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Die Stadt wurde durch eine große Straße geteilt, an deren Rändern die Häuser standen und von wo aus sich kleinere Gassen abzweigten.
Der Weg führte direkt zum großen Marktplatz und von dort aus weiter, aus den Toren der Stadt heraus.

Ich ließ mich von Strom der Menschen mitziehen und betrachtete die Umgebung neugierig.

Von überall drängten sich die Menschen, sodass ich meine Ellenbogen einsetzen musste, um voran zu kommen.
Es war ein hektisches Treiben, das hier stattffand, und ich beobachtete dies alles mit gemischten Gefühlen.

Das hier war so ganz anders als das, was ich aus meinem Dorf kannte. Hier waren die Menschen immer in Bewegung, kaum jemand stand still. Einfach, weil man nicht die Zeit hatte, um sich auszuruhen.
Am Straßenrand entdeckte ich einen Schmied, der eine braune Lederschürze trug und konzentriert mit seinem Hammer auf ein undefinierbares Stück Metall einschlug.

Alles hier war so anders. Ich entdeckte so viele Menschen, wie ich es in meinem Leben noch nie gesehen hatte.

Alle trugen unterschiedliche Kleidung. Die einen besaßen braune, von Dreck verkrustete Kleider, wieder andere hatten merkwürdige Zeichnungen und Muster in ihren Gesichtern und in einem Eingang zu einer kleinen Gasse entdeckte ich eine Menschenmenge, die in dunkle rote Roben gekleidet war, welche bei jedem Schritt glänzten, sodass man die seltsamsten Muster darauf erkennen konnte.

Nach einige Zeit bemerkte ich, dass es immer mehr Menschen wurden und das Gedränge dichter wurde.
Ich versuchte, mir einen erhöhten Standpunkt aus zu verschaffen, um einen Überblick zu erhalten. Mit einigen Stößen und etwas Gedrängel gelangte ich durch die Menschenmenge, auch wenn einige von ihnen mir böse Blicke zuwarfen. Meine Tasche hielt ich dabei die ganze Zeit fest im Arm, denn obwohl sich darin nicht mehr besonders viel befand, wollte ich dennoch nicht, dass mir mein einziges Hab und Gut gestohlen wurde.

Von einem Treppenvorsprung aus, konnte ich endlich sehen, wohin es die Menschen zog. Die Masse strömte auf einen großen Platz, der von alten Häusern gesäumt wurde, von denen wieder kleine Gassen abzweigten und in dessen Mitte sich ein Springbrunnen befand. Bei genauerem hinsehen entdeckte ich zwei Delfine, die aus grobem Stein gemeißelt zu sein schienen und aus deren Mündern das Wasser in einem hohen Bogen hervorspritzte, nur um dann wieder in einem großen Becken zu landen, das sich um die Delfine herum zog.

Zögerlich trat ich von meinem Treppenvorsprung herunter und mischte mich wieder unter das Volk.

Das hier war anscheinend der Marktplatz, denn überall konnte ich Händler sehen und hören, die an ihren Ständen standen und ihre Ware feil boten.

,,Frischen Fisch!"

,,Feinste Seide!"

,,Probiert diese köstlichen Möhren!", ertönte es von überall. Fasziniert sah ich mich um.

In meinem alten Dorf hatte es nie einen so großen Marktplatz gegeben. Nicht einmal ansatzweise.

Die Vielfalt der dargebotenen Waren war so groß, dass mir allein beim Geruch des rohen Fleisches das Wasser im Mund zusammenlief.
Genau in diesem Moment begann mein Magen zu Grummeln und ich bemerkte, dass ich schon seit geraumer Zeit nichts mehr gegessen hatte.

Ich fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen und betrachtete einen Stand, an dem frisches Brot verkauft wurde.
Ich hatte kein Geld mehr, um mir etwas zu kaufen, wurde mir schmerzlich bewusst.

Meine Augen fixierten das himmlisch riechende Gebäck weiterhin und wie von selbst näherten meine Hände sich dem knusprigen Stück Teig.

,,Acht Semmel, bitte."

Ich schreckte hoch und starrte das Mädchen neben mir erschrocken an.

Es war ungefähr in meinem Alter, ich schätzte es auf etwas älter und trug einen braunen Umgang, unter dem der dunkelgrüne Stoff ihres Kleides hervorblitzte.

Sie bemerkte meinen Blick und wandte sich mir zu.

Ihre blauen Augen schienen mich fast zu durchleuchten, so kam es mir jedenfalls vor. Mir fiel ihr blondes Haar auf, das sie hochgesteckt hatte. Ein paar vereinzelte Strähnen hatten sich aus der Frisur gelöst und fielen in ihr herzförmiger Kinn.

Wenn sie keine normale Bauerstochter gewesen wäre, hätte ich sie für eine Adelige gehalten.

Sie lächelte mich verschmitzt an.
,,Ich bin übrigens Ava."

Ich nickte und lächelte sie zaghaft an. ,,Mein Name ist... Varia."

Wenn Ava bemerkt hatte, dass ich gezögert hatte, dann ließ sie sich nichts anmerken.
Sie gab dem Verkäufer das gewünschte Geld und steckte das Brötchen in einen Korb, den sie bei sich trug.

,,Freut mich, Varia"

Sie musterte mich von oben bis unten, und schien irgendetwas zu bemerken, denn sie nickte und flüstert sich selbst etwas zu, was ich nicht verstand.

Mit knurrendem Magen starrte ich auf den Korb, aus dem es so herrlich duftete.
Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen? Ich wusste es nicht mehr.

,,Du siehst hungrig aus." Ava griff mit einer Hand in den Korb und gab mir eines der Brötchen. ,,Hier, nimm."

Ungläubig starrte ich sie an.
,,Für mich?"
Ava nickte und stieß ein hohes lachen aus, das einige Leute in unserer Umgebung sich zu ihr umdrehen ließ.
,,Natürlich für dich, du Dummerchen. Jetzt iss, sonst kippst du noch um."

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, griff ich nach dem Semmel und riss ein Stück davon ab, das ich mir in den Mund stopfte.

,,Danke." Ich schluckte und riss ein weiteres Stück ab, das ich mir in den Mund schob.

Inzwischen hatten wir uns von dem großen Markt entfernt, die Menschen waren weniger geworden und der Lärm war längst nicht so groß wie noch vor ein paar Minuten.

In der Straße, in der wir uns gerade befanden, standen nur Häuser und ab und zu gab es einen kleinen Stand, der aber längst nicht so gut besucht war, wie die Stände zuvor.

,,Hast du einen Ort, an dem wir schlafen kannst?" Ava beäugte mich aufmerksam. Die Frage schien überflüssig, da sie die Antwort wahrscheinlich schon längst wusste.
Falls meine zerdreckte und zerschlissene Kleidung und der inzwischen mit Dreck und Staub bedeckte Mantel sie nicht schon darauf hingewiesen hatten, wie es um mich stand.

,,Nein, ich bin erst vor kurzem in die Stadt gekommen. Ich wollte mir Arbeit suchen, damit ich etwas Geld habe und mir ein Dach über dem Kopf leisten kann."

,,Weshalb bist du denn nach Aquilea gekommen?" Interesse blitzte in Avas blauen Augen auf und ich wusste, dass dies die Frage war, die sie schon die ganze Zeit stellen wollte.

,,Ich wollte die Welt bereisen, mehr von meiner Umgebung sehen." Die Lüge kam ganz von selbst über meine Lippen, ohne, dass ich mit der Wimper zuckte.

,,Und du?", versuchte ich, ganz nebenbei zu erfahren.

,,Ich wohne bei meiner Tante." Sie ging nicht weiter auf das Thema ein und deutete mir, mitzukommen.

,,Ich bin sicher, du kannst ein paar Nächte bei uns schlafen."

Überrascht sah ich sie an.
,,Du siehst aus, als könntest du ein Dach über dem Kopf gebrauchen." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand in einer weiteren Gasse.

Zögernd folgte ich ihr.

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