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Im Laufe des Tages fing es draußen wieder an zu regnen. Als ich nach Feierabend aus dem Laden trat, verfluchte ich mich darum, dass ich heute Morgen meinen Schirm Zuhause vergessen hatte.

Im Ernst - ich lebte in London! Wie konnte man da bloß seinen Regenschirm vergessen?! Auch wenn wir noch September hatten. Bis ich schließlich Zuhause ankam war ich bis auf die Knochen durchnässt und sprang als allererstes unter die Dusche. Ich ließ das heiße Wasser länger, als gewöhnlich über meinen Körper laufen, und genoss das Gefühl einfach nur. Danach machte ich mich an meine Hausaufgaben.

Um neun Uhr abends begann sich allmählich Unruhe in mir breit zu machen. Ich war mit den meisten Aufgaben durch und nahm mir vor, am Montag nach der Schule zur Bibliothek zu laufen, um einpaar Sachen für mein Referat in Spanische Geschichte zu recherchieren. Ich kochte mir Spagetti Carbonara und ließ noch eine gute Portion für meine Mutter übrig. Sie würde sicher Hunger haben, wenn sie gegen zwei Uhr nach Hause kam. Oder sie würde, wie so oft, direkt ins Bett gehen und das Essen ausfallen lassen. Der Gedanke machte mich schwermütig.

Ich wünschte mir, ich könnte mehr für meine Mutter tun. Immer hatte ich das Gefühl, als täte ich nicht genug, um ihr zu helfen. Aber meine Mum würde mich umbringen, wenn ich für sie die Schule hinschmiss und statt zur Uni arbeiten gehen würde. Sie rackerte sich die Seele aus dem Leib ab, damit ich überhaupt die besten Chancen hatte, da wollte ich ihre Mühen nicht mit Füßen treten.

Trotzdem, der bittere Nachgeschmack blieb.

Die Zeit verrann viel zu langsam, hatte ich das Gefühl, und als zehn Uhr vorüber war, regnete es draußen noch immer in Strömen. Es kribbelte mir in den Fingern, meine Sachen zu packen und dem Drängen in mir nachzugeben. Aber bei dem Sauwetter blieb ich lieber Zuhause. 

Morgen, sagte ich mir.

***


Der Samstag verging etwas schneller. 

Ich frühstückte Zuhause noch und schaute mir ein paar Folgen von Pretty Little Liars, ich war mittlerweile beim ende der vierten Staffel und es wurde immer spannender. Ich wollte unbedingt wissen, wer "A" war! Fast hätte ich sogar dabei die Zeit vergessen, aber schließlich schaffte ich es doch noch, mich loszueisen. Bevor ich ging, bereitete ich noch ein Sandwich für meine Mutter vor und stellte es in den Kühlschrank. Dann hinterließ ich ihr mit einem Magneten eine Nachricht, damit sie das Sandwich später fand.

Diesmal dachte ich an meinen Schirm.

Im Coffee Talk ging es heute ruhiger zu - der Himmel draußen war grau und hin und wieder regnete es auch, weswegen sich die meisten Leute nach drinnen verzogen. Ich half Avy dabei, die Tische und Stühle draußen zusammenzustellen, ehe wir Meg und Harper mit den Bestellungen halfen. gegen fünf Uhr löste ich Moira hinter dem Kaffeetresen ab und verbrachte die meiste Zeit damit, Tassen zu spülen und Megs Kommentare zu kontern - sie zog mich noch immer mit Cam auf.

im Stillen war ich Cam dankbar dafür, dass er mich am Donnerstag bei meiner Chefin entschuldigt hatte. Ich war mir sicher, Moira hätte mir sonst die Hölle heiß gemacht, wenn ich einfach nicht erschienen wäre - ich gab zu, ich selbst hatte sie komplett vergessen.

Noch dazu hatte Meghan mir genüsslich berichtet, dass Cam sogar persönlich im Coffee Talk vorbeigekommen war. 

"Einen echt tollen Kerl, hast du dir da geangelt, Livvy", hatte sie gesagt und verträumt geseufzt.

Ich hatte die Klappe gehalten und sie vor sich hin schwärmen lassen, bis Avy sie unterbrochen hatte, weil ein Gast darauf wartete, endlich bezahlen zu können. Dann hatte Avril mir einen bohrenden Blick zugeworfen. "Du hast uns ja gar nicht gesagt, dass dein Verehrer ein bekannter Promi aus Königshaus ist." 

"Wir sind nur Freunde", hatte ich gemurmelt, und mich dann wieder den Tassen zugewandt. Aber ich war nicht so naiv zu hoffen, dass das Thema Cam im Coffee Talk damit abgeschlossen war - sogar Raj, unser Küchenchef, hatte die Neuigkeit mitbekommen und warf mir bei jeder Gelegenheit einen Blick zu, der mir klar machte, dass er mich sobald wie möglich über meinen neuen "Freund" ausquetschen würde. Zum Glück hatte aber jemand anderes momentan Priorität - Clara. Ihre Verlobung gepaart mit der Neuigkeit ihrer Schwangerschaft war der Knüller schlecht hin. Und sie wollte, dass die Feier hier stattfand, im Coffee Talk. Ich war wirklich aufgeregt - ich war noch nie zuvor auf einer Hochzeit gewesen!

Um acht Uhr hatte ich schließlich Feierabend und als ich mich auf zur Bushaltestelle machte, nieselte es nur noch schwach. Bis ich Zuhause ankam, hatte der Regen komplett aufgehört. Erregung schoss mir durch die Adern, als ich die Nachricht meiner Mutter fand, die sie mit der meinen von heute früh ausgetauscht hatte und auf der stand, dass sie mich liebte und ich erst morgen früh mit ihr rechnen können würde.

Das bedeutete, ich hatte den ganzen Abend frei zu meiner Verfügung.

***

Nach dem Duschen ging ich in mein Zimmer und ohne zu Zögern zu meinem Kleiderschrank. Darin sah es vergleichsweise wahrscheinlich ziemlich erbärmlich aus - fünf Jeanshosen, zwei Dutzend Oberteile und meine Schuluniform plus Ersatz, mehr gab es da nicht. Ich ignorierte die hübschen Blusen, die meine Mum mir geschenkt hatte, und griff nach einem Paar schwarzer Jeans und einem ebenfalls schwarzen Hoodie. Ich zog mir eilig die Sachen über und ging dann zur Kommode, um meine noch feuchten Haare zu einem Zopf zu flechten.

Dann ging ich zum Bett und holte den dunklen Rucksack darunter hervor.

Das hier war mein Laster. Das meiste Geld, dass ich mit meinem Job im Coffee Talk und den paar Nachhilfestunden, die ich im Monat gab, verdiente, legte ich in die Haushaltskasse, um meiner Mum zu unterstützen. Aber das Trinkgeld, dass ich im Coffee talk bekam, sparte ich meistens an - um mir damit mein geheimes Hobby finanzieren zu können. 

Ich überprüfte schnell den Innenhalt des Rucksacks und presste die Lippen zusammen - ich brauchte bald Nachschub. Aber für heute war ich gut genug ausgestattet.

An der Haustüre schlüpfte ich in meine fleckigen Sneaker, dann zog ich mir die Kapuze tief ins Gesicht und verließ das Haus.

Wer will schon einen Prinzen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt