9. Das Haus mitten im Nirgendwo

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Entsetzt klappte Mona die Kinnlade herunter. ,,Was?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Keuchen, während sich ihre Frage wie ein Echo hunderte Male im Kopf wiederholte. Das war doch unmöglich, das konnte Mrs. Peterson nicht ernst gemeint haben! Wie ein Presslufthammer schlug ihr Herz pausenlos gegen ihre Brust, so hart und stetig, als würde es jeden Moment aus ihrem Körper herausspringen, wobei sie ihre Lehrerin fassungslos anstarrte. Nein, das kann sie nicht ernst meinen!, schallte es Mona ungläubig durch den Kopf. Sie muss verrückt sein! Kein Mensch ist zu einer solchen Macht imstande, und erst recht nicht... Sie brach in ihren Gedanken ab und starrte immer noch geschockt zu Boden. Am liebsten hätte sie ihren stillen Satz zuversichtlich zu Ende geführt, mit der absoluten Sicherheit, dass sie, Mona McGalen, nie zu solchen Begabungen fähig wäre. Doch irgendetwas in ihrem Inneren schien ihrer Meinung zu widersprechen, so, als würde es es versuchen ihr klarzumachen, dass Mrs. Peterson Recht hatte.

All die Bilder, die sie in den letzten Stunden gesammelt hatte, flammten vor ihrem inneren Auge auf und sie sah, wie das schwarze Ungeheuer im Busch ihres Gartens auf sie gelauert hatte, bevor es einige Zeit später Roland unter seinen mächtigen Pranken begraben hatte. Alles war so real gewesen, und das, obwohl es gar nicht so echt hätte wirken dürfen! Verzweifelt kniff das Mädchen ihre Augen zusammen und ballte ihre gesunde Hand zur Faust. Sie wollte das alles nicht wahrhaben, nicht daran glauben und es schon gar nicht erst hinnehmen. Alles in ihr wehrte sich gegen diese bittere Erkenntnis, die dafür sorgen würde, dass ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt werden würde. Lieber wollte sie in die Klinik eingewiesen und als verrückt abgestempelt zu werden, als solch eine Fähigkeit zu besitzen und von nun an ständig vor den scheußlichen Monstern ihrer Albträume fliehen zu müssen. Das kann einfach nicht sein, das ist vollkommen unmöglich!, wiederholte sie immer und immer wieder denselben Gedanken, obwohl ihr bereits schmerzlich bewusst war, dass das Unmögliche tatsächlich möglich geworden war. Eine andere Erklärung gab es für die Bestie nicht, die Mrs. Peterson und Roland ebenfalls sehen konnten, zumindest nicht, seitdem sie Rolands ungewöhnliche Stärke entdeckt hatte. Angst und Verzweiflung bohrten sich gleichzeitig wie scharfe Messer in ihr Herz, welches sein Blut in Form von Tränen demonstrierte, die in ihren Augen bereits zu brennen begonnen. Mona steckte nicht nur bis zum Halse im reinsten Schlamassel, sie befand sich bereits im schlimmsten Albtraum, den sie je gekannt hatte.

,,Hey, Mona!", erklang Rolands besorgte Stimme in ihren Ohren, ehe sie spürte, wie sich seine warme Hand auf ihrem Arm ablegte. ,,Ist alles in Ordnung? Du bist so... blass!" Ohne die Augen zu öffnen schüttelte sie hektisch den Kopf und biss sich fest auf die Unterlippe, um ihre Tränen mit aller Kraft fernzuhalten. Nein, nichts war in Ordnung! Im Gegenteil, es war alles nur noch schlimmer geworden, jetzt, wo sie wusste, dass sie eine Hexe war, die ihre Kräfte nicht unter Kontrolle hatte und ein Ungeheuer nach dem anderen ins Leben rief! Doch noch ehe sie dies aussprechen konnte, schnürte der Kummer ihr gnadenlos die Kehle zu, sodass ihre Worte schweigend in ihrem Hals erstickten. Roland schien sie jedoch auch ohne dies zu verstehen, denn Mona hörte anhand des quietschenden Polsters ihrer Sitze, wie er sich vorsichtig zur Seite beugte und kurz darauf seinen Arm um ihre Schulter legte. Seine warme Körpertemperatur übertrug sich auf ihre zitternden Arme, was ein wenig dafür sorgte, dass sie sich ein klein wenig beruhigte. Sie hatte ihm zwar längst noch nicht vergeben, dass er ihr etwas verschwiegen hatte und war ihm deswegen immer noch sauer, doch irgendwie tat ihr seine Versorge in diesem Moment so gut, dass sie ihn einfach nicht abschütteln konnte. Stattdessen saß sie bloß mit geschlossenen Augen da und versuchte sich durch tiefes Ein- und Ausatmen etwas mehr Ruhe zu beschaffen. Das ganze war einfach zu viel für sie, weshalb sie momentan alles dafür gab, um nur für einen kurzen Augenblick ein bisschen entspannt zu sein.

Mrs. Petersons mitfühlende Blicke bohrten sich derweil wie spitze Pfeile unter ihre Haut. ,,Ich hatte mir gedacht, dass du so reagieren würdest!", sagte sie leise. ,,Auch ich war damals sehr schockiert gewesen, als ich erfahren hatte, dass ich nicht normal war. Generell habe ich nur selten erlebt, dass irgendwer diese Offenbarung locker hingenommen hat." Sie machte eine kurze Pause und seufzte schwer, ehe sie schließlich fortfuhr. ,,Aber wie du siehst, bist du nicht allein! Ich und Roland werden dir so gut wie möglich helfen, das alles zu verkraften, indem wir dir gleich einen Einblick in unsere Welt zeigen werden!" Überrascht schlug Mona die Augen auf und blickte verwirrt zu ihrer Lehrerin nach vorne, die sie mit einem zuversichtlichen Lächeln bedachte. ,,Eure... Welt?", murmelte sie verwundert und zog die Stirn in Falten. Hatten die beiden sowas in die Richtung nicht vorhin bereits erwähnt? Was meinte die Frau nur damit? Und warum sollte ihr diese komische Welt, die Mrs. Peterson ihr scheinbar so gerne präsentieren wollte, in irgendeiner Art und Weise weiterhelfen? Himmel, sie hatte gerade eben erfahren, dass sie eine ungewöhnliche Spezies von Mensch war, musste die ganze Situation damit etwa unbedingt noch komplizierter gemacht werden?

Dream - Die Sage der TraumwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt