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"Ich war schon immer ziemlich unbeliebt gewesen", fing ich an. "Ich war eigentlich immer sehr ruhig und zurückgezogen. Hatte keine Ahnung, wie ich mit anderen Menschen umgehen sollte, wie ich Freundschaften aufbauen konnte oder mich beliebt machte - nicht zuletzt, weil wir früher oft umgezogen sind. Versteh mich nicht falsch - ich hatte meine Mum, und solange ich sie hatte, ging es mir gut. Aber wenn ich die Gruppen von Kindern sah, die zusammen spielten und lachten, wurde ich doch ziemlich ... neidisch."

Ich saß neben Cam auf der Bettkante und während ich seinen Blick auf mir spüren konnte, starrte ich nur auf meine Hände. Ich wusste, ich würde nicht weit kommen, wenn ich ihn ansah. Dann würden mir die Worte im Halse stecken bleiben und ich wollte jetzt endlich alles loswerden.

Cam sagte nichts, unterbrach mich nicht. Er ließ mich reden und hörte einfach nur zu.

"Ich hatte immer schon eine große Klappe, weißt du? Ich bin halt so und manchmal geht mein Temperament mit mir durch. Darum hatten die anderen auch nie etwas mit mir zu tun haben wollen. Ich war ihnen ... zu schwierig. Also vergrub ich mich im Lernstoff und meine Serien - die Schule gab mir etwas, womit ich mich beschäftigen konnte, während ich bei meinen Serien einfach nur ein Zuschauer war, während andere die Probleme hatten und sie lösen mussten. Ich musste dabei nicht denken, nicht meine eigenen Gefühle fühlen. Und irgendwie ist das immer noch so. Jedenfalls war ich immer auf mich gestellt - Mum und ich - es gab niemanden sonst. Dann bekam Mum die Stelle an der Marygold."

Ich holte tief Luft, bevor ich fortfuhr. "Ich bekam ein Stipendium dank ihr. Und ich beschloss, mich zu ändern und an meiner neuen Schule ein neuer Mensch zu sein. Jemand, den man mögen konnte. Der niemanden anbrüllte und sein Temperament zügelte. Ich war sehr still", sagte ich. "Wirklich. Ich erinnere mich so gut, wie ich mit gesenktem Kopf und mit den Büchern vor meine Brust gepresst, die Schule zum ersten Mal betrat. Ich hatte mich überwältigt gefühlt - die Marygold unterschied sich so sehr von meinen bisherigen Schulen." Die Bilder waren so lebhaft vor meinen Augen, dass ich die Arme um meinen Oberkörper schlang, wie um mich zu schützen. "Mum hatte mir zum Schulanfang ein Handy geschenkt - nichts Besonderes eigentlich, zumindest für die meisten anderen. Es war ein sehr günstiges Modell mit Prepaid-Karte. Es hatte noch nicht mal einen Touchscreen, sondern Tasten. Aber ich hatte mich darüber gefreut. Und über die Tasche - Mum hatte sicher eine Menge sparen müssen, um sie mir kaufen zu können. Ich war also mit meinen neuen Sachen ausgestattet und gleichzeitig vorfreudig, aber auch super nervös." Meine Knie hatten geschlottert und meine Hände zitterten so stark, dass ich mehrere Anläufe gebraucht hatte, bis ich meinen Spind geöffnet hatte. "Ich glaube, man sah mir von Anfang an an, dass ich mich von den restlichen Schülern unterscheide - dass ich weder aus einer wohlhabenden Familie stammte, noch das nötige Selbstbewusstsein besaß, um an einer Schule, die von Aasgeiern regiert wurde, zu bestehen. Leider wusste ich das damals nicht - schön blöd. Ich hätte mir einigen Ärger sicher ersparen können, wenn ich von Anfang an die Klappe aufgerissen hätte, um mich gegen sie zu behaupten. Aber genau das hatte ich mir vorgenommen, nicht zu tun." Ich stieß ein freudloses Lachen aus. "Hinterher ist man immer schlauer."

Cam blieb stumm. Er würde mich nicht unterbrechen, bis ich fertig war - und ich war dankbar dafür. Ich presste die Lider so fest zusammen, dass bunte Punkte vor meinen Augen erschienen. "Ich hatte hören können, wie sie über mich redeten - viele ignorierten mich, andere hatten mich vor allem neugierig gemustert. Aber manche hatten mich scheinbar von Anfang an gehasst. Ich wünschte, ich hätte es bemerkt. Aber als Brandon und Chelsea anfingen, sich über mich lustig zu machen, sagte ich mir nur, dass es eine Phase war und aufhören würde. Ich sollte verdammt noch mal die Klappe halten, ansonsten, würde ich es schlimmer machen. Aber sie hatten mein Schweigen nicht als Zeichen von Selbstkontrolle angesehen - für sie wirkte ich einfach nur wie das größte Opfer der Schule." Ich schluckte schwer. "Als sie mir nach dem Unterricht folgten und mich sahen, wie ich mit meiner Mum redete, die in Putzmontur gerade einen Flur wischte, hatte ich sie nicht bemerkt. Mum auch nicht. Aber wahrscheinlich hatten sie sich kaputt gelacht. Sie folgten mir hinter her auf den Schulhof und nahmen mir meine Tasche ab - sie machten sich über mich lustig, nannten mich Aschenputtel und keine Ahnung was. Ich war einfach nur ... starr. Ich war es gewohnt, dass man mich nicht leiden kann, aber nicht, dass man mich attackierte. Wie gesagt, die meisten Kinder hatten immer Angst vor mir gehabt, weil ich so aufbrausend bin. Aber Brandon und Chelsea hatten keine Angst, sie fanden es einfach nur lustig, mich zu demütigen. Sie zerstreuten den gesamten Inhalt meiner Tasche auf dem Schulhof - meine ganzen Bücher und Hefte wurden nass, weil es an dem Tag geregnet hatte. Und als Brandon mein altmodisches Handy gesehen hatte, hatte er gelacht und mich verhöhnt - und dann hat er es einfach zerbrochen. Er war uraufgetreten, bis es nicht mehr repariert werden konnte. Ich kann mich noch genau an das Lachen von Chelsea und Julien erinnern." Ich hörte es gerade jetzt, wie es in meinem Kopf wieder hallte. "Ich war so kurz davor, die Fassung zu verlieren, aber dann dachte ich mir, dass das alles vergehen würde. Bestimmt. Außerdem dachte ich an meine Mum - ich hatte Angst, dass sie irgendetwas gegen meine Mutter planen würden, wenn ich mich wehrte. Schließlich waren sie reich und einflussreich und verzogen - und Gott allein weiß, wie gemein sie werden können." Ich hatte furchtbare Angst davor gehabt, meine neuen Mitschüler wütend zu machen. Was wenn sich diese Wut gegen meine Mutter richtete? Auch heute noch lebte ich jeden Tag mit diesem Klumpen in meinem Magen. Aber seit Cam da war, war meine Furcht fast verschwunden - solange er an meiner Seite war, wusste ich, brauchte ich keine Angst zu haben. Und dieses Gefühl war so neu, dass ich noch immer nicht ganz begriff, wie ich damit klarkommen sollte.

Wer will schon einen Prinzen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt