P R O L O G II

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Verwirrt schreckte die junge Frau aus ihrem Schlaf empor. Aus der Tiefe der Nacht waren Schreie zu hören.
Es dauerte einen Moment, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann sprang sie aus dem Bett, warf sich einen Mantel über, zog sich ihre Schuhe an und hastete aus dem Schlafzimmer.
Sie durchquerte die kleine Stube, die nur spärlich eingerichtet war und stürmte aus der Tür.

Das Haus, in welchem die Frau wohnte, lag abseits eines kleinem Dorfes, am Waldrand. Zum Dorf selbst führte nur eine breite Landstraße, die auch schon mal bessere Tage gesehen hatte.
Eben diese Straße hastete die Frau nun entlang, in Richtung der Schreie.

Das Dorf war hell erleuchtet und man konnte schon von weitem vereinzelte Schatten sehen, die durch die Häuserreihen huschten. Die Frau beschleunigte ihre Schritte, was bei den vielen Löchern in der Straße gar nicht so einfach war. Andauernd musste sie aufpassen, wohin sie trat.

,,Was ist hier los?" Ein alter Mann, dem schon ein paar Zähne fehlten, drehte sich um. ,,Wir verbrennen die Hexe." Er lachte hämisch und zeigte mit seinem dreckigen Finger auf eine junge Frau, die verzweifelt versuchte, sich zu wehren, doch die zwei Wachen, die sie festhielten, waren zu stark.
,,Und ihre Brut gleich mit!" Eine junge Frau, die sich in das Gespräch eingemischt hatte, deutete mit der Fackel in ihren Händen auf einen kleinen Jungen, vielleicht acht Jahre alt, der verzweifelt nach seiner Mutter schrie.

Fassungslos beobachtete die Frau das Ganze, ehe sie versuchten, sich einen Weg durch die Menschenmasse zu bahnen.

,,Lasst mich los!" Verzweifelt riss die Frau an den Ketten, die ihr umgelegt worden waren und sah sich immer wieder nach ihrem Sohn um.

Für einen Augenblick trafen die Blicke der beiden aufeinander. Sie sah sich hektisch um und flüsterte dann so leise, dass Lyra es fast nicht gehört hätte: ,,Samara hat sich versteckt. Du musst sie finden und in Sicherheit bringen. Versprich es mir." Sie wurde grob von der alten Weg gezerrt. ,,Versprich es mir!" Hektisch drehte sie sich um und versuchte, noch einen Blick auf die Frau zu erhaschen, die in der Dunkelheit der Gosse verschwand.

,,Samara. Bist du hier?" Leise stieg Lyra über einen umgekippten Schemel und sah sich vorsichtig in dem dunklen Raum um. Das ganze Haus war verwüstet worden. Die Dorfbewohner hatten in ihrer Angst und Hektik alles, was sie in die Finger kriegen konnten, auf den Boden geschmissen und waren danach nach draußen geflüchtet. Dementsprechend sah es hier auch aus. Die Töpfe, die - wie sie von ihren Besuchen wusste - normalerweise an Bändern von der Decke hingen, waren zerkratzt und teilweise sogar zerbrochen.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch machte sie sich auf den Weg nach oben, wo es nicht besser aussah. Die Bücher lagen aufgeschlitzt und zerrissen auf dem Boden. Die Betten, die im Raum nebenan standen, waren zur Seite gekippt worden und die Bettlaken lagen in Fetzen auf dem nun dreckigen Boden.

Lyra wollte gerade wieder in das untere Stockwerk gehen, als sie ein leises Wimmern vernahm.
,,Hallo?" Vorsichtig drehte sie sich um. ,,Ist hier jemand?"
Das Wimmern war verschwunden, doch Lyra war sich sicher, dass es aus dem angrenzenden Zimmer mit den kaputten Betten kam. Auf Zehenspitzen schlich sie zurück in den Raum, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen.

,,Samara? Bist du das?" Sie lauschte einen Moment in die Stille und vernahm wieder ein Wimmern, dieses mal lauter als das zuvor.

,,Keine Sorge, ich tue dir nichts." Einen Augenblick war es ganz still, bis ein kleines Mädchen unter einem der kaputten Betten, das am Fenster stand, hervorkroch. ,,Tante Lyra, bist du das?" Verängstigt sah das Mädchen sich im Raum um. ,,Sie haben Mama und Julius mitgenommen."
Lyra seufzte und drückte das kleine Mädchen an sich. Zum Glück hatten die Dorfbewohner sie nicht gefunden.

Ihr bleiches Gesicht war von einer feinen Staubschicht überzogen und sie hatte einen kleinen Kratzer im Gesicht.

,,Wo sind Mama und Julius?" Samara zog leicht an der Hand und sah sich verstört um.

,,Komm. Wir müssen hier weg." Lyra überging die Frage des Kindes einfach und ging mit ihr die Treppe hinunter.
Unten setzte sie Samara ab. ,,Warte hier kurz einen Augenblick.", dann drehte sie sich um und verschwand in einem kleinen Raum.

Es wussten nur wenige, dass sich unter einer losen Holzplanke im Boden ein Hohlraum befand.
Eben diese Holzplanke hob Lyra nun an und griff nach den wenigen Büchern, die sich dort befanden, welche sie unter ihren Mantel schob. Dann stand sie auf und verließ den Raum wieder.

Wortlos nahm sie das Mädchen an die Hand und führte sie hinaus. ,,Was ist denn los? Wo ist meine Mama?" Das kleine Mädchen weinte leise vor sich hin und sah sich hilflos um.
,,Hör mir zu, Samara." Die Frau packte das Mädchen an den Schultern und drehte sie so, dass sie ihr ins Gesicht sehen konnte.
,,Deine Mutter wird nicht wiederkommen. Ebenso wenig dein Bruder." Das kleine Mädchen weinte nur noch mehr. ,,Du musst jetzt stark sein, Samara." Die Frau drückte kurz die Schultern des Mädchens. ,,Schaffst du das? Für deine Mutter und deinen Bruder?" Sie sah ihr tief in die Augen.

Das Mädchen nickte. ,,Gut." Lyra lächelte freundlich und nahm Samara wieder bei der Hand.
,,Dann bringe ich dich jetzt zu mir. In dein neues zuhause."

Sie nahm die Hand des Mädchens und ging mit ihr aus der Stadt. Weg von den Schreien und dem hellen Licht, das das Feuer auf die Wände warf.

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