15. Angriff der Tenebraner

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Amelias Gesicht hatte mit einem Mal sofort an Farbe verloren. ,,Wie bitte?", fragte sie fassungslos, während sie den Vogel aus entsetzten Augen anstarrte. ,,Wie ist es bloß dazu gekommen?" ,,Frag das nicht mich!", erwiderte dieser aufgewühlt, wobei er umso hektischer mit den Flügeln zu schlagen begann. ,,Ich weiß doch selbst nicht, wie sie das angestellt haben, aber das ist gerade mal völlig unwichtig! Wir brauchen dringend Verstärkung von dir und Brutus, sonst werden wir sie nicht mehr lange aufhalten können! Bitte, ohne eure Hilfe werden sie uns gnadenlos über den Haufen rennen und..." ,,Schon in Ordnung, Feuerfeder!", unterbrach die Anführerin ihn mit einer sonderbar ruhigen Stimme und hob gebieterisch die Hand. ,,Mach dir keine Sorgen! Ich danke dir vielmals, dass du den weiten Weg bis hier her auf dich genommen hast, um uns darüber zu informieren! Wir werden uns augenblicklich darum kümmern!" Damit wandte sie sich an den Drachen, der auf Feuerfeders beunruhigende Nachricht hin ein hasserfülltes Knurren ausgestieß, welches Mona diesmal einen noch größeren Schauer über den Rücken jagte als das zuvor.

,,Brutus, mir ist bewusst, dass du auf mich nicht besonders gut zu sprechen sein magst,", begann sie mit einem verständnisvollen, aber auch ernstvollen Ton, der die missliche Lage deutlich hervorhob, ,,aber dennoch bitte ich dich darum, uns so schnell du kannst zur Landesgrenze von Claritas und Tenebris zu fliegen! Wie es scheint, müssen wir unsere ehemaligen Gefährten ein weiteres Mal daran hindern, die heiligen Gebote der Traumwandler zu brechen!" Verwirrt blickte Mona zwischen ihren Freunden hin und her. Ehemalige Gefährten? Heilige Gebote? Sie verstand kein einziges der soeben genannten Begriffe, doch sie hatte nicht den Eindruck, dass sie etwas Gutes zu bedeuten hatten. Die Anspannung der anderen schien sich wie eine Seuche auf sie zu übertragen, weswegen sich ihre Nackenhaare alarmiert aufzustellen begonnen und ein unwohles Grummeln in ihrem Magen breit machte. Was auch immer das für mysteriöse Typen sein mochten, die sich... Tenebraner oder so nannten, sie waren garantiert keine Menschen, mit denen das Mädchen gerne etwas zu tun haben wollte. Sie müssen irgendwas mit dem komischen Gerede von diesem Tenebris gemeinsam haben!, grübelte sie, wobei sich ihre innere Nervosität mit jedem weiteren Gedanken vergrößerte. Mona hatte diesen eigenartigen Begriff nun bereits einige Male zu hören bekommen und immer wieder hatten ihre Begleiter ihn in einen grausigen Zusammenhang einbezogen, weshalb sie sich kaum vorstellen konnte, dass er überhaupt positiv gedeutet werden mochte.

Das Riesenreptil war dementsprechend noch aggressiver gestimmt als zuvor, denn nachdem Amelia ihn um seine Unterstützung gebeten hatte, fletschte er wutentbrannt seine Zähne und stieß ein lautes Grölen aus, das einige Vögel aus den Tannen unter ihnen erschrocken in die Höhe flattern ließ. ,,Da fragst du mich noch?", gab er zur Antwort und starrte die Frau von der Seite angriffslustig an, wobei sich das orangene Feuer in seinen Augen zu einem wilden Brand entfachte. ,,Ich werde es niemals zulassen, dass ein mickriger Tenebraner ungebeten die Grenzen überschreitet! Wenn ich einen von diesen Bastarden in die Krallen bekomme, dann wird der sich sehnlichst wünschen, nie geboren worden zu sein!"

Hektisch wirbelte er mit seinem Kopf erneut zu Feuerfeder herum, der sich sichtlich von dieser plötzlichen Reaktion erschrocken hatte und panisch einen Satz in der Luft zurück schwenkte. Den Drachen schien dies jedoch nicht besonders zu stören, denn er stob bloß grimmig eine Rauchwolke aus seinen Nüstern, um offensichtlich zu verstehen zu geben, dass er bereit war. ,,Flieg voraus!", befahl er dem Vogel grobkantig. ,,Diese lausigen Widerlinge sollen mein Feuer zu spüren bekommen!" Entsetzt schnappte Mona nach Luft. Meinte Brutus das etwa ernst? Plante er wirklich, diese Eindringlinge zu... töten? Ihr Mund fühlte sich mit einem Mal ziemlich trocken an und in ihrem Kopf wirbelten unzählige Gedanken durcheinander, sodass ihr allein von der grauenvollen Vorstellung schwindelig wurde. Eigentlich müsste sie gegen solche Gewalt längst abgehärtet sein, seitdem sie im vorherigen Jahr eine riesige Vorliebe für Game of Thrones entwickelt hatte und jede einzelne Folge trotz der brutalen Szenen in und auswendig kannte, doch sobald sie im realen Leben von grausamen Ereignissen wie Mordschlägen oder Massentoden zu hören bekam, wurde ihr immer augenblicklich übel zumute. Das Mädchen konnte es einfach nicht ertragen, wenn unschuldige Menschen auf schreckliche Art und Weise starben und auch, wenn diese Typen, von denen die anderen so aufgewühlt sprachen, alles andere als gutherzig zu sein schienen, so trugen sie dennoch ein wertvolles Leben in sich und am lebendigen Leibe verbrannt zu werden, stellte Mona sich mehr als entsetzlich vor.

Dream - Die Sage der TraumwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt