Kapitel 38

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Ich atmete hektisch ein und aus. Nahm mir mein Telefon und drückte schnell auf. Vergeblich versuchte ich mich zu beruhigen, jedoch spürte ich den Schmerz noch mehr. All die blauen Flecke, all die Narben, all den Leid und all die Erinnerungen die ich durch ihn in Tränen verbringen musste, kamen mir in den Sinn. Der Mann der sich als mein Stiefvater ausgab und jeden belog. Seine Stimme wieder zu hören war für mich das schlimmste. Das konnte nicht er sein!
„Cansu? Cansu wer war das?" Wieso nur Serkan? Wieso musstest du ausgerechnet ihn anrufen? Wieso besaß ich überhaupt seine Nummer? „Cansu schau mich an! Wer war das?!"
Ich zitterte und erinnerte mich an den Tag, an dem ich versuchte mich vor ihm zu wehren. An dem ersten Tag, wie er mich in den Keller sperrte. Ich konnte nicht aufstehen, das war klar. Krabbelnd schaffte ich es nur raus und selbst dann konnte ich nicht raus, bis man mir ins Krankenhaus half. Der Tag war einer der schlimmsten für mich und seit dem zitterte ich so, wie bei einem meinen Träumen, wenn ich davon träumte, wie ich mich nicht wehren konnte und niemanden zur Hilfe rufen konnte. Nur das es bei mir auch echt war. „Was hat man dir angetan.", murmelte Serkan vor sich hin. Mir ist garnicht aufgefallen, dass er versucht hatte auf mich einzureden. Wieso konnte ich mich nicht bewegen? Wieso hatte mein Körper so eine Reaktion auf seine Stimme abgegeben? Serkan trug mich auf sein Bett und deckte mich zu. Beides war mir egal. Ich konnte gerade nichts fühlen, außer die Träne. Warum kann ich nichts mehr fühlen? Verdammt und warum muss ich auch immer heulen! Er umarmte mich und plötzlich fiel ich aus meiner Starre. Ich umarmte ihn zurück und fühlte wieder, dass wie beim letzten Mal. Irgendwie konnte er mein Leid auf seinen Schultern tragen. Ich fühlte mich wieder sicher.

„Was ist passiert? Wer war das?" „Mein Stiefvater." „Und warum hast du so reagiert?" Ich wollte ihm nicht sagen warum. Es lag nicht nur daran, dass ich ihm nicht ganz vertraute, sondern weil ich Angst habe, dass durch Serkan alle es erfahren. Can, meine Eltern, sogar Selma Abla. Obwohl sie es ja schon vermutet hatte. „Hatte noch nie ein gutes Verhältnis zu ihm." Das war auch nicht gelogen. „Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst. Warum vertraust du mir nicht?" „Du vertraust mir doch auch nicht?" Für einen Moment hielt er inne. „Okay dann werde ich dir etwas erzählen, was keiner von mir wusste. Vertraust du mir dann?" Ich war leicht geschockt, dass er etwas für sich selbst behielt. Ich wusste wie schlimm es war, etwas für sich selbst zu behalten und damit sich innerlich jeden Tag aufzufressen, wenn es einem so schwer fiel, es zu erzählen. Das ist auch bei Selin und mir passiert. Sie hatte sich lustig über meine Probleme gemacht, sei es Stress oder Kopfschmerzen, weshalb ich sie mitten in ihrem Satz abbrach und das Zimmer verließ. Es war die einzige kleine Sache die ich Selin jemals erzählt hatte und das verwendete sie gegen mich, nur weil ihr keine anderen Argumente einfielen. Und das ist eine Sache die ich am Meisten hasste. Sie hatte mein Vertauen gebrochen, aber das wusste sie nicht. Damals war ich auch um die 14 Jahre alt. Ich verließ das Zimmer und sprach für eine Woche lang nicht mit ihr. Bis sie verweint in mein Zimmer kam und mich anbettelte es nicht in mir zulassen, sondern sie anzuschreien, oder sie schlagen sollte. Sie konnte es nicht mit ansehen, wie ich es einfach inne hielt. Dabei sagte ich ihr nur, dass es nicht schlimm sei und ich ihr verziehen hätte. Würde sie in dem Moment mein verweintes Gesicht sehen, hätte sie mir das natürlich nicht geglaubt. „Das fällt mir jetzt schwer zu sagen." Ich verstand sofort. „Du musst es nicht sagen, wenn du nicht bereit dafür bist." Er setzte sich gerade hin und ich fragte mich nur, warum er das tat. Ich meine er kennt mich nicht mal richtig.

„Ich habe ein Geheimnis was keiner über mich weiss. Ich will es auch eigentlich keinem sagen, weil sonst jeder falsch von mir denken wird. Aber ich kann einfach nicht damit leben! Ich will es loswerden!" Irgendwie fühle ich gerade total mit ihm. „Manchmal ist es leichter los zuhalten, als festzuhalten und damit sich wehzutun." Er atmete ein und aus und mir fiel auf, wie schwer es für ihn war es zu erzählen. Doch was gleich kommen würde, hätte ich weder gedacht, noch erwartet. „A-als ich 15 war, bin ich mit meinen Freunden hinter der Schule bisschen rumlaufen gegangen. Wir haben uns Sachen anvertraut und haben Witze gemacht. Bis zu dem Moment, als ältere Männer uns näher kamen und wir wussten, dass wir jetzt weg sollten. Ilias wollte aber noch da bleiben und tat so, als würde er keine Angst vor ihnen haben. Die Männer waren alle betrunken und der eine hatte sogar Stress angefangen. Sie versuchten uns extra zu provozieren, sei es unsere Eltern zu beleidigen. Dabei war Ilias ein Waisenkind und hielt für einen Moment inne. Ich versuchte die Lage zu beruhigen und meinte, dass wir jetzt gehen würden. Einer der Männer zog ein Messer u-und bedrohte uns. Ab da war es kein Spaß mehr und wir wollten gehen. Aber Ilias wurde Sauer, als man ihn weiter provozieren konnte. Ich zog ihn mit und als ich mich u-umdrehte, lag er auf dem Boden. Die Männer kamen uns auch näher und mein Freund Jahan zog mich mit in den Wagen von Ahmet. Er war der einzige unter uns, mit einem Führerschein. Wir hatten Ilias einfach dort gelassen. Später erst haben wir erfahren, dass er es überlebt hatte." Meine Tränen hatten kein Ende mehr und seine scheinen auch nicht besser zu sein. „I-ich könnte ihn schon davor ziehen und gehen, aber ich habe nichts getan." Ich stand auf, wie er auch und umarmte ihn so fest ich konnte. Da er größer als ich war, hielt er mich an meiner Taille fest und ich an seinem Nacken. Meine Kopf tat ich an seiner Schulter und umarmte ihn noch fester. „Es tut mir leid für dich.", flüsterte ich zu ihm. „Danke." Ich hätte nie gedacht, dass er sowas mit sich getragen hat. Niemals hätte ich sowas gedacht. Und doch hat er mir das anvertraut, womit ich ihn niemals enttäuschen werde. Wir lösten uns voneinander und ich hielt ihn an seinen Schultern fest. „Guck? Ich denke nicht falsch von dir. Ich denke sogar, dass du der mutigste Junge bist, den ich jemals kennengelernt habe. Du wolltest ihm helfen und bist sogar geblieben, als er blieb. Du bist nicht weggelaufen, obwohl man das als plausibel erklären könnte." Serkan so zu erleben, hätte ich niemals erwartet. „Danke Cansu." Wie süß! Ich umarmte ihn nochmal stark. „Kein Problem."

„Hadi! (Los!) Kommt essen!", schrie seine Mutter. Das war unser Sprichwort. Wir rannten die Treppen runter und sahen uns das Buffet an. Beim Essen war es still. „Cansu du kommst doch auch morgen zur Hochzeit." Ich verschluckte mich leicht. Die Hochzeit ist schon morgen?! „Keine Sorge das Kleid hat deine Mutter mit mir schon gekauft. Es sieht echt wunderschön aus. Ein Friseur kommt zu euch nachhause und wir werden uns dort dann frisieren und schminken lassen. Wir fahren bei deinen Eltern mit und du, Serkan, Ugur und Nazli fährt dann alleine hin." Ich hab irgendwie gar keine Lust dahin. „Anne ich dachte Nazli und Basak fahren bei deren Eltern mit. Und Ugur doch auch." Ihr kam eindeutig etwas in den Sinn. „Stimmt, das habe ich ja fast vergessen. Nazli und Basak werden mit den Eltern fahren. Das hatte sich geklärt. Aber Ugur kann auswählen zwischen euch und seinen Eltern. Er meinte mit euch würde es mehr spaß machen." Oh Gott. Serkan murmelte etwas vor sich hin, jedoch beachteten wir es nicht.

„Hadi ich komme spät zur Arbeit. Euch viel spass noch. Ach und Cansu du schläfst heute bei uns.", rief uns der Vater von Serkan zu, bevor er sich auf den Weg machte. Schade, dass mein Vater auch manchmal zur Nachtschicht muss. „Serkan yalla, mach dein Sofa auf und Cansu schläft auf deinem Bett. Ich schlafe mit Mila in meinem Bett. Euch gute Nacht noch." Das kann doch nicht wirklich ihr ernst sein?! „Keine Sorge Selma abla, ich kann auch im Wohnzimmer schlafen. Also kein Problem für mich." Sie schaute mich warnend an. „Nein. Nichts da du schläfst nicht auf dem Sofa! Serkan hat ja einen Sofa im Zimmer und da ist es wärmer." Ich hätte nie gedacht, dass sie es erlauben würde, dass wir in einem Zimmer schlafen dürften. Normalerweise ist so etwas nicht erlaubt. „Komm Cansu.", flüsterte er mir siegessicher zu. Oh glaub mir du hast noch nicht gewonnen. In seinem Zimmer angekommen spielte er erst Mal wieder eine Runde PlayStation. War ja klar. aber das Problem ist jetzt, wie ich schlafen sollte. Ich hatte kein Pyjama dabei. Toll und in Unterwäsche hier zu schlafen, wäre wie Selbstmord. Egal dann schlafe ich eben so. „Du hast doch nicht wirklich vor so zu schlafen.", lachte er mich aus. Ich ahmte ihm nach. Hast du eine bessere Idee? Als könnte er meine Gedanken lesen, ging er auf seinen Schrank zu, nahm sich ein schwarzes T-Shirt und seine Fußballshorts raus. „Hier. Wenn sie erfährt, dass du mit Kleidung geschlafen hast, bringt sie mich um. Zieh das an." Sein T-Shirt nahm ich zwar an mich, aber seine Shorts nicht. „Das werde ich nicht anziehen. Hast du keine Jogginghose oder so?" Ich schlafe ja liebend gerne in Fußballshorts, aber doch nicht neben ihm in seinem Zimmer! „Meine Jogginghose würden dir viel zu breit kommen, so dünn wie du bist. Zieh das jetzt an mein Gott. Ich werde schon nicht gucken oder so." Bei Gott wenn er sich lustig über mich machen wird, werde ich ihn schlagen! Ich öffnete die Tür und er kam mir in die Quere. „Wohin?" Ich schaute ihn doof an. „Mich umziehen? Was sonst." Langsam ging er mir wirklich auf die Nerven. „Schau. Die Toilette ist besetzt." Hoff nicht. „Dann gehe ich mich eben später umziehen. Ist doch kein Problem." Zehn Minuten später, zog ich mich im Bad um. Die Shorts kamen mir über die Knie, dennoch fand ich es unwohl so neben ihm zu sein. Sein T-Shirt passte, wurde oben rum aber etwas enger. Ich mag es nicht wirklich, beim Schlafen meine Haare zu zumachen. Es nervt mich dann morgens den Knoten rauszufischen und meine Locken zu bändigen. Wieder in seinem Zimmer, war mir klar, dass er auf meine Beine schauen würde. „Ich muss sagen, selbst in meinen Anziehsachen siehst du echt gut aus." Wer es glaubt. Dennoch wurde ich etwas rot. Lag wohl daran, dass ich immer rot werde, wenn man mir Komplimente machte. Aber zum Glück heizt mein Ohr mehr an, als meine Wangen. Das Glück hat nicht jeder. Es war schon dunkel und ich gähnte kurz auf. „Geh endlich in mein Bett rein. Ich mach später mein Sofa auf und gehe dann schlafen." Benebelt nickte ich und ging unter seine Decke. Scheisse warum riecht sein Bett nur so gut?! Ich liebte schon immer Männerdüfte. Als zum Beispiel Sevdas älterer Bruder ein Parfüm holte, rief er mich extra mit, damit ich ihn sagen kann ob es gut oder schlecht sei. Es war das beliebte one Million von Paco Rabanne. Seit dem helfe ich ihm bei der Auswahl der Düften. Sogar heute noch. „Kannst du so eigentlich schlafen? Ich meine ich spiele ja die ganze zeit." Ich winkte nur ab. „Keine Sorge so schlafe ich sogar besser. War schon seit meiner Kindheit so." Er drehte sich wieder zum Monitor. „Hoffentlich werde ich bald mehr über dich und deine Kindheit erfahren." Ich wusste nicht ob das an mich gerichtet war, oder ob er es nur vor sich sagte. Dazu war ich einfach zu Müde. „Bereust du es irgendwie mir es erzählt zu haben?" Er schüttelte seinen Kopf. „Niemals. Du hast mich irgendwie verstanden, was nicht jeder tut. Ich hoffe einfach nur, dass ich bald mehr über dich erfahre. Jetzt weisst du ja schon alles über mich." Das letzte Mal gähnte ich auf. „Versprochen, irgendwann werde ich dir alles erzählen, was du wissen willst, sowie du es getan hast. Ich weiss nicht wann, aber der Tag wird kommen." „Gute Nacht Cansum. (Meine Cansu.)"

Durch ein Gewicht Hinter mir, wachte ich leicht auf, aber es war mir egal. Ich war zu Müde und im Halbschlaf. Eine Hand zog mich an meiner Taille und durch die angenehme Wärme, konnte ich besser einschlafen.

Inseparable ~ Unzertrennliche VerbindungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt