1.3

134 9 0
                                    

Aus irgendeinem Grund, ich weiß nicht welchem, ist heute unser Glückstag, denn am anderen Ende der Schlange befindet sich tatsächlich eine Art improvisierte Suppenküche, in der aus einem großen Topf, den man auf einen in Eile aus wahllos zusammengezimmerten Bretter bestehendenTisch gestellt hatte, warmes Essen wird.

Mein und Felix Glück wird sogar noch größer als ein Mann, der seine besten Jahre schon lange hinter sich hat, uns beide bemerkt und anschließend beschließt zu behaupten ich sei seine Nichte, die extra zu seinem 70sten Geburtstag und dazu noch zu Fuß gekommen sei um mit ihm zu feiern. Ich kann mir nicht erklären wieso er so etwas für eine Wildfremde tut. Der Soldat, der für die Verteilung des Essens verantwortlich ist, gibt mir für diese - wie er selbst sagt - bewundernswerte Tat sogar noch eine weitere Scheibe von dem steinharten Brot, das sie mit der Suppe verteilen. Ich halte die zweite Scheibe Brot für den Anlass, dass der Mann sich für meinen Onkel ausgibt und schenke ihm gleich beide um mich für sein großzügiges Verhalten, das mir das Warten in der Schlange erspart hat, zu bedanken. Nachdem er sie dankend angenommen hat, verschwindet er in eine Richtung

Ich sehe das als Zeichen nun endlich in Ruhe etwas essen zu können und setze ich mich nachdem ich mich nach einem geeigneten Ort umgesehen habe, auf eine Steinmauer, die sich hinter der Suppenküche befindet und einmal zu einem Brunnen gehört haben muss. Aus einem abgewinkelten Rohr auf einem großen Sockel in der Mitte des Gebildes tropft in regelmäßigen Abständen Wasser, das einmal zu einem Wasserspeier gehört haben muss. Jedoch finde ich nichts in dem Steinhaufen, der einmal eine Statue gewesen sein musste, das auf deren ursprüngliche Form hindeutet. Wem die Statue wohl gegolten hat?

Doch ich befasse mich nicht weiter damit und esse stattdessen, das was sich eine Suppe schimpft - warmes Wasser wäre treffender. In der Brühe finde ich dann sogar ein paar Fetzen Fleisch. Wahrscheinlich war das einmal eine Ratte oder eine Maus, was man den Leuten eben kostenlos anbieten kann, aber so genau will ich das eigentlich gar nicht wissen.

"Du bringst tatsächlich Glück, kleiner Hund.", sage ich und werfe ihm etwas von dem Fleisch vor die Füße.

Mit nur wenigen gierigen Bissen schlingt er es hinunter. Als meine Schale leer ist, stelle ich sie Felix vor die Füße. Fast genauso schnell wie er das Fleisch verputzt hat, hat er auch das Teller ausgeschleckt. Hätte ich doch nur eine der beiden Scheiben Brot behalten. Mein Magen zieht sich nur bei dem Gedanken an etwas nahrhaftes zu Essen vor Hunger zusammen. Diese Brühe macht nur, dass sich mein Körper schwerer anfühlt, macht mich langsamer, müder. Wie soll ich nur diesen Zola finden? Was wenn er tot ist und das hier nur unnötige Anstrengung? Doch dann sieht mich Felixaus diesen unendlich traurig dreinschauenden schwarzen Augen an, als hätte er meine Gedanken gelesen und es fällt mir schwer auch nur ans aufgeben zu denken.

Etwas stupst gegen mein Bein. Ich blicke nach unten und sehe wie Felix auf seinen drei Beinchen hin und her taumelt und schließlich alle Viere von sich gestreckt auf den Bauch fälllt. Er erinnert mich ein wenig an die Clowns, die ich als kleines Mädchen im Zirkus gesehen habe und lächle bei dem Gedanken daran. Die Faxenmacher haben mir immer am besten gefallen. Dann hebt er seinen Kopf und sieht mir direkt in meine Augen. Ich meine so etwas wie Zufriedenheit darin zu erkennen. Wie lange es wohl her ist seit er das letzte mal zu fressen bekommen hat? Ich springe vom Brunnenrand und knie mich neben ihn in den Schutt. Mit einer Hand streiche ich über seinen Rücken, doch er scheint es nicht zu bemerken. Etwas verunsichert dadurch hebe ich ihn an. Wie er da liegt kann nicht sonderlich bequem sein. Unter meinen Fingern kann ich fühlen wie sein Herz schlägt, vielmehr wie es rast.

"Felix?", frage ich.

Doch der kleine Hund reagiert nicht auf seinen eigenen Namen. Er hebt nicht einmal sein Köpfchen. Es hängt einfach nur schlaff nach unten. Was soll ich tun? Felix ist mir in den wenigen vergangenen Stunden zu sehr ans Herz gewachsen um ihn hier einfach zurück zu lassen, wie ich es vielleicht mit einem anderen Streuner getan hätte. Was also tun? Ich kann nicht noch jemanden sterben lassen. Das steht für mich fest. Allein der Gedanke daran... nein, das ist unmöglich. Doch wer sollte mir schon helfen, einer Fremden? Doch dann fiehl mir doch jemand ein: der alte Mann von vorhin. Er musste mir doch noch etwas schuldig sein, oder etwa nicht? Immerhin habe ich ihm zwei Scheiben Brot geschenkt.

Hastig stehe ich auf und drücke das kleine dunkle Fellknäul gegen meine Brust. Zuerst sehe ich mich auf dem Platz um, aber ich kann ihn dort nicht entdecken. Er ist fort.

"Nein, nein. Das darf doch nicht wahr sein.", rede ich mit mir selbst, während ich in Panik den Platz überqueere und in einer der Gassen verschwinde.

Keiner der in der Schlange Wartenden würde sich auch nur annähernd für mich interessieren. Sie sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Vielleicht finde ich irgendwo irgendwen in dieser Stadt, der Felix helfen kann. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber ich muss es zumindest versuchen.

Ich gehe und renne auch hin und wieder durch die schmalen Gassen. Immer wieder bleibe ich stehen um mich umzusehen, drehe mich im Kreis. Bald weiß ich nicht mehr aus welcher Richtung ich gekommen bin, wo ich schon einmal gewesen bin. Immer wieder rufe ich verzweifelt um Hilfe. Doch keine Menschenseele antwortet mir. Es ist als wäre ich völlig allein.

Dann öffnet sich vor mir die kleine Gasse, durch die ich gerade gehe zu einem großen Platz. Wie angewurzelt bleibe ich stehen, klammere meine Arme fester um den kleinen Hund in meinen Armen. Gott bewahre... Mehrere Lastwagen stehen dort. Ihre Motoren machen einen unheimlichen Lärm und Männer in dunklen Uniformen eilen zwischen den Wägen umher. Auf den Planen der Lastwägen und auf den Uniformen ist dieses Symbol. Ich habe es schon einmal gesehen. Es verheißt nichts gutes.

Für einen Moment fühle ich mich wie eingefroren, doch dann drehen sich meine Beine wie von selbst und rennen den Weg zurück aus dem ich gekommen bin. Bevor ich jedoch in der nächsten Gasse verschwinden kann, taucht ein dunkler Schemen vor mir auf, in den ich prompt hineinrenne.

"Nicht so schnell, mein Fräulein.", ermahnt mich der Mann, in den ich gerade hinein gelaufen bin.

Nein, nein. Das darf nicht wahr sein. Er trägt dieselbe Uniform wie die Männer auf dem Platz. Ich versuche an ihm vorbei zu schlüpfen, doch er hält mich an meinem Arm fest und dreht mich zu sich. Beinahe hätte ich Felix fallen lassen. Nun hängt er schlaff über meinem linken Arm.

Dann packt der Mann mich am Hals und hebt mich vom Boden ab. Felix fällt mir aus der Hand. Ich ringe verzweifelt nach Luft und versuche irgendwie seinen Griff zu lockern. Doch ohne Erfolg. Sein eiserner Griff bleibt bestehen.

"Sieh mich an.", sagt er und hält mich noch ein Stück höher. Ich befolge seine Anweisung und schlage dann mit meinen langen Fingernägeln nach seinem Gesicht. Ohne eine Mine zu verziehen nimmt er es einfach hin. Zwei lange rote Streifen ziehen sich über seine Wange kurz unterhalb seines linken Auges. Ich lächle ihn an.

"Miststück.", ist sein einziger Kommentar dazu. Doch ich verstehe ihn kaum. Es ist als ob meine Ohren mit Watte zugestopft wären. Die blutigen Kratzer auf seiner Wange scheinen zu tanzen, die Welt um mich herum beginnt sich zu drehen und Flecken, so schwarz wie die Uniform des Mannes umschwirren mich. Mir wird übel davon. Doch ich höre nicht auf ihn anzugrinsen. Ich möchte auch noch die andere Seite seines hässlichen Gesichts verschönern. Es sieht so blass aus und könnte etwas Farbe vertragen. Aber mein Arm möchte mir nicht gehorchen und hängt nur schlaff an mir herab. Mein ganzer Körper fühlt sich taub an.

"Jäger!"

Plötzlich werde ich losgelassen. Meine Beine Knicken unter mir weg, als sie den Boden wieder berühren. Auf dem Bodne aufgekommen, füllen sich meine Lungen schlagartig wieder mit Luft. Sie brennen so sehr, dass mir davon schwindelig wird. Es ist ein komisches Gefühl. Lachend und hustend lasse ich mich zur Seite fallen. Ich lebe noch.

"Gr - grill - en - hi - rn.", presse ich zwischen Husten und Lachen hervor. Es ist das Erstbeste, das mir dazu einfallen will.

Danach werden die dunklen Punkte, die durch mein Sichtfeld schwirren, immer größer. Bis ich nichts mehr sehe und auch nichts mehr höre.

Changes (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt