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Der Mann führt mich zielstrebig durch die Gänge. Ich habe Mühe mit ihm mitzuhalten. Immer wenn, ich zu weit zurückfalle, hält er entnervt an und kommt zu mir zurück um mich voran zu scheuchen. Ich versuche mit ihm zu reden, aber was ich ihn auch frage oder ihm erzähle. Ich erhalte stets nur ein Grunzen als Antwort. Dann bleibt er schließlich vor einer imposanten zweischwingigen Tür stehen und klopft an. Neben den Kraken, die überall in diesem Gebäude zu finden sind, sind auch noch andere Symbole und Figuren in das dunkle Holz der Türen geschnitzt worden. Es sind Bilder aus Sagen, Märchen und Legenden.

"Hier rein!", gibt er in seinem Befehlston von sich.

Mit wenigen Schritten stehe ich neben ihm und kann ein leises "Herein." hören. Zögernd greife ich nach der Türklinke, einem goldenen Tentakel. Unsicher sehe ich zu dem Mann auf, der mich hergebracht hat. Sein starrer Blick lässt mich stark daran zweifeln, dass ich eine Wahl hätte.

"Mach' schon!", keift er mich an.

Ich hole noch einmal tief Luft und drücke dann die Türklinke herunter. Dahinter erwartet mich ein eher zweckmäßig eingerichtetes Arbeitszimmer, dessen Wände von hohen Bücherregalen gesäumt werden. Es ist mit dunklen schweren Holzmöbeln ausgestattet. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch prangt der blutrote Totenschädel mit den Tentakeln, der das ungute Gefühl in meiner Magengegend nur noch verstärkt. Auf Sofas, die vor einem Ofen platziert sind, sitzen zwei Männer. Einer von ihnen sitzt mit dem Rücken von mir abgewandt und der andere, ein kleiner rundlicher Mann mit einer Brille auf der Nase, winkt mich zu ihnen.

"Komm nur her.", sagt er und lächelt mich freundlich an, "Setz' dich zu uns."

Unsicher mache ich ein paar Schritte auf die beiden zu. Dann fällt mir ein anderes kleines Detail ins Auge und bleibe abrupt stehen. Ein Lichtreflex macht mich darauf aufmerksam: silberne Schüsseln, die auf einem Tablett neben dem Schreibtisch stehen. Hundenäpfe, schießt es mir durch den Kopf. Er muss seinen Hund wirklich lieben, wenn er ihm erlaubt sich in seinem Büro aufzuhalten.

"Tu' nicht so schüchtern. Das kauft dir hier niemand mehr ab.", fährt mich der andere Mann an, als er mein Zögern bemerkt. Während er das sagt, dreht er sich zu mir, sodass ich auch sein Gesicht sehen kann.

Er starrt mich aus seinen eiskalten Augen an. Von seinem kantigem Gesicht heben sich zwei verschorfte Kratzer ab. Sie sehen so aus als hätte er sie von den Krallen eines Tiers erhalten. Doch welches Tier hat nur zwei Krallen? Dafür liegen die einzelnen Kratzer viel zu weit auseinander. Dann formt sich plötzlich ein Wort in meinem Kopf.

"Jäger.", ich spucke es ihm förmlich vor die Füße.

Das Wort, nein, der Name lässt die Erinnerungen wieder auf mich niederprasseln, die Gasse, der Platz, die Transporter - wie er mich versuchte zu erwürgen. Unwillkürlich fasse ich mir bei dem Gedanken daran an den Hals. Er fühlt sich etwas geschwollen an, aber ich spüre keinen Schmerz. Mit der Erinnerung kommt auch Panik, nicht wie die befriedigende Ruhe, die ich verspürt habe, als ich Jägers Gesicht verschönert habe. Ich spüre wie mein Herz rast. Am liebsten möchte ich wegrennen, aber bleibe wie erstarrt stehen, kann mich nicht bewegen.

"Du erinnerst dich also." Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich meine einen amüsierten Unterton herauszuhören.

Statt darauf etwas zu erwidern, starre ich ihn nur feindselig an. Ich versuche so angsteinflößend wie möglich drein zu schauen, aber alles was ich damit bezwecke ist ein hämisches Grinsen, das mir Jäger zuwirft. Sein Grinsen wird sogar noch breiter, als er bemerkt, wie ich meinen Rücken durchstrecke um einige Millimeter größer zu werden und meine Hände zu Fäusten balle. Er hat keine Ahnung mit wem er sich da anlegt. Ich mag weder so stark sein, noch eine so gute Kampfausbildung erhalten haben wie er, aber ich bin intelligent. Jäger hat eine genauso große Chance gegen mich wie Goliath sie gegen David hatte oder der Drache gegen Siegfried den Drachentöter. Beide waren ihrem übermächtig wirkenden Gegner in Stärke und Größe unterlegen gewesen und hatten ihn trotzdem besiegen können.

Changes (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt