Z e h n

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|Alexander Dumont|

Alexander eilte durch die großen Gänge des Schlosses.
Im stillen verfluchte er sich selbst dafür, dass er sich noch so lange hatte aufhalten lassen. Madame Adelaide hatte um ein Gespräch gebeten, dass er ihr auch gegeben hatte. Sie hatte mit ihm über das Winterfest reden wollen, welches bald stattfand und über all die Dinge, die noch getan werden mussten. Wahrscheinlich hätten die beiden noch Stunden dort gestanden und er hätte sich ihren Monolog anhören müssen, aber er hatte sich schließlich mit der Ausrede, dass er müde war und sich gerne schlafen legen würde, verabschiedet. Hoffentlich kam er nun nicht zu spät. Er beschleunigte seine Schritte und hastete die Treppen hinunter.

Vor einer dunklen alten Holztür, die mit Eisen beschlagen war, blieb er stehen. Die Tür führte weit unter das Schloss, in die Katakomben und eigentlich sollte niemand einfach so dort runtergehen, weil es zum einen, ziemlich gefährlich war und  man sich leicht verlaufen konnte und zum anderen stank es bestialisch. Alexander griff unter seine Ratskleidung und holte einen Schlüssel hervor. Er war klein, vielleicht gerade Mal so groß wie sein Ringfinger und glänzte an einigen Stellen, die noch nicht ganz vom Schmutz bedeckt waren, silbern. Niemand hätte geahnt, dass dies der Schlüssel für etwas so wichtiges sein könnte.

Alexander sah sich noch einige Male um, ob sich auch ja niemand in der Nähe befand, der ihn beobachten könnte. Obwohl das unsinnig war, denn schließlich hatte er auch auf seinem Weg durch das Schloss darauf geachtet, alle möglichen Verfolger abzuschütteln.
Erst dann steckte er den Schlüssel in das kleine Schloss und öffnete die Tür. Er trat ein und die Tür fiel schepperjd  ins Schloss, ein kleiner Schauer lief ihm über den Rücken. Es war vollkommen dunkel und hätte Alexander dies nicht öfter getan, so hätte er zurücklaufen müssen, um etwas Feuer für eine Fackel zu holen. So aber, griff er abermals in die Taschen seiner Ratskleidung und schnappte sich die Fackel, die etwa auf Kopfhöhe direkt neben der Tür hing, verborgen in der Dunkelheit.

Der orangene Lichtschein warf seine Schatten an die Wände und ließ die Spinnenweben, die von der Decke hingen, leuchten. Die Schritte des Mannes schallten hohl durch den Gang und wie jedes Mal beschlich Alexander ein mulmiges Gefühl, doch er zwang seine Füße, weiterzulaufen. Er musste das hier tun. Immer weiter und weiter schlich er sich durch die verzweigten Gänge. Alexander war sich sicher, dass er den Weg im Schlaf kannte.

Hier, fernab all der Leute aus dem Schloss, hoffte er, dass er nicht entdeckt werden würde. Denn falls doch, dann-

,,Er kommt nicht mehr! Lasst uns von hier verschwinden!" Die Stimmen wurden lauter, je näher Alexander seinem Ziel kam. ,,Sei kein Hasenfuß, Eylãna. Wir warten noch einen Moment."

Er beschleunigte seine Schritte noch einmal und hoffte, dass er nicht zu spät kam. Sie durften noch nicht gehen.

Leicht außer Atem betrat er den Raum, in dem der Gang endete und entdeckte drei Frauen, die mit dem Rücken zu ihm standen und sich angeregt unterhielten.
,, Entschuldigt meine Verspätung, aber ich-" Die jüngste der drei Frauen unterbrach ihn aufgebracht.

,,Aber was?! Wir haben nicht viel Zeit, dass wisst Ihr genau! Jeden Moment kann uns jemand entdecken... Wer weiß, oh Ihr uns nicht schon verraten habt..." Sie funkelte ihn wütend an.
,,Benimm dich, Eylãna!", zischte eine der beiden älteren Frauen ihr zu.

Sie alle drei trugen die Kleidung eines normalen Bürgers - ein braunes oder grünes Kleid und ein Mantel in derselben Farbe - aber alle hatten eine silberne Brosche, die halb versteckt an ihrer Kleidung steckte. Ein kleiner Stern, der matt schimmerte und nur bei genauem hinsehen zu erkennen war.

Alexander konnte ihr nicht einmal verübeln, dass sie ihm nicht vertraute. Immerhin war er es gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie und andere Frauen gejagt wurden, nur, weil sie magische Kräfte besaß.

Er arbeitete jetzt schon seit Jahren mit den Hexen zusammen und versuchte, ihnen zu helfen, wo es nur ging, doch trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen, das wahrscheinlich auch nie wieder verschwinden würde. Wie denn auch? Dank ihm waren hunderte von Menschen gestorben!

Casseiopa, eine der älteren Frauen, schien zu bemerken, dass er sich unwohl fühlte und räusperte sich. ,,Er hilft uns nun schon seit fast zehn Jahren. Wenn er es wirklich gewollt hätte, dann säßen wir schon längst alle im Kerker oder stünden auf dem Scheiterhaufen..."
Für eine Sekunde war es totenstill, jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Alexander zwang sich zu einem kurzen Lächeln. Er kannte Casseiopa schon seit Jahren und obwohl es ihn erfreute, dass sie sich für ihn einsetzte, so ärgerte er sich dennoch jeden Tag über sich selbst. Hätte er damals einfach nur genug Mit besessen, um der Königin zu wiedersprechen. Dann sehe jetzt alles anders aus. Die Hexen würden nicht gejagt werden

Casseiopa erwiderte sein lächeln, aus ihrem blonden Zopf, den sie sich geflochten hatte, ragten ein paar Haare und Alexander stellte fest, dass einige von ihnen schon ergraut waren. Ihm wurde wieder einmal klar, dass auch er alterte. Er hatte die fünfzig schon längst überschritten. Was, wenn er nicht das erreichen konnte, was er wollte, sondern vorher starb?

,,Das Essen wird knapp. Die Königin beansprucht fast die gesamte Ernte der Bauern für sich und das, was wir dann kaufen können, ist viel zu wenig."
Alexander nickte. ,,Ich werde veranlassen, dass ihr in den nächsten Tagen die benötigten Lebensmittel bekommen werdet."

Wieder wurde es unglaublich still, man hörte nichts außer dem leisen atmen der Anwesenden und Alexander ging wieder einmal durch den Kopf, was für ein Glück er sich hatte, dass er all die Jahre nie entdeckt worden war. Andernfalls säße er jetzt wahrscheinlich im Kerker, oder sein toter Kadavar würde irgendwo verrotten.

,,Sie töten immer mehr von uns." Móras Stimme klang rau und kratzig in der Stille. Sie war etwas jünger als Casseiopa und trug ihre noch braunen Haare in einem Knoten im Nacken. Alexander wusste nicht viel über sie, sie war noch relativ neu in der Stadt, hatte sich aber das Vertrauen einiger wichtiger Leute verdient und nun stand sie vor ihm, schaute ihn abwartend an.

Ihm entging nicht, dass Eylãna bei ihren Worten zornig die Hände ballte.
,,Ihnen ist es inzwischen sogar egal, ob es eine Hexe ist oder nicht. Wenn eine Frau rote Haare hat, oder sich halbwegs mit Kräutern auskennt, bringen sie sie um. Sie bekommt nicht einmal ein ordentliches Gerichtsverfahren!"

Alexander schloss die Augen und atmete tief durch. Er versuchte inzwischen nicht einmal mehr, die Schuldgefühle zu verdrängen, sie wurden ja doch immer stärker.
,,Ich weiß..."


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