Kapitel 19 |Neue Erkenntnisse

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Schon seit einer gefühlten Stunde stand Gabriel vor dem Spiegel in dem kleinen, heruntergekommenen Badezimmer und starrte sein Gegenüber an. 
Vor seinen Augen flimmerten die Bilder der vergangenen Tagen auf und bereiteten ihm Kopfschmerzen. 
"...", schweigend lagen seine Hände auf dem kalten Stein des Waschbeckens während das rauschen in seinen Ohren den Lärm um ihn herum ausblendete, so als hätte ihn jemand in Watte gehüllt.
Er konnte spüren, wie sein Herz schlug.
Er konnte hören wie es immer lauter und immer schwerer gegen seine Brust pochte.
Blut pulsierte spürbar durch seine Adern und wich ihm langsam aus den Wangen. 
Und wieder fragte er sich, warum es überhaupt so weit gekommen war.
Doch das Rauschen in seinem Kopf ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. 
Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihm breit. 
Ein Gefühl, dass er nur zu gut kannte. 
Ein immer stärker werdender Druck, der sich wie ein schweres Tuch auf seine Arme und Beine legte. 
Seine Hände verkrampften sich und er hatte das Gefühl, etwas loswerden zu müssen. 
Doch bevor Gabriels Verstand aussetzte, riss ihn ein Klopfen aus seiner Trance. 

"Gaby, bist du noch da drin? Ist alles in Ordnung?", die Stimme auf der anderen Seite der Badezimmertür drang nur gedämpft an seine rauschenden Ohren. 
Gabriel blinzelte ein paar Mal, da er die letzten Minuten regungslos ins Leere gestarrt hatte.
Wie in Zeitlupe drehte er den Kopf zur Tür und griff nach dem Knauf, an dem er sie aufsperren konnte. 
Er hielt inne. 
Eigentlich war ihm im Moment nicht danach irgendjemand zu sehen. 
Einfach mal wieder alleine sein. 
Ohne Angst.
Ohne Aufpasser.
"Gaby mach doch die Tür auf, sonst hol ich Jax!", jemand hämmerte nun etwas energischer gegen das Holz. "Mach keinen scheiß, hörst du?"
Doch genau das war es. 
Er war kurz davor gestanden >Scheiße< zu bauen. 
Gabriels Blick fiel auf die Rasierklingen, die gemeinsam mit einem Rasierer und einer Dose Schaum in einem kleinen Korb neben dem Waschbecken standen.

Noch immer hielt er den Knauf in der linken Hand, als eine zweite Stimme zur ersten dazu kam. 
"Gabriel, dein Vater ist da. Er will mit dir sprechen!"
Das kalte Metall des Knaufs wurde allmählich warm, so sehr klammerte er sich daran. 
"Kommst du jetzt endlich-"
Doch da hatte er die Tür schon aufgerissen. 
Farbe schoss zurück in sein Gesicht und er wurde rot vor Wut. 
Umso lauter rauschten und klingelten ihm nun die Ohren, so dass er einfach durch Victoria und Jax hindurch preschte, die vor dem Bad gestanden haben. 

"Wo ist er??" 
Nun gab es für Gabriel kein Halt mehr. Die ganze Angst, die Wut und der Ärger der letzten drei Tage stürzte über ihn herein. 
Innerlich tobend drückte er seine Fingernägel in die Handflächen, bis diese bluteten. 
Jax war ihm hinterher gelaufen, doch noch bevor er ihn an der Schulter packen konnte, hatte Gabriel seinen Vater bereits gefunden. 
Draußen, unter dem Vordach, stand er da und wartete auf ihn. 

Peter Leith hatte die Arme verschränkt und wippte mit dem Fuß, als warte er auf einen Zug der zu spät kam. 
Der reine Anblick des Anzugträgers machte Gabriel noch wütender. 
Mister Leith hob den Kopf, als er seinen Sohn von weitem brüllen hörte. 
Er blieb wie angewurzelt stehen, da kam Gabriel auf ihn zugestürzt. 
Jax war nicht schnell genug. 
Tränen der Wut füllten Gabriels Augen als er auf seinen Vater einzuschlagen versuchte. 

"DU BIST SCHULD!" brüllte er und lenkte damit die gesamte Aufmerksamkeit der umstehenden auf sich. 
"DAS IST ALLES DEINE SCHULD!!"
Mister Leith wich ihm einem erschütterten Blick aus und versuchte, seine Fäuste zu packen. 
Er erwischte ihn an den Handgelenken und Gabriel schrie auf. 
"Lass mich los du widerlicher Bastard!"
Ihm schienen nun alle Sicherungen durch zu brennen. 
Endlich schaffte es auch Jax durch die Menge zu ihnen, hielt sich jedoch erst mal noch zurück und beobachtete aufmerksam, jederzeit bereit, einzugreifen wenn es nötig wäre.
Peter Leiths Gesichtsausdruck wurde nun ebenfalls wütend. 
"Was erlaubst du dir eigentlich, so mit mir zu sprechen, Gabriel!", ermahnte er ihn mit einem unterdrückten Beben in der Stimme. Gabriel war kaum fünf Zentimeter kleiner als sein Vater, was den Kampf zwischen den Beiden nicht unbedingt einfacher machte. 
Gabriel wandte sich mit einem geschickten Dreh seiner Arme aus dem Griff seines Vaters und stieß ihn mit beiden Händen von sich. 
"Was willst du hier?! Willst du mir vielleicht endlich erklären was hier für ne abgefuckte scheiße abgeht?!"
Mister Leith schnaufte, packte seinen Sohn erneut am Handgelenk und zog ihn an sich heran.
Gabriel erstarrte für einen Moment, als er das Feuer in den Augen seines Vaters sah. 
Diesen Blick kannte er. 
Wie ausgewechselt zuckte er plötzlich zusammen und drehte den Kopf weg. 
Doch Peter rümpfte nur die Nase über ihn und stieß ihn von sich, sodass Gabriel zu Boden stürzte. 
"Sieh dich an, Sohn", sprach er mit Abscheu in der Stimme. 
"Deine Mutter würde sich für dich schämen. Du bist kein Mann geworden, du bist ein feiges Kind das sich nicht mal selbst beschützen kann. Wie willst du jemals erwachsen werden??"
Gabriel war rücklings auf die Pflastersteine gestürzt und schnappte nach Luft. 
"Warum bist du hier??", Gabriel konnte das Zittern seiner Stimme nicht zurückhalten. 
"Was willst du von mir?"

the Anarchy of the HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt