Gewinner und Verlierer

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Counter: 10 Tage, 12 Stunden, 16 Minuten// Tote: 23// Lebende: 1 – Endstand

Lichter blitzen vor meinen Augen auf, Stimmen werden lauter und verschwinden wieder in der Ferne. Ich werde durchgeschüttelt. Etwas Kühles berührt meine Arme. Noch mehr Stimmen undeutlich in der Ferne. Verwirrende Gerüche wechseln sich ab. Schmerzen kommen und gehen. Und immer wieder aufgeregte Stimmen. Es hört sich an als würden sie Fragen stellen. Aber ich kann nicht verstehen. Dunkelheit und Helligkeit kommen und gehen. Zwischendurch immer wieder nur Schwärze und keine Empfindungen mehr. Es fühlt sich an als würde ich körperlos schweben. Wo bin ich? Was passiert? Meine Gedanken entgleiten mir wieder. Ich kann sie einfach nicht festhalten. Erleichtert lasse ich mich fallen. ‚Später, später...' flüstert eine Stimme von irgendwo zu mir. ‚Ruh dich aus...'

Es ist vorbei. Ein Gedanke der mich eigentlich erfreuen sollte. Es war vorbei, aber nicht so wie ich mir das wünschte. An den Flug im Hovercraft erinnere ich mich kaum. Nur an weiß gekleidete Gestalten die mir eine Spritze in den Arm jagen kann ich mich noch entsinnen. Längst habe ich gelernt was sich in den Spritzen befindet: der heiß ersehnte traumlose Schlaf. Immer wieder besuchen mich die Ärzte an meinem Krankenbett, nur um mir wieder eine Spritze zu verabreichen. Wie viel Zeit seit dem Ende der Spiele vergangen ist kann ich nicht sagen. Es könnten Wochen sein, aber auch nur ein paar Stunden. Mein ganzer Körper fühlt sich schlaff an und kein Glied gehorcht mehr meinem Befehl, nicht einmal wirklich mit dem Finger zucken kann ich. Doch das ist egal, so lange auch mein Kopf sich anfühlt wie in Watte gepackt. Zumeist starre ich an die klinisch weiße Decke und präge mir das Muster der Deckenplatten ein. Es ist schwer überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Mit Mühe kann ich mich überhaupt erst an die Hungerspiele erinnern. Doch die Gedanken an eine Arena und Wasser, so viel Wasser, sind getrübt. Wenn ich nur daran denke fängt mein Kopf an zu schmerzen bis ich anfange zu schreien. Ich begreife, dass es schrecklich ist ohne zu wissen wieso.

Vor meinen Augen ziehen immer wieder Gesichter vorbei. Erinnerungen an eine vergangene Zeit. 24 von uns auf Kutschen in überbunten Kostümen. 24 von uns in der besten Abendgarderobe wartend auf ein Interview. 24 von uns in einer Trainingshalle voll Furcht und Wut. 24 von uns auf einer grünen Wiese, wartend auf das Startsignal. Aber jetzt nur noch eine. Stechende Schmerzen schießen in meine Stirn. So gerne will ich die Hände vors Gesicht schlagen, doch mein Körper gehorcht mir wieder nicht. Als wenn ich in meinem eigenen Kopf gefangen bin. Ich versuche mich gegen die unsichtbaren Fesseln zu werfen, doch nichts passiert. Als die dunklen Bilder voller Blut durch meinen Kopf zu geistern beginnen schreie ich. Der einzige Ausweg der mir noch bleibt.

Wie vorherzusehen ist öffnet sich sofort eine Tür am anderen Ende des Raumes. Schwere Schritte nähern sich. Es sticht in meinen Oberarm. Fast zeitgleich überschwemmt mich eine Welle der Lethargie. Ein warmes, weiches Gefühl breitet sich durch mich aus und umhüllt die bösen Erinnerungen. Mein Blick trübt sich. Vor meinen Augen verschwimmt die weiße Zimmerdecke. Schlaf überkommt mich erneut.

Als ich wieder erwache ist das wattige Gefühl in meinem Kopf verschwunden. Zum ersten Mal kann ich mich auf die Stimmen konzentrieren die mich geweckt haben.

„Es sind jetzt schon zwei Wochen. Das ist einfach zu viel!"

„Ich würde sie doch sehr bitten sich da nicht einzumischen! Ihr Zustand ist mehr als schlecht, so ist sie in absolut keinem vorführungswürdigen Zustand. Was sollen denn die Leute denken?"

„Aber darum geht es doch gar nicht! Es geht darum, dass ihr ein junges Mädchen bald drogenabhängig macht und nicht viel von ihr bleibt als eine leere Hülle. Auch wenn es hart ist, aber manchmal muss man die Wirklichkeit einfach ertragen, damit die Zeit die Wunden heilen kann. Ihre Drogen sind kein Allheilmittel!"

Meeresflüstern | Annie Cresta ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt