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Marks Sicht:

Ich sah die Welt verschwommen.
Die immer wieder kommenden Tränen erschwerten mir die Fähigkeit zu sehen, mein leises Schluchzen das Sprechen und die Stille war in diesem Moment so unglaublich laut.

Es war ein später Herbstnachmittag,
die zarten Sonnenstrahlen verabschiedeten sich langsam
von dieser Erde.
Ein schöner Tag eigentlich.

Die kunterbunten Blätter tanzten im Wind, die letzten Blumen zeigten zum letzten Mal ihre Pracht und der Himmel war in ein zartes rot getaucht.
Letzteres war wohl das passendste für diesen Tag. Einen Todestag.

Eine Beerdigung.
Jeder der hier stehenden Menschen
war schwarz gekleidet und jeder hatte Tränen in den Augen.
Wenn man das Wort „Tod" hört,
denkt man meistens an alte Omis und Opis, die nach einem langen Leben
voller Aufregung und Freude, ihren letzten Atemzug nehmen.

Auf dessen Beerdigung erwartet
man alle Verwandten, Kinder, Enkel
und Enkelkinder.
Ehemalige Arbeitskollegen, Freunde
und Bekannte.

Doch der Tod war nur in den
wenigsten Fällen so friedlich,
so erwartet. Denn heute hatte der Tod
das Leben eines Kindes genommen,
eines Teenagers.
Eines Mädchens, die aus
Machtgier Anderer geopfert
wurde.

Ihr Bruder kniete an ihrem Grab
und seine Schultern bebten und
senkten sich sehr deutlich.
Ich hatte wirklich Mitleid mit ihm.
Der, den er liebte, lag im Krankenhaus und man wusste nicht, ob er eine Zukunft hatte.

Eine Familie hatte er nicht,
denn die letzte Person, die dazu gehört hatte, hatte er vor wenigen Stunden verloren, auf ewig.
Jackson bestand darauf, dass Simon
eine Therapie machte und lernte,
das Geschehene zu verarbeiten.

Auch dem zuerst genannten ging
es nicht gut. Sein Team stand kurz vor dem Zusammenbruch, sein bester Freund war, wie schon erwähnt, bereits mit einem Fuß im Jenseits und sein langjähriger Kollege und Kumpel
war nun ein endgültig gebrochener
Mann.

Große, dunkle Augenringe schmückten die untere Augenpartie des Jüngeren
und seine Augen sahen übermüdet
und erschöpft aus.

„...nun möge sie im Himmel ruhen."
Mit jeder vergehenden Minute verließen die schwarz gekleideten Menschen nacheinander den Friedhof.
Jacksons brüchige Stimme ließ mich
ein wenig aufzucken.

Er unterbrach die Stille, die sich wie
ein schwarzer Schleier über diesen
Platz gelegt hatte.
„Fahr mit irgendjemandem der Crew mit. Ich komme nach."
Zugegeben, dies verletzte mich.
Dass er mich abschob, mich jemand anderem überließ.

Trotz dessen konnte ich das mehr
als gut nachvollziehen.
Sein Kollege und einer seiner besten Freunde hatte nun nichts mehr;
jener hatte alles verloren.

Ich fragte mich, was wäre, wenn es die Crew nicht gäbe.
Jeder von ihnen war irgendwo ein herzensguter Mensch.
Sie hatte alle gute Gründe,
um solch einen Job ausgesucht zu haben.

Doch Menschen töten, ihnen die Freiheit nehmen, weiterzuleben, weil manch andere Menschen einem das eigene Leben zur Hölle auf Erden gemacht hatten?
War das nicht zu viel?
Keine Ahnung.

Ich war noch in der Situation.
Und ich war froh, es gerade nicht zu sein. Mit diesen Gedanken stieg ich in den Wagen des Scharfschützen.
Würde uns, Jackson und mir auch so ein schreckliches Schicksal widerfahren?

Ich hatte immer gedacht, ich würde mit dem, den ich liebe heiraten, mich zurückziehen, Kinder adoptieren und irgendwann glücklich alt werden.

Doch ich zweifelte in diesem Moment mehr an solch einer Zukunft als je zuvor. Das würde nicht funktionieren.
Nicht mit Jackson.
Vor allem nicht mit seinem Job.

Ich wollte mir erst gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn wir ein Kind adoptieren würden und seine Feinde davon Wind bekämen.
Oder was passieren würde, wenn das Kind mitansehen müsste, wie sein Vater tagtäglich mit offenen Wunden und blauen Flecken nach Hause kommt.

Allein bei der Vorstellung,
dass wir einem Kind niemals ein normales und glückliches Leben ermöglichen könnten, ließ meine Laune noch tiefer Sinken, wenn das überhaupt noch möglich war.

Doch wollte ich das?
Wollte ich, dass wir ein 0815 Leben lebten? Wollte ich Jackson dazu zwingen, sich zu ändern? Hatte ich mich nicht gerade deswegen in ihn verliebt?
Weil er anders war?

Ich sollte nicht darüber nachdenken.
Ich sollte die Zukunft einfach auf uns zukommen lassen, anstatt ewig darüber nachzudenken und am Ende wieder am Anfang stehen.

„Wir sind da.", teilte mir der Fahrer mit, sein Blick starr aus dem Fenster gerichtet. Und tatsächlich: Als ich aus dem Fenster sah, erblickte ich unsere Einfahrt.
Mit einem leisen „Danke." stieg ich aus dem Auto aus und ging ins Haus.

Wann Jackson kommen würde,
wusste ich nicht.
Um die Zeit totzuschlagen,
machte ich mir erst einmal Tee meiner Lieblinssorte und schaltete den Fernseher ein. Es lief gerade irgendein Drama.

Ich beschloss es einfach zu lassen und mich mithilfe gespielter Probleme von Anderen von meinen Problemen abzulenken.

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Zeitsprung: 2 Jahre

„Jackson, beeil dich verdammt noch mal! Wir sind jetzt schon 25 Minuten zu spät!",brüllte ich, denn mit war gerade eben, in dieser Sekunde, endgültig der Geduldsfaden gerissen.

„Ich krieg das mit der Krawatte aber
nicht hin!",beschwerte er sich und trampelte die Treppen hinunter.
„Ich hab doch gesagt, dass ich das machen kann, wie oft denn noch?",
zischte ich angepisst.

Nach wenigen Handgriffen, die den schmalen Stoff um seinen Hals zu einer Krawatte machten, eilten wir ins Auto. „Oh, nein, nein, nein, nein... Diesmal, Jackson Wang, fahre ich." Er öffnete seinen Mund, wollte gerade etwas erwidern, schloss diesen aber, als ich meine Augenbrauen zusammenzog und ihn mit einem Killerblick betrachtete.

Man mag es zwar nicht glauben,
aber das Autofahren unter Zeitdruck war meine Stärke. Jackson würde in solchen Momenten aus Stress gegen den nächsten Baum krachen, und das war wirklich das letzte, was wir gerade brauchen konnten.

Die Reifen quietschen bei jeder Kurve und meine Mindestgeschwindigkeit war 240. Dies sorgte auch dafür, dass wir eine 30 minütige Strecke in weniger als 15 Minuten meisterten. „

Nimm den Champagner,
ich klingel schonmal.",forderte ich. Gerade als der Jüngere sich komplett außer Atem neben mich stellte und freundlich lächelte, wurde die Tür aufgemacht und ein über beide Ohren grinsender Daniel anstand vor uns.

Er umarmte uns beide kurz und schmunzelte:„Ihr habt euch ja mächtig verspätet." „Das lag an der Inkompetenz von Mr Wang. Er hat es nämlich nicht geschafft, seine Krawatte ordentlich zu richten.",klagte ich, immer noch ein sanftes Lächeln auf den Lippen tragend.

Jackson schmollte nur vor sich hin und Daniel bat uns schließlich ins Haus.
Wir gingen durch das Esszimmer und das Wohnzimmer, um in den Garten zu gelangen, wo Simon schon am Grill stand und die Steaks und Würstchen hin und wieder wendete.

Als er uns bemerkte, grinste er breit und sprach:„Na Jackie, was hast du schon wieder nicht hinbekommen?"

„Yah! Ich schwöre es dir, noch so ein Spruch und ich reiß dir den Arsch auf!" Lachend setzte ich mich an den Tisch und überreichte Daniel die äußerst teure Flasche, die er dankend annahm.

Ein zartes Lächeln Schlich sich auf meine Lippen. Mein Wunsch eines friedlichen Lebens war endlich in Erfüllung gegangen.

E N D E

Searching for happiness•Markson•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt