Benjamin war ein kleiner Junge von vielleicht sieben Jahren, der, wie wir von der blonden Frau erfuhren, beim Klettern unglücklich gestürzt war.
Sie war uns in den Raum gefolgt, in dem sich außer uns noch zwei Männer aufhielten. Einer von ihnen klappte gerade seine Tasche zusammen, als er uns bemerkte und sein Blick von ungläubig zu wütend wechselte. ,,Wenn ihr euren Sohn von dieser Frau-", er spuckte das Wort förmlich aus, ,,behandeln lasst, dann könnt ihr ihn auch gleich umbringen." Er stürmte aus dem Raum und ließ uns angesichts seiner Worte wie zu Stein erstarrt, zurück. Tante Lyra war die erste, die sich aus ihrer Starre löste und zum Bett ging, auf dem das Kind lag.
,,Er braucht sofort eine Kräuterkompresse." Ich nickte und eilte an ihre Seite, um ihren Koffer zu öffnen und eine braune Flasche herauszuholen. ,,Wir brauchen ein paar nasse Lappen, die mit dieser Flüssigkeit getränkt sind.", ich sah die Frau eindringlich an. ,,Bitte retten sie ihn." Sie schenkte ihrem Sohn noch einen letzten Blick, danach verliess sie den Raum. Zufrieden drehte ich mich um und bemerkte, wie Tante Lyra, die mit dem Rücken zu mir stand, tief Luft holte.
,,Was ist los?", ich trat neben sie und meine Augen weiteten sich vor Schreck. Sie hatte die Decke, die den Körper des Jungen verdeckt hatte, zurückgeschlagen, sodass man nun den vollen Umfang des Sturzes sehen konnte. Am rechten Fuß zog sich eine Wunde vom Knöchel bis knapp unter das Knie des Kindes. Der Verband, den man um das Bein gewickelt hatte, war blutdurchtränkt.
,,Könnt ihr ihm helfen?", meldete sich nun der Mann, der noch im Raum war, zu Wort. Man konnte ihm deutlich anmerken, dass er uns eigentlich gar nicht hier haben wollte, doch dem Kind zu liebe schien er es sich anders zu überlegen.
,,Ich kann es versuchen, aber ich kann nichts versprechen." Sie beachtete ihn fast gar nicht, sondern konzentrierte sich ganz auf das Kind vor ihr. ,,Aber dafür brauche ich Ruhe." Der Mann nickte und warf dem Kind noch einen letzten Blick zu, bevor auch er verschwand.
Nach kurzem Zögern entschloss ich mich, zu bleiben. Tante Lyra hatte mir schon von vielen Fällen erzählt, doch ich konnte mich nicht entsinnen, je von so etwas gehört zu haben.
,,Was soll ich machen?", fragte ich sie, ohne meinen Blick von dem Kind zu nehmen? Tante Lyra sah kurz auf und blickte mich ernst an. ,,Du kannst den Jungen aus seinem Fieberschlaf aufwecken. Er muss wach sien, wenn das hier funktionieren soll." Sie drehte sich um und ging zu ihrer Tasche, während ich am Bett blieb. Ich unterdrückte das aufkommende Ekelgefühl, das die Verletzung und das viele Blut in mir auslöste und packte den Jungen sanft an den Armen. ,,Wach auf.", ich versuchte, mich an seinen Namen zu erinnern. Wie hatte die Magd ihn noch genannt? Ach ja, genau. ,,Benjamin, wach auf." Der Junge drehte seinen Kopf leicht zur Seite und öffnete seine Augen. ,,W...was?", versuchte er zu fragen, als er seine Hand plötzlich zu dem Verband gleiten ließ und schmerzerfüllt aufschrie. ,,Aah!"
Ich war vollkommen überfordert und wusste nicht, was ich tun sollte, als auf einmal Tante Lyra neben mir stand. Sie drückte mir eine kleine schwarze Flasche mit einem dickflüssigen Inhalt in die Hand, dann griff sie nach seinen Händen und zog sie von seinem Bein weg. ,,Wenn du willst, dass das da,", sie deutete mit einem Kopfnicken auf die Wunde, ,,wieder verheilt, dann musst du mir versprechen, dass du deine Finger davon lässt."
In ihrer Stimme lag dieselbe Strenge, die sie auch manchmal bei mir benutze, wenn ich etwas falsch gemacht hatte. Der Junge atmete schwer und seine Finger verkrampften sich, aber er fasste sich nicht mehr an die Wunde, nachdem Tante Lyra seine Hände losgelassen hatte.
,,Hier, trink das." Sie nahm mir das Fläschen, das ich immernoch in der Hand hielt, ab und reichte es dem Kind. ,,Was ist das?" Seine Stimme war schwach und zitterte leicht, doch Benjamin versuchte trotzdem, sich nichts anmerken zu lassen. ,,Du musst bei vollem Bewusstsein sein, damit die Heilung funktioniert. Dieser Trank lindert die Schmerzen." Der Junge schluckte ängstlich, aber setzte die Flasche dennoch mit zittrigen Händen an seinen Mund und trank sie in kleinen Schlucken aus. Sein Geischt entspannte sich sichtlich und er ließ sich zurück in die Kissen sinken. ,,Besser, oder?", sie beobachtete, wie sein Körper sich entspannte.
,,Der Verband muss ab.", sagte sie mehr zu sich selbst, als zu mir. Sie holte aus ihrer Tasche ein kleines scharfes Messer, so eines, wie sie es manchmal im Alltag benutzte, um Äpfel, oder andere Sachen zu schneiden.
Neugierig sah ich sie an. ,,Was sollen wir jetzt machen?" Sie hob ihren Kopf und sah mich für einen Augenblick mit einem so starren Blick an, dass ich mich fragte, ob sie mich überhaupt gehört hatte. Doch schließlich blinzelte sie ein paar Mal und der Bann war gebrochen. Sie seufzte. ,,Etwas, was ich eigentlich nie wieder tun wollte." Sie drehte sich wieder zu dem Kind um und schaute dabei über ihrer Schulter zu mir zurück. ,,Alle Medizin der Welt wird nicht helfen. Er wird sein Bein verlieren, wenn ich nichts mache. Pass auf, dass niemand hereinkommt, während ich das hier tue." Sie krempelte die Ärmel ihres Kleides so weit, wie es ging, nach oben und ließ ihre Hände dann über dem Bein des Jungen schweben, nur ein paar Zentimeter über der Wunde. Für ein paar Sekunden verharrte sie in dieser Bewegung, dann atmete sie tief ein und aus.

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HEXENJAGD
FantasíaNorscas ist ein Land, in dem Magie schon seit Jahrhunderten existiert. Doch die Königin dieses Landes hat Angst vor der Macht der Hexen und beginnt, sie zu jagen... ... Samara ist eine junge Frau, die mit ihrer Tante in einem kleinen Haus abseits ei...