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Erschrocken schnappte ich nach Luft und machte einen Schritt zurück.

Neben dem alten Hexenjäger stand ein junger Mann, dessen wachsamer Blick durch die Menge glitt.

Durch meine hektische Bewegung erregte ich seine Aufmerksamkeit und er starrte mich unverhohlen an. Das muss Howards Sohn sein, schoss es mir durch den Kopf. Er war etwas älter als ich und sah genauso aus wie ein jüngeres Ich seines Vaters, mit dem Unterschied, dass er weniger Falten hatte. Die braunen Haare lagen ihm wirr um den Kopf und vereinzelte Strähnen bedeckten sein Gesicht.

Ich schauderte und bemerkte entsetzt, wie er sich in Bewegung setzte, und auf mich zukam. Die grünen Augen schienen mich durchbohren zu wollen.

Bevor er mich erreichen konnte, drehte ich mich um und hastete davon.

,,Halt, warte!"

Die Leute schauten mich ensetzt und verwirrt an, doch ich ignorierte ihre Blicke  und zwang mich, weiter zu laufen.

,,Bleib stehen!"

Ich bog in eine der vielen Seitengassen ein und drückte mich in einen der Hauseingänge. Die Schritte verklangen und erst, nachdem ich mir sicher war, dass er weg war, wagte ich mich aus meinem Versteck.

Mein Atem ging immer noch hektisch und auch ohne in einen Spiegel zu schauen, wusste ich, dass sich auf meinen Wangen zwei große Flecken befanden.

Ich konnte nur froh sein, dass meine Kapuze mir nicht vom Kopf gerutscht war und so niemand hatte sehen können, wer sich unter dem Mantel verbarg. Sicherlich würde bald jeder über das Mädchen im Mantel reden.

,,Da bist du ja endlich!", erleichtert schloss Lyra mich in ihre Arme. ,,Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht. Ich dachte, die Hexenjäger-" Sie verstummte und drückte mich noch einmal fest.

,,Woher weißt du-?", verwundert sah ich sie an.

,,Die alte Frau, bei der ich heute war, hat mir von der Versammlung erzählt." Sie hielt mich auf Armeslänge von ihr entfernt. 

,,Die Dorfbewohner sind uns nicht wohlgesinnt - Sie werden uns die Hexenjäger auf den Hals hetzen und die werden keine Ruhe geben, bis sie einen Beweis dafür gefunden haben, dass wir Hexen sind. Vor allem, da es Howard und sein Gefolge ist."

Sie sah mich ernst an.

,,Du musst gut auf dich aufpassen, hast du mich verstanden? Eines Tages werde ich nicht mehr da sein, um dich zu beschützen. Dann bist du ganz allein auf dich gestellt. Vertraue niemandem."

,,Tante Lyra, wovon redest du?", ich sah sie verwirrt und fragend an. ,,Was verheimlichst du mir?"

Sie seufzte und fuhr sich über die von Falten verzierte Stirn. Es kam mir so vor, als wäre sie in den letzten tage um Jahrzehnte gealtert. Als ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich kaum etwas über sie wusste, obwohl sie mich großgezogen hatte, seit meine Familie vor zwölf Jahren in einem Feuer umgekommen war.

Außer der Tatsache, dass sie die Schwester meiner Mutter gewesen war, wusste ich fast nichts über sie.

Das mochte jetzt vielleicht merkwürdig klingen - immerhin war sie das einzige lebende Familienmitglied von mir - aber sie hatte noch nie gerne über sich gesprochen. Immer, wenn wir auf dieses Thema zu sprechen kamen, lenkte sie das Gespräch geschickt in eine andere Richtung.

,,Ich hätte es dir schon viel früher sagen sollen...", begann sie.                                                                        ,,Mir was sagen sollen?", unterbrach ich sie misstrauisch.                                                                                  Sie seufzte abermals. ,,Samara, ich..." 


,,Hilfe, bitte helfen sie mir!" Eine junge Frau kam atemlos in die Hütte gerannt. Dem Aussehen nach, war sie eine Dienstmagd, und ihre braunen Augen hasteten unruhig von mir zu meiner Tante. ,,Ganz ruhig. Erzähl erstmal, was passiert ist.", versuchte Tante Lyra sie zu beruhigen.

,,Wie heißt du denn?", sie führte sie zum Tisch und brachte sie dazu, sich hinzusetzen, während sie ihr einen Becher Wasser gab. ,,Mein Name ist Beatrice...", murmelte sie hektisch. ,, Ihr müsst ganz schnell mit mir mitkommen!" Sie trank den Becher in einem Zug leer und wischte sich über die nassen Lippen. ,,Es geht um Benjamin... Er...", sie stockte. ,,Er ist ganz schlimm gestürzt!"n

,,Du willst mich dabeihaben?", überrascht sah ich sie an. Meine Tante hatte mir fast ihr gesamtes Wissen anvertraut, sodass ich nun ebensoviel über die Heilung wusste, wie sie. Doch sie hatte mich noch nie mitgenommen, wenn sie zu jemandem gerufen wurde.                                                      Tante Lyra packte eilig ein paar Kräuter und Flaschen in ihre Tasche, bevor sie zur Tür hastete.

In stummer Einigkeit folgten wir Beatrice bis zu einem großen Herrenhaus abseits des Dorfes, wo sie die Treppen hocheilte und uns die Türen öffnete.

,,Er ist oben." Sie blickte zu einer großen Treppe. Tante Lyra nickte und schnappte sich ihre Tasche, bevor sie die Treppen hochlief. Ich folgte ihr und schluckte, als ich lautes Geschrei wahrnahm.

,,Oh, Gott sei Dank seid ihr endlich da!" Eine junge Frau mit hochgestecktem Haar und blauen Augen kam uns entgegen. Sie trug die Kleidung einer vornehmen Frau aus der oberen Schicht und blickte uns flehend an. ,,Bitte helfen Sie ihm!"

Tante Lyra nickte und umschloss die Träger ihrer Tasche fester, danach ging sie auf die Tür zu, aus der die Schreie kamen. 


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