13. Eine Welt voller Magie

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Ängstlich krallte sich das Mädchen mit gekrümmtem Rücken an den schwarzen Schuppen des Drachens fest, während sie mit aller Kraft um Atem rang. Sie war sich noch nie im Leben so sicher gewesen, dass sie eine schlechte Entscheidung getroffen hatte, denn anstatt die wundervolle und bergige Landschaft von Claritas zu genießen, hockte sie nun wie ein zitterndes Häufchen Elend auf Brutus' großem Rücken und starrte unentwegt auf seine im Sonnenlicht glänzende Reptilienhaut. Der Wind pfiff wie eine schaurige Melodie an ihr vorbei und wirbelte ihre Haare wild durch die Luft, sodass sie sich ständig die eine oder andere Strähne von ihrer Schweiß gebadeten Stirn pusten musste. Ihren Körper ließ er genauso wenig verschont, denn mit jedem weiteren Zug zerrte er gnadenlos an ihrer Kleidung und trieb ihr dabei so viele Böen entgegen, als ob er sie unbedingt in die Tiefe reißen wollte.

Verzweifelt versuchte Mona, Ruhe über ihre extrem zitternden Glieder zu bringen und ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen, doch egal was sie tat oder wie oft sie sich einredete, dass ihr nichts passieren würde, ihr panischer Herzschlag wollte einfach nicht mit sich reden lassen. Dabei flog Brutus nicht einmal besonders weit oben, wo die Luft viel zu dünn und zu kalt war, allerdings hatte das Mädchen trotzdem das Gefühl, sie würde kein bisschen Sauerstoff mehr bekommen.
Mit Schweißperlen auf der Stirn schielte sie unsicher über den Rand der Flügel, die stetig im gleichmäßigen Takt auf und ab schlugen und ihr für alle paar Sekunden einen Blick auf die Erde preisgaben, doch kaum hatte sie auf die Baumkronen in mindestens zweihundert Meter Tiefe herabgeblickt, spürte sie auch schon die Galle in ihrem Hals hochkriechen. Ruckartig fuhr sie erneut zurück und duckte sich eng an den Rücken des Drachens, während sie in gekrümmter Haltung ihren Würgereiz in Schach zu halten versuchte. Beruhigend legte Roland seine Hand auf ihre Wirbelsäule. ,,Versuch dich zu entspannen!", sprach er verständnisvoll auf sie ein, wobei allerdings auch seine Stimme nicht viel ruhiger klang als ihre. ,,Sieh's positiv! Du stellst dich viel besser an als ich! Ich bin froh darüber, dass ich damals gerade mal so eben in die Tiefe als auf Brutus Rücken gekotzt habe! Danach hatte ich mir eigentlich geschworen, diesen Wahnsinn nie im Leben zu wiederholen!" Er schüttelte sich angewidert und es war ihm von der Stirn abzulesen, dass auch ihm der jetzige Flug alles andere als gut bekam. Brutus dagegen knurrte abfällig. ,,Du kannst dich glücklich schätzen, das nicht getan zu haben!", murrte er schlecht gelaunt und drehte seinen Kopf ein wenig zu Roland, sodass sein rechtes Auge mit seiner orangefarbenen Glut drohend in seine Richtung funkelte. ,,Ich hätte dich augenblicklich abgeworfen, egal wie tief du gefallen wärest! Wenn man schon die Ehre hat, auf einem Drachen zu sitzen, dann sollte man die gefälligst auch nutzen!" Damit wandte er sich wieder ab und widmete seine Aufmerksamkeit erneut seiner Flugbahn, wobei er stolz das Kinn in die Höhe reckte.

Ungläubig hob Mona den Kopf und vergaß dabei beinahe die ungeheure Übelkeit, die sich tief in ihrem Inneren wie eine Seuche ausbreitete. Meinte das Riesenreptil das etwa ernst? Warf er wirklich jeden vom Rücken, der sich nicht entsprechend würdevoll verhielt? Nervös krallte sie sich mit ihren Fingern so sehr an den Schuppen fest, dass ihre Fingerknochen weißlich hervortraten. Die Vorstellung, beim geringsten Vergehen sofort hinab zur Erde geschleudert zu werden, begann ihre ohnehin schon monströse Angst zu vervielfachen und sorgte dafür, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Am liebsten hätte sie den Flug augenblicklich wieder abgebrochen, denn egal, wie viel Mut sie sich zu Beginn zugesprochen hatte, so war davon nichts mehr übrig und ihr Bewusstsein warnte sie bereits wie eine eindringliche Sirene davor, in wenigen Sekunden der Ohnmacht zu verfallen. Doch das Mädchen widerstand dem Bedürfnis, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und biss sich tapfer auf die Unterlippe, in der Hoffnung, dass ihre enorme Furcht dadurch gedimmt werden würde. Sie hatte ihre Entscheidung bereits gefällt und sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als Brutus ihre Feigheit zu demonstrieren, indem sie ihrem Wille einfach nachgab und ihn angeflehte, wieder zu landen. Denn nach dem, was der gehässige Drache ihr vorhin vorgeworfen hatte, wollte sie unbedingt beweisen, dass in ihr mehr steckte als ein verwirrtes, ängstliches Kind, das sich nicht auf die Suche nach ihre Bestimmung wagte und somit zwang sie sich letztendlich verbissen, ihre wimmernden Worte hinunterzuschlucken, die sich aus ihrer Kehle zu zwängen versuchten.

Dream - Die Sage der TraumwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt