D r e i z e h n

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,,Hier entlang."

Ava huschte vor mir so schnell durch die Straßen und verwinkelten Gassen der Stadt, sodass ich Mühe hatte, ihr zu folgen.

Wenn ich so darüber nachdachte, war es ziemlich leichtsinnig und auch gefährlich von mir, einfach einer fremden Frau zu folgen, die ich noch nicht einmal einen Tag kannte.
Andererseits wusste ich wirklich nicht, wo ich in dieser Nacht schlafen sollte und da ich ungern in einem Hauseingang, oder schlimmerem enden wollte, hatte ich mich entschlossen, ihr zu folgen.
Abgesehen davon sah Ava nicht unbedingt wie eine Mörderin aus.

Ich fragte mich, wie lange sie schon hier wohnen mochte, wenn sie sich so gut auskannte.
Allein der Gedanke, in einer solchen Stadt, die so laut war und in der es so viele Menschen gab, aufzuwachsen, erschien mir vollkommen fremd.
In meinem Dorf hatte es nicht einmal die Hälfte der Leute, die hier waren, gegeben. Dafür war es fast immer ziemlich ruhig gewesen und es war kaum etwas passiert.

Die Menschen hier starrten mich nicht an, als wäre ich der Teufel höchstpersönlich. Die meisten von ihnen beachteten mich nicht einmal, sondern gingen geschäftig ihren Aufgaben nach.

,,Wir sind da." Ava blieb vor einem kleinen Haus stehen, dass direkt an das nächste grenzte und sich kaum von den anderen unterschied. Die Fassade war braun, an manchen Stellen leuchtete der helle Putz hervor, der inzwischen von Staub und Dreck bedeckt war. Erst, als ich näher hinsah, bemerkte ich, dass kleine Zeichen und Muster in das Äußere des Hauses eingebaut worden waren.
Fast alle Fenster waren mit Vorhängen verhängt, sodass man nicht hineinsehen konnte und die Eingangstür war zwar klein und schlicht gehalten, jedoch bestand sie aus einem dunklen Holz, das ziemlich robust wirkte.
Ava holte aus ihrer Tasche einen Schlüssel und öffnete die Tür, die mit einem leisen knarzen zur Seite glitt.

,,Kommst du?" Schnell beeilte ich mich, ihr zu folgen und trat über die Türschwelle.

,,Ich bin wieder Zuhause!", während sie das halbe Haus zusammenschrie, packte Ava all die Dinge, die sie auf dem Markt gekauft hatte, auf einen großen Tisch in einem Raum, der anscheinend die Küche sein sollte. An den Wänden standen Regale mit den verschiedensten Kräutern und Gewürzen darin und es roch nach gebratenem und etwas anderes, das ich noch nicht kannte.

Aus einer Tür, die in einen anderen Raum führte, trat eine große schlanke Frau heraus. Ihr Gesicht war gezeichnet von Lachfalten und ihre Haut war von der Sonne gebräunt, während ihre langen dunkelbraunen Haare offen über ihren Schultern lagen.

,,Hallo, ich bin Maeve Grandesmil, die  Herrin dieses bescheidenen Hauses." Die Frau trat auf mich zu und reichte mir ihre Hand, die ich hastig drückte. Ihre Berührung jagte eine angenehme Wärme durch meinen Körper, die mich sofort wohl fühlen ließ.

,,Und wen hast du mir da mitgebracht, Ava?", sie lächelte ihre Nichte an.

,,Ich bin Samara." Ich räusperte mich.Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Ava mich verwirrt ansah. Kein Wunder. Ihr hatte ich schließlich gesagt, dass ich Varia heißen würde. In diesem Moment hätte ich mir selbst in den Hintern treten können. Was dachte Ava nun wohl von mir? Das ich eine Irre war, die nicht einmal ihren eigenenen Namen wusste.

,,Samara, soso." Maeve lächelte. Ihre braunen Augen gaben mir ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Es war, als würde ich ihr sofort alle meine Geheimnisse erzählen wollen. Nur mühsam konnte ich dem Drang wiederstehen.

Ein merkwürdige Stille entstand, als ich nichts erwiderte und mir nur stumm auf die Lippen biss, denn ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.

,,Kann sie für ein paar Nächte bei uns schlafen? Sie braucht nur ein Dach über dem Kopf, während sie sich nach einer passenden Arbeit umsieht." Ava sah ihre Tante bittend an. Ich hob eine Augenbraue. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie zumindest etwas zu den zwei namen sagen würde.

Die dunkelhaarige Frau seufzte und sah mich noch einmal genau an, als wäre ich eine Ware, die ihr gerade zum Verkauf angeboten wurde.
,,Gut. Sie kann die kleine Kammer haben." Ava nickte erleichtert und verschwand mit einem kurzen Blick auf mich durch eine weitere Tür.
Ich hörte sie die Treppen hinaufsteigen und sah mich unschlüssig im Raum um. Sollte ich ihr folgen?

,,Wieso ist ein junges Ding wie du so ganz alleine unterwegs?" Maeve sah mich neugierig an und setzte sich auf einen der großen dunklen Stühle, die an dem Tisch standen und perfekt in die Einrichtung des Hauses zu passen schienen.

,,Ich wollte die Welt sehen." Ich schluckte.

,,Und deine Familie? Was sagt sie zu deinen Plänen?" Maeve leckte sich über die rosigen Lippen und sah mich neugierig an. Ihr gesamtes Auftreten vermittelte mir den Eindruck, dass sie eine aufgeweckte und lebensfrohe Frau war, die genau wusste, was sie wollte und wie sie es bekam. In meinem Gehirn formte sich der Gedanke, dass sie ähnlich wie eine Göttin auf mich wirkte. So schön und gleichzeitig versprühte sie eine Macht, die mich still auf dem Stuhl sitzen ließ.

,,Sie ist damit einverstanden." Ich räusperte mich und tat so, als hätte ich einen Kloß im Hals, um  nicht weiter antworten zu müssen. Der Gedanke, die Frau, die mir ein Dach über dem Kopf gab, anzulügen, gab mir ein schelchtes Gewissen.

,,Hast du Geschwister?", bohrte Maeve weiter nach. Sie legte den Kopf schief und betrachtete mich weiterhin.

Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein. Ich bin ein Einzelkind." Wenigstens etwas, in dem ich sie nicht angelogen hatte.

,,Und woher kommst du?" Die große Frau schaute nun auf ihre schlanken Finger, unter denen sich kein bisschen Dreck zu befinden schien.

,,Aus dem Westen des Landes. Ich habe dort in einem kleinen Dorf gewohnt, der Name sagt euch bestimmt nichts.", erklärte ich hastig.

Maeve schien sich mit dieser Antwort nicht unbedingt zufrieden zu geben, denn sie nickt bloß und schien weiter nachzudenken. Trotzdem hakte sie nicht weiter nach, wofür ich ihr sehr dankbar war.

,,Die Kammer ist fertig." Ava betrat die Küche und unterbrach somit das Gespräch.

,,Gut, dann zeig Samara doch bitte ihr Zimmer. Und hast du vielleicht ein paar nette Kleider für sie? In diesen dreckigen Lumpen kann sie doch nicht herumlaufen."

Ich blickte an mich herab und schluckte. In diesen verdreckten Kleidern musste ich wirklich eine Zumutung darstellen.

,,Natürlich. Komm mit." Ava lotste mich die Treppe hinauf, einen Flur entlang, an dessen Ende eine Tür war, die sie öffnete.

,,Warte kurz hier, ich hole dir noch frische Kleidung." Sie verschwand wieder und ließ mich alleine zurück. Zögernd trat ich in den kleinen Raum. Ein Bett stand an der Wand, neben der Tür und eine kleine Truhe, so wie ein Schemel befanden sich im Raum. Ein kleines Fenster ließ etwas Sonnenlicht hinein und vertrieb die Schatten.

,,Hier, bitte sehr." Erschrocken fuhr ich herum und entdeckte Ava, die im Raum hinter mir stand, einen Kleiderhaufen auf dem Arm und mich musterte.

,,Danke." Schnell nahm ich ihr die Kleidung aus dem Arm.

,,Gute Nacht." Ava schloss die Tür und ließ mich in dem kleinen Raum alleine.

Ich seufzte und legte mich aufs Bett, die Decke breitete ich über meinem Körper aus. Durch die Ritzen der Fensterläden, die an dem kleinen Fenster befestigt waren, drang das Licht, das von der Straße her hereinschien. Mit offenen Augen und auf der Seite gelegen, starrte ich in den Raum.

Von draußen erklang das Pferdetrappeln, das ich nur allzu gut kannte und ich fragte mich, wer um alles in der Welt um diese Uhrzeit mit einem Pferd durch die Straßen ritt.
Sogar in der Nacht, wenn eigentlich alles ruhig sein sollte, konnte ich noch die verschiedensten Geräusche hören.

Nach einer Weile, in der ich mich unruhig von der einen auf die andere Seite gewältzt hatte, stand ich auf und lief zu dem kleinen Fenster, um hinauszuschauen.

Im Licht der Lampen konnte ich vereinzelte Gestalten sehen, die durch die Dunkelheit huschten.

Diese Stadt schien nie zu ruhen.

HEXENJAGDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt