22. Dem Bösen ausgeliefert

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Wie elektrisiert fuhr das Mädchen zusammen. Als hätte ihr Herz für einen kurzen Moment ausgesetzt, glaubte Mona, die Welt um sie herum würde verschwimmen. Verschwimmen durch den schlagartigen Schwindel, der knapp hinter ihrer Stirn explodierte und jegliche Ordnung durcheinander brachte, die ihr zuvor noch ansatzweise geblieben war. Silvia war hinter ihr her. Diese Erkenntnis schien ihr bitterer auf der Zunge zu zergehen, als die vermeintliche Vermutung, die Tenebranerin hatte sie und Roland bloß ein bisschen terrorisieren wollen.

Verstört schüttelte die Claritanerin den Kopf, während sie die Frau aus Schreck geweiteten Augen anstarrte. Das konnte einfach nicht deren Ernst sein! Es durfte nicht der Wahrheit entsprechen! Was um Himmels Willen sollte sie, ein unsichereres Wesen von zärtlicher Natur, einer teuflischen Verbrecherin wie dieser von Nutzen sein? Das ergab überhaupt keinen Sinn!

Als hätte man ihr den Boden unter den Füßen entrissen, spürte Mona, wie ihre Beine zittrig nachgaben. Beinahe benommen stolperte sie einige Schritte zurück und vernahm schwammig, wie ihr Körper allmählich abschwächte, sich der Erdanziehungskraft mehr und mehr hingab, als wäre jegliche Hoffnung auf Rettung verrauscht. Vermutlich war dem sogar auch.

Doch noch bevor sie endgültig der Ohnmacht verfiel und donnernd auf dem erdigen Asphalt aufprallte, schlangen sich Rolands wärmende Arme schützend um ihre Taille, sodass sie anstelle des staubigen Untergrundes mit dem Kopf auf seiner Brust aufkam. Sein weiches, von seinem seifigen Körpergeruch getünchtes Shirt ließ das Mädchen für eine Millisekunde vergessen, dass sie sich in ernster Gefahr befand und atmete voller Genuss den wohl bekannten Duft ein, der ihn wie gewöhnlich umgab und ihr im Normalfall das Gefühl vermittelte, in Sicherheit zu sein.

So sehr Mona allerdings doch hatte glauben wollen, die gesamte Situation wäre nur ein bösartiger Traum gewesen und sie würde jeden Moment eng an ihn gekuschelt in der Realität erwachen, so verriet ihr das wild pochende Herz unter der Haut ihres besten Freundes, dass sie diesem sehnlichen Wunsch keine Zuversicht schenken sollte. Ängstlich drückte sie sich enger an den Jungen, während sie ihr Gesicht aus lauter Scheu in seiner Kleidung zu verstecken versuchte. Sie wollte einfach nur fort von hier, fort von dieser grässlichen Frau, die sie entführen und ihr alle möglichen Gräueltaten antuen wollte, wenn sie sich erst einmal in ihrer Gewalt befand.

Wie eine hungrige Ratte kroch die Verzweiflung immer tiefer in Monas Herz. Es war, als würden zwei erbarmungslose Klauen nach der Claritanerin greifen und ihr so qualvoll die Kehle zudrücken, dass sie keine Luft mehr bekam, während sie jegliche Hoffnung auf Erlösung aus ihrem Körper sogen. Dass nichts mehr von dem Mädchen zurückblieb, als eine leere Hülle und der entsetzlichen Angst vor dem, was mit ihr in den nächsten Sekunden geschehen würde. Ganz zu schweigen von Roland, der seine beste Freundin umso sorgsamer an seinen muskulösen Oberkörper drückte.

,,Ich hab dich, alles ist gut!", hauchte er ihr führsorglich ins Ohr, wobei er mit seiner warmen Hand behutsam über ihren Rücken strich. Seine zittrige Haltung und brüchige Stimme, die er offensichtlich zu unterdrücken versuchte, verrieten Mona allerdings auf eine eiskalte Art und Weise, dass ihn Silvias Äußerung nicht minder schockiert hatte als sie selbst. Das Mädchen brauchte ihm nicht ins Gesicht zu blicken, um zu wissen, dass seine Miene womöglich noch bleicher und entsetzter geworden sein mochte als zuvor, ungefähr so, als hätte man ihm seinen endgültigen Untergang prophezeit.

Gerührt von seiner Sorge um sie huschte ein schwaches, wenn auch freudloses Lächeln über ihre Lippen. Im Normalfall hätte sie sich bereits wieder beruhigt, so liebevoll, wie er sie gerade in seinen Armen hielt und ihr den Halt gab, den sie benötigte, um nicht vollständig zusammenzubrechen. Mona konnte gar nicht beschreiben, wie dankbar sie ihm insgeheim dafür war, dass er sich darum bemühte, sie zu beschützen, obwohl es um seine Überlebenschancen noch fataler stand als um ihre eigenen, dass ein kurzweiliger Funke an Geborgenheit über ihr Herz hinweg schwappte. Egal, wie sehr sie um sich und ihn fürchtete, dass er an der Seite des Mädchens stand und es mit seinem Leben verteidigte, schätzte dieses mehr wert als alles Gold der Welt, dass man ihr hätte schenken können. Sie war schlichtweg einfach unbegreiflich froh, dass er bei ihr war.

Dream - Die Sage der TraumwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt