12. Die Feindseligkeit eines Drachens

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Entsetzt riss Mona die Augen weiter auf. Träumte sie das alles etwa bloß oder... oder war das tatsächlich ein echter Drache? Angst floss strömend durch ihre Adern und ließ jedes ihrer Körperteile förmlich zu Eis erstarren, während sie wie ein scheues Reh zu dem sich nähernden Wesen hinaufsah. Wie oft hatte sie doch schon davon geträumt, auch nur ein einziges Mal auf ein solches Geschöpf zu treffen und wenn nicht sogar auf seinem Rücken durch die Luft fliegen zu dürfen, doch nun war ihr ganz anders zumute, als es ihr in ihren verrückten Fantasien gewesen war. Jetzt hatte sich ihr vermeintlicher Traum wirklich bewahrheitet und anstatt in Freude auszubrechen und wie ein kleines Kind glücklich umher zu springen, stand sie nun einfach nur stocksteif da und betete verzweifelt, nicht der nächste Hungerhappen des Drachens zu sein.

Das riesige Wesen hatte sich der Erdoberfläche mittlerweile erstaunlich schnell genähert und das Mädchen sog vor Schreck scharf die Luft ein, als ihr auffiel, wie groß diese Kreatur eigentlich war. Sie war zwar noch nie besonders gut darin gewesen, bestimmte Höhen korrekt einzuschätzen, doch sie war sich absolut sicher, dass dieses Geschöpf locker ein Familienhaus überragen würde, und das allein nur mit der Schultergröße. Der Drache glitt langsam über ihren Köpfen hinweg, bis er endlich eine geeignete Stelle zum Landen gefunden zu haben schien und mit kräftigen Flügelschlägen mitten in der Luft zum Halt kam, worauf er vorsichtig auf den Boden hinunter zu sinken begann. Seine ledernen Flügel erzeugten bei jedem einzelnen Schlag eine stürmische Böe, die das Gras der Lichtung flach und zitterig auf die Erde drückte, während auch Mona mit allen Kräften damit haderte, nicht ebenfalls den Halt zu verlieren. Ihre Augen waren dabei weiterhin fest auf das gigantische Tier gerichtet, das sich gemächlich aus der Luft auf den Boden zu begab und seine hinteren Pranken dabei bereit zum Aufsetzten von sich weg streckte. Schon nach wenigen Minuten, die dem Mädchen wie etliche Stunden vorgekommen waren, setzte das Wesen endlich mit den Klauen auf dem Boden auf und gab ein grölendes Geräusch aus dem Hals von sich, als es seine Flügel eng am Körper anlegte und sich vorsichtig nach vorne lehnte. Dabei stellte Mona überrascht fest, dass der Drache keine natürlichen Vorderbeine wie die eines ganz normalen Tieres verfügte. Seine Vorderläufer zeichneten sich stattdessen aus seinen Flügeln aus, an dessen äußerem Rand wie bei einer Fledermaus jeweils ein Strang aus beinartigen Knochen zu erkennen waren, aus denen an jedem Flügel jeweils eine Klaue hervorging, die die Kreatur vom Leder seiner Schwingen löste und sie für die Erde bereit spreizte.

Die Wiese erbebte etwas unter ihren Füßen, als der Drache seine vorderen Krallen auf dem Boden absetzte und sein Gewicht grunzend auf alle vier Läufer verteilte, wobei er seinen gezackten Kopf zu den vier Menschen und dem Wolf wandte, die ihn bereits beobachteten. Mit einer Mischung aus Furcht und Faszination starrte Mona zu dem Geschöpf hinauf, welches nur wenige Meter von ihr entfernt war. In ihrem Inneren tobten die Gedanken und Gefühle nur so durcheinander, so, als hätten sie sich in einen riesigen Wirbelsturm verwandelt. Sie war sich selbst nicht ganz im Klaren, wie sie sich diesem Wesen nun gegenüber verhalten sollte, sodass sie bloß einfach da stand und es sprachlos beäugte. Sollte sie wegrennen und zu allen Göttern beten, dass sie ihre Flucht überleben würde? Oder war diese Kreatur vielleicht doch nicht so gefährlich, wie es wirkte und würde ihr nichts tun? Unentschlossen schielte das Mädchen zu ihren menschlichen Begleitern, um zu überprüfen, wie sie die Situation abschätzten, doch im Gegensatz zu ihr waren alle drei alles andere als verängstigt. Im Gegenteil! Auf Ethans Gesicht begann sich ein breites Grinsen auszubreiten, während er im nächsten Moment zu Monas Überraschung voller Freude auf den Drachen zu stürmte.

,,Brutus, mein Großer!", rief er begeistert und breitete seine Arme aus, worauf er den Kopf des Tieres erfreut umarmte. ,,Da bist du ja endlich! Na, du großer Haudegen, was hast du so in meiner Abwesenheit getrieben, hm?" Ungläubig zog Mona die Stirn kraus, während sie mit pochendem Herz beobachtete, wie der junge Mann mit dem Geschöpf schmuste, als wäre es  bloß ein kleiner Schoßhund. Die Szene ähnelte stark dem vorherigen Szenario, in der Roland und Luna miteinander gespielt hatten, was in ihrem Kopf noch mehr Fragezeichen auslöste. Kannten sich die beiden etwa ebenfalls bereits sehr gut, sodass sie so freundschaftlich miteinander umgingen? Und überhaupt, wie war es dazu gekommen, dass dieser Drache von jetzt auf gleich einfach aufgetaucht war? Hat es etwa etwas mit diesem komischen Gefasel zu tun, das Ethan vorhin geführt hat?, überlegte das Mädchen nachdenklich, wobei ihre Miene vor Ungläubigkeit zunehmend blasser wurde. Wie... um Himmels Willen, das ist doch nicht wirklich möglich, oder? Hat... hat er diesen Drachen damit gerade etwa tatsächlich... gerufen? Aber... wie zum Henker soll das bitte gehen? Er hat seine Nachricht ja nicht einmal in die Welt hinaus geschrien, sondern nur geflüstert! Das ergibt alles überhaupt keinen  Sinn!

Dream - Die Sage der TraumwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt