel zu Boden. 

"Ich hatte dir doch beigebracht wie man es macht, Junge."
"Jawohl, Herr!"
"Dann zeig mir, dass ich dich richtig erzogen habe!"
Er nahm seinen Fuß von ihm, packte ihn erneut am Kragen und zog ihn mit einem Ruck zurück auf die Füße. 
Der junge Mann versteifte sich wieder und stand kerzengerade. Sein rechter Arm schnellte wie ein Pfeil empor und formte den Gruß.
"Für unsere weißen Brüder!", stieß der junge Mann hervor und reckte erhaben das Kinn in die Höhe. 
Herr Schmidt nickte beruhigt und trat einen Schritt an ihn heran. 
"So ist es richtig, Junge. Und jetzt hol mir die Anderen. Wir haben zu besprechen wie es mit Mister Leith und seinen kleinen Motorradfreunden weiter gehen soll... Ich will dass er sieht wie diese kleine Schwuchtel die er Sohn schimpft, leidet."

"Jawohl, Herr!", fest entschlossen machte der Junge auf dem Absatz seiner Stiefel kehrt, wurde aber von seinem Vater aufgehalten. 
"Und bring mir das Fräulein. Sie soll mit entscheiden", ein sadistisches Grinsen kroch über sein Gesicht. 
Der Braunhaarige nickte hörig und verließ die Hütte schnellen Schrittes. 
Er zückte ein billiges Klapphandy aus der Hosentasche und schickte eine Nachricht an die Anderen, damit sie sich versammelten, ehe er in den silbernen VW Pickup stieg und mit schlitternden Reifen los fuhr. 

Erst fuhr er ein Stück durch den Wald, dann über Feldwege um die Stadt herum, bis ans andere Ende. Links und rechts der Straße wurden die Grundstücke immer stattlicher und prunkvoller. Die Häuser wurden moderner, größer, teurer und die Abstände zwischen den einzelnen Gebäuden und deren umzäunten Gärten wurde immer weiter. 
Während das Radio den neuesten Sommerhit vom puertoricanischen Sänger Luis Fonsi "Despacito" rauf und runter plärrte, drang durch das offene Fenster der Duft von frisch gemähtem und teuer bewässertem Rasen an die Nase des jungen Mannes. 
Mit einem Knurren ließ er das spanische Lied verstummen, während er seinem Ziel immer näher kam. 
Nur knapp fünf Minuten nach dem letzten Haus der Gegend gelang er endlich an sein Ziel. Eine schmale Seitenstraße führte ihn weg von der breiten Hauptstraße und einen sanften Hügel hinauf. Er bog nach einer Weile rechts ab, durch ein großes Stahl-Tor und folgte der Auffahrt zischen hohen, akkurat geschnittenen Buchsbäumen hindurch. 

Er wurde langsamer und hielt im leise knirschenden Kies vor dem beeindruckend modernen Bau aus weißem Putz, Chrom und Glas.
Seufzend stieg er aus dem Wagen und wollte gerade zur Tür, da entdeckte er einen dunklen Fleck im Kies. Behutsam ging er in die Hocke und griff ein paar der dunkelbraun gefärbten Kieselsteine. Es war getrocknetes Blut.

"Axel, mein Bruder... Vater wird dich rächen, so wie er Mutter rächen wird."

the Anarchy of the HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt