A c h t

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,,Ich hab schon gehört, was passiert ist." Er verriegelte die Tür von innen. Samuel lebte alleine und hatte auch keine Kinder oder sonstige Verwandten, von denen ich wusste, deshalb befanden wir uns alleine im Laden. Er war der einzige, dem ich im Moment trauen konnte.

,,Weißt du, was mit Tante Lyra passiert ist?", ich sah ihn flehend an. Der alte Mann antwortete mir nicht, stattdessen trat er hinter den Tresen und schob einen dunklen Vorhang beiseite, hinter dem eine Treppe zum Vorschein kam. 

,,Komm erstmal mit.", ohne auf mich zu achten, nahm er gleich zwei Treppenstufen auf einmal, was ich ihm aufgrund seines Alters gar nicht zugetraut hätte. Auffordernd sah er mich vom Treppenabsatz aus an. Nervöse folgte ich ihm. Ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn die Treppenstufen unter meinen Füßen knarzten. Fast rechnete ich damit, dass ein paar wütende Dorfbewohner mit Fackeln und Mistgabeln bestückt, die Haustüre eintraten. 

,,Beruhige dich erstmal." Samuel gab mir einen Becher, in dem sich eine dampfende Flüssigkeit befand. Der Raum, in dem wir uns aufhielten, war fast komplett in braun gehalten - nur die Bilder, die an der Wand hingen, brachten etwas Farbe in die Einrichtung. Ein kleiner Kamin knisterte fröhlich vor sich hin und erhellte den Raum in einem orangenem licht. Direkt vor dem Kamin stand ein kleiner Holzstuhl, der ein paar Einkerbungen hatte und recht abgenutzt aussah, daneben konnte ich einen braunen Sessel erkennen. Wiederstandslos ließ ich mich auf dem Stuhl nieder. Ich lehnte mich zurück und bemerkte, dass er bequemer war, als er wirkte. 

Ich biss mir auf die Lippen und starrte in die trübe braune Flüssigkeit, wobei mir der Wasserdampf direkt ins Gesicht schlug. ,,Was ist mit Tante Lyra?", wiederholte ich meine frage. Ich wagte nicht, zu ihm aufzuschauen, aus Angst, die Antwort in seinem Gesicht ablesen zu können. ,,Die Hexenjäger haben sie gefangen genommen.", er seufzte und ließ sich schwerfällig auf dem Sessel nieder.  Meine Schultern sackten zusammen und ich ließ den Kopf hängen. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, und fiel mit einem leisen Plopp in den Becher. Die salzige Wasserspur fühlte sich brennend heiß an auf meiner Wange. ,,Gut, dann befreien wir sie halt...", versuchte ich es. 

Meine Stimme klang kratzig und rauh. Samuel sah mich mitleidig an. ,,Sie ist eine hexe, Samara. Natürlich wird sie strengstens bewacht. selbst, wenn du schon so starke Zauber sprechen könntest-", er sah aus, als würde er sich am liebsten ohrfeigen. ,,Was soll das heißen? Was meinst du damit?", ich sah ihn entgeistert an. ,,Bedeutet das etwa...?!" 

,,Du bist eine Hexe, Samara." Samuel sah mich unsicher an und umklammerte die Stuhllehne etwas fester. Die faltige Haut spannte sich um seine Fingerknöchel, die weiß hervortraten. ,,Wir wussten nicht, wie wir es dir sagen sollten..." Wütend sprang ich auf. Ich wollte von alledem nichts wissen. ,,Und da belügt ihr mich mein ganzes Leben lang?!", zornig und enttäuscht blickte ich ihn aus meinen grünen Augen an. Er hob beschwichtigend die Hände. ,,Bitte, Samara. Setz dich wieder hin. Ich verspreche, ich erzähle dir alles, was du wissen willst."

Kraftlos ließ ich mich wieder auf dem Stuhl nieder. Plötzlich fühlte ich mich so müde. Was sollte ich jetzt tun? Überall im Dorf warteten die Menschen nur darauf, dass ich dumm genug war, und ihnen über den Weg lief.

,,Lyra und ich kennen uns schon lange.", begann er plötzlich zu erzählen. Überrascht hob ich den Kopf und beobachtete ihn, doch er ließ sich nicht beirren und fuhr fort. ,,Sie kam, so oft wie sie konnte in meinen Laden, um sich bestimmte Kräuter zu holen, die sie sonst nicht bekommen konnte und wir freundeten uns an. Du musst wissen, dass sie früher in einem anderen Dorf gelebt hat." Ich nickte. Das war eine der wenigen Sachen, die sie mir erzählt hatte. ,,Schon damals wusste ich, dass sie eine Hexe war. Naja, zumindest habe ich es geahnt.", er seufzte. ,,Dann begann die Hexenverfolgung. Die Menschen fingen an, hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln und es passierte nicht selten, dass eine Frau verschwand und nie wieder auftauchte." Zum ersten Mal sah ich mir Samuel bewusst genauer an. Ich hatte nie gewusst, was der alte Mann schon alles durchleben musste.

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