4 : Gewonnen & Verloren

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* Sophia *

Am nächsten Morgen wurden wir durch den klingelnden Wecker wach und gähnten. Müde stand ich auf und kramte in meinem Koffer nach Klamotten für den heutigen Tag, während Danny sich hinter mir bereits umzog. Er lachte belustigt und warf mir einen seiner Pullover zu.
"Damit du nicht frierst ", zwinkerte er. "Und damit jeder weiß, wohin du gehörst.", lachte er wieder und ging in das Bad während ich mich anzog.

Als ich in das Bad trat, kämmte sich mein Freund gerade die Haare und an seinem Gesichtsausdruck sah ich, wie angespannt er war. Er hatte unglaublichen Druck, denn alle norwegischen Karten waren auf ihn gesetzt. Allerdings konnte man schon dem Wetterbericht entnehmen, dass die Bedingungen schrecklich sein würden. Natürlich machte er sich Sorgen, denn er wollte Alex und sein Team nicht enttäuschen.
"Hey. Ob du gewinnst oder nicht spielt doch keine Rolle. Für mich bist du immer die Nummer Eins und die anderen wissen auch, dass du ein wunderbarer Flieger bist.", sprach ich und brachte ihn damit zum Lächeln. Er umarmte mich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er seine dagegen lehnte. Ein Moment verging, in dem wir uns einfach anstarrten. Bis es an der Tür klopfte. Daniel verdrehte die Augen und begab sich zur Tür, während ich mir meine Haare zu einem seitlich geflochtenen Zopf band. Zum Schminken hatte ich garkeine Zeit mehr, denn Fannis stand bereits an der Tür, um uns zum Frühstück abzuholen.

Zu meiner Überraschung saßen schon alle am Tisch, als wir zum Buffet schlenderten. Normalerweise saß ich immer zwischen Celina und Danny, doch heute musste ich mich neben Tom setzen, der schon wieder irgendeinen Unsinn zusammen mit Halvor ausheckte. Wir besprachen kurz den Tagesablauf und eilten dann wieder in das  Zimmer, wo ich Daniel half seine sieben Sachen zu packen, um dann mit dem Shuttle zu der Schanze zu fahren. Wie so oft war die Laune des Teames bestens, doch das Sturmtief, welches herrschte, ließ auch ihre Nerven flattern. An der Schanze angekommen schrien unzählige Fans die Namen der Springer. Danny verbaschiedete sich erst einmal von mir und bereitete sich auf seinen Wettkampf vor, während ich mich weiter vor an die Bande quetschte, um ihn später gut im Blick zu haben. Celina und ich hatten uns wie so oft in die Menschenmenge geschmuggelt, um im Geschehen dabei zu sein. Natürlich hatten wir Ausweise, die uns Zugang zu jeglichen Orten ermöglichten, aber wir bevorzugten es, unentdeckt zu bleiben. Doch heute lief alles anders, denn wir blieben nicht unerkannt, sodass wir uns auf der anderen Seite des Auslaufes platzierten, wo ein abgetrennter Bereich für Freunde und Familien war. Wir gesellten uns zu der Freundin von Stefan Kraft und unterhielten uns, bis der Wettkampf begann. Mittlerweile verstand ich, warum Marisa sich immer abseits stellte, denn sobald der Partner in Form war, wurde alles über ihn in Erfahrung gebracht. Die Leute beachteten Celina und mich plötzlich, was bisher nur in Norwegen der Fall war. Natürlich gab es die eine oder andere Ausnahme.

Meine Nerven flatterten mindestens genauso, wie die Schneeflocken im Wind als der Wettkampf begann. Schon bei den Vorspringern seufzte ich erleichtert aus, wenn sie heil unten ankamen und alle schienen angespannt. Als Daniel oben am Balken stand und seinen Trainingssprung startete, fixierten meine Augen ihn und seine Skier. Für einen Moment war der Wind still und er wurde abgewunken. Mein Körper zitterte vor Angst und als er einen hervorragenden Sprung machte, beruhigte ich mich ein wenig. Als er aus dem Auslauf kam und sich umgezogen hatte, bemrkte er meinen Blick und lächelte.
"Meine Freundin im VIP-Bereich? Hast du Fieber?", fragte er und tastete nach meiner Stirn. "Du spinnst doch.", lachte ich und er grinste schief. Er griff kurz nach meiner Hand und drückte diese, ehe er wieder verschwand.

Johann machte ebenfalls kurz Halt bei uns und wunderte sich über unsere Position. Ich sah Celi an, dass es ihr genauso ging wie mir und zusammen fieberten wir den ersten Durchgang mit. Die Fans beschwerten sich über die Bedingungen und wir seufzten nur, denn es war nicht ganz ungefährlich. Ganz im Gegenteil. Mir wurde beinahe übel als Danny oben stand und auf grünes Licht wartete. Er musste einige Male zurück vom Balken, doch dann gab es tatsächlich das Startsignal. Bitte komm heil unten an. Bitte komm heil unten an. Ich setzte jegliche Gebote gen Himmel und vergaß den gesamten Sprung lang zu atmen. Tatsächlich machte er einen spitze Flug für diese Bedingungen und lächelte nach seiner Landung. Ich atmete erleichtert aus. Er winkte mir flüchtig zu und ging wieder hoch. Mein Herzschlag beruhigte sich wieder. Der zweite Durchgang startete später als geplant und hatte unzählige Verzögerungen. Nach dem dritten Springer wurde wegen den schrecklichen Bedingungen abgebrochen. Erleichtert atmeten wir aus.

Dann zeigten sie die Ergebnisse und ich fiel Celina schreiend um den Hals als ich den Namen meines Freundes an erster Stelle las. Kurz darauf zeigten sie seine Reaktion auf dem Bildschirm. Seine Kollegen feierten ihn und zogen ihn in die Arme. Danny lächelte und dann passierte etwas, was man selten bei ihm sah. Zumindest in der Öffentlichkeit. Danny hielt sich die Hände vor sein Gesicht und begann zu weinen. Hiermit war er Skiflugweltmeister und alle jubelten.

Einen Moment danach tat ich es ihm gleich und begann vor Freude zu weinen. Johann und Robert nahmen ihn auf die Schultern und feierten meinen Freund, welcher noch immer total überwältigt war. Als er dann den Auslauf verließ, übergab er Fannis seine Skier, sprang über das Gitter und schlang seine Arme um mich. Seine Lippen schmeckten salzig und warm. Als wir uns lösten und er mich absetzte, lachte er. Er wirbelte mich einmal herum und ich brachte, noch immer gerührt, ein 'Herzlichen Glückwunsch' hervor. Dann wurde er von seinen Kollegen entführt, denn die Siegerehrung und einige Interviews standen an.

Celina und ich fuhren zurück in das Hotel, da die Jungs nun noch unzählige Fotosessions und Interviews vor sich hatten. Wir hielten an einem Einkaufsladen und dekorierten das Hotelzimmer ein bisschen. Wir bestellten Pizza und mischten alkoholfreie Cocktails. Und da wir noch Zeit hatten, backten wir zu dem Anlass noch einen Kuchen in der Hotelküche. Schließlich hatten wir einige Sonderrechte. Gegen acht Uhr hörten wir das Team ankommen, machten das Licht aus und versteckten uns. "Sag mal sind eure Mädels ausgeflogen?", fragte Halvor und machte das Licht an.
"So ein Skiflugweltmeister ist schon angsteinflößend.", lachte Tom und ich verdrehte die Augen.
Danny lächelte als er unsere kleine Überraschung sah und umarmte erst Celina und dann mich, als wir uns zu erkennen gaben. Mit dem Unterschied, dass er mich die ganzen drei nachfolgenden Stunden im Arm hielt. Wir bestellten Pizza und feierten den Sieg ein wenig. Danny wich keine Sekunde von mir, als müsse er sich an mir festhalten.

Als alle gegangen waren, bemerkte ich, dass mit Daniel etwas nicht stimmte. Wenn ich mit ihm allein war, fiel seine Maske ab. "Was ist los?", fragte ich deshalb und bekam ein tonloses "Nichts" als Antwort. Er war sichtlich genervt. Ich vermutete, dass es an der plötzlichen Aufmerksamkeit lag, die er nun bekam. Oder vielleicht kam er sich schlecht vor, weil es keinen zweiten Durchgang gab?

"Danny..", versuchte ich es nocheinmal und legte meine Hand auf seine Schulter, doch er wimmelte diese sofort ab.
"Lass mich bitte kurz allein.", sprach er frustriert. Doch ich kannte ihn lange genug um zu wissen, dass er sich nur Vorwürfe machen würde, wenn ich nun gehen würde.
"D..", begann ich erneut, doch er erwiderte etwas lauter "Ich möchte wirklich kurz allein sein. "
So wütend hatte ich ihn in all den Jahren nicht erlebt. Er packte mich am Arm während seine Worte noch in meinem Kopf hallten. Ein Schmerz durchfuhr meinen Körper und ich realisierte erst jetzt, dass er von Daniels Hand kam. "Danny...du tust... mir weh.", flüsterte ich mit Tränen in den Augen und sofort ließ er mich los. Einen Moment stand er regungslos da und dann verschwand er plötzlich. Ich hatte Angst, dass er nicht wieder kommen würde. Doch er kam wieder und hatte eine kühle Weinflasche in der Hand, die er mir vorsichtig an den Arm hielt. So sanft, als hätte er Angst mich noch einmal zu verletzen.

Als ich hinunter sah, erkannte ich den roten Handabdruck auf meinem Arm.
"Es...es tut mir leid, Sophia. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich...es tut mir leid. Das hätte niemals passieren dürfen .", sprach er zitternd und ich wusste, dass jedes Wort wahr war. Und ich glaubte ihm von ganzem Herzen. Er war einfach überfordert.

"Es ist okay.", sagte ich heiser und sah zu ihm hoch. Nichts auf dieser Welt hätte mir mehr wehtun können als sein gebrochener Blick in diesem Moment. "Hast du...jetzt Angst vor mir?", fragte er und ich schüttelte den Kopf. Wie könnte ich?
Ich legte meine Arme um seinen Hals und lehnte mich an ihn. In diesem Moment wäre jedes Wort überflüssig und ich wusste, dass er sich das niemals verzeihen würde. Es war eine einmalige Sache, da war ich mir sicher.

Soul of scars •• [Daniel Andre Tande]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt