twelve ~•~

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Harry bestand sein Abitur. Es war eine schwere Hürde, doch der ehemalige Schülersprecher hatte diese auch überwunden.

Man musste dazu sagen, dass er es nicht leicht hatte. Immerhin hatte er ein nervendes Kleinkind namens Louis zuhause, das immer seine Aufmerksamkeit wollte.

Und wenn er diese nicht bekam, konnte der kleine, sonst so niedliche Wuschelkopf, ein richtiges Biest werden.

Jetzt musste Louis alleine die Schule meistern und das fiel ihm mehr als schwer. Er hatte keinen mehr, der ihn tagtäglich zur Schule abholte, geschweige denn begleitete.

Und dem Lockenkopf zerbrach es das Herz, Louis einfach alleine lassen zu müssen.

Doch er besuchte nun die Universität in der Stadt und konnte unmöglich den Kleinen jeden Tag zur Schule bringen.

So musste Louis alleine durch die Hölle, was sich Schule nannte.

Und Jay ging es auch nicht besser. Sie wendete sich komplett von der Öffentlichkeit ab. Den Auszug ihres Mannes hatte sie immer noch nicht verkraften können.

Anne versuchte der jungen Frau beizustehen und eine Stütze zu sein. Doch diese Stütze zerbrach auch immer mehr und nicht einmal der aufgedrehte Wuschelkopf konnte seiner Mutter ein Lächeln auf die Lippen zaubern.

Louis bekam natürlich mit, dass etwas nicht stimmte. Erst verschwand sein Vater (von dem hörte man gar nichts mehr), dann wendete sich seine Mutter ab. Es musste doch an ihm liegen oder?

~•~

"Anne, ich kann nicht mehr."

Ja war verzweifelt. Sie war am Boden und das sah man ihr auch an.

Die Lachfalten waren komplett aus ihrem Gesicht gewichen und der strahlende Glanz aus ihren Augen ebenfalls.

Stattdessen schmückten dunkle Schatten ihre Haut und die leicht grauen Haare zeigten die ersten Spuren des Alters.

Sie startete einen letzten Hilferuf an ihre beste Freundin Anne.
Sie wusste, dass sie eine schlechte Freundin war. Jay hatte ihren Sohn oft bei ihr untergebracht und das nicht einmal ohne zu fragen. Und Louis konnte wirklich anstrengend sein.

"Was kann ich tun? Was kann ich tun, damit es dir besser geht? Du kannst nicht in einem Loch aus Trauer und Verzweiflung versinken, Jay. Du hast einen Sohn! Einen Sohn der viel Liebe und Aufmerksamkeit braucht."

Anne versuchte ihr die Augen zu öffnen. Ein letzter Versuch. Denn die Mutter des Lockenkopfes musste mit ansehen, wie Louis das ganze schlecht aufnahm.

Sie wollte nicht, dass der niedliche Junge weiter in dieses Loch hinein gezogen wurde.

"Ich weiss. Das ist das Problem. Ich kann und schaff' es nicht mehr, mich um Louis zu kümmern. Er ist anstrengend und die letzten sechzehn Jahre musste ich immer springen. Er ist krank und das habe ich jetzt eingesehen. Die Liebe die er braucht, kann und will ich ihm nicht mehr geben."

Ein Schluchzer und Jay schloss mit der Sache ab. Sie schloss mit ihrer Familie ab.

~•~

Es gibt nicht immer ein Happy-End. In diesen Disneyfilmen und Liebesromanen gibt es das. Doch in Büchern und Geschichten kommt es oft vor, dass es ein nicht zufriedenstellendes Ende gibt.

Louis war krank. Er hatte das Peter-Pan-Sydrom und würde es vermutlich nie einfach haben. Seinen Eltern war das bewusst, doch nun konnten beide diese Last nicht mehr tragen.

Es kam einfach zu viel auf einmal. Wäre es anders gelaufen, wenn der junge Vater den Tod seiner Mutter besser verkraftet hätte? Vielleicht. Man weiss es nicht.

Die Hoffnung, das alles gut gehen würde, zerbach wie ein Porzellanteller in tausend Scherben.

Anne war geschockt. Jay hatte versagt und das, obwohl sie viele Menschen hatte, die sie unterstützen.

Natürlich gab Anne sich die Schuld und machte sich viele Vorwürfe. Sie hätte eine bessere Freundin sein müssen. Hätte sie das? Vielleicht. Man weiss es nicht.

Und jeder konnte sehen, dass es Louis besser ging, als er Harry kennengelernt hat. Vermutlich dachten alle, dass der Lockenkopf die Person war, die Louis 'heilen' könnte.

Doch diese Chancen bekamen sie nicht. Viel zu schnell wurden sie wieder auseinander gerissen.

Harry konnte sich wirklich gut vorstellen, sich um den Kleinen zu kümmern. Er konnte sich vorstellen, mit ihm zusammen zu leben. Doch auch dieser Traum ist geplatzt.

Jay hätte vieles retten können. Hätte sie nur über ihre Probleme gesprochen, dann würde es jetzt anders aussehen oder? Vielleicht. Man weiss es nicht.

So kam es, dass der kleine, unschuldige und nichts ahnende Wuschelkopf in ein Heim musste.

In ein Heim für 'schwer erziehbare Jungendliche'.

Anne versuchte vieles, um den Sohn ihrer besten Freundin behalten zu dürfen. Sie hatten den kleinen Racker lieb gewonnen und wollte ihm das auf keinen Fall antun. Dort wäre er völlig fehl am Platz.

Doch auch sie versagte in ihrem Kampf.

Harry musste das alles mit ansehen. Wie sein kleiner Lou in ein Heim gesteckt wurde, in das er überhaupt nicht passte. Hätte er nur mehr mit dem Wuschelkopf gesprochen, wie er fühlte, was Zuhause mit Jay abging, hätte er erfahren wie ernst die Lage doch war.

Hätte er das? Hätte es etwas gebracht? Vielleicht. Man weiss es nicht.

Jay verschwand. Keiner wusste so recht wo sie hingegangen ist. Vielleicht ins Ausland? Weit weg von ihren Problemen? Vielleicht. Man konnte es nicht sagen.

Die Zukunft von Louis war zerplatzt. Wie eine Seifenblase.

Dabei schien doch noch vor kurzer Zeit alles so einfach oder?

Doch es war nunmal nicht einfach, anders wie Andere zu sein.

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show me your right side | larry ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt