20 ›› rewind

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"Jimin..."

"Nein", keuchte ich und erhob mich schnell, mein Kiefer bebte. Ich hielt meinen Kopf gesenkt, ließ meine Haare über mein Gesicht hängen, um dieses vor den anderen und ihm zu verstecken. Dann packte ich schnell meine Sachen, stopfte sie in die Tasche und stolperte aus dem Raum.

Egal, was ich mir eingeredet hatte. Egal, was ich mir versucht hatte, beizubringen, ich konnte jetzt nicht mit ihm reden. Ich konnte und wollte verdammt nochmal nicht so weiter machen wie vorher, so als wäre nichts passiert. So, als wäre er einfach nur irgendein dahergelaufener Betreuer.

Ich hatte ihm Chancen gegeben, sich zu erklären, sich zu entschuldigen, doch er hatte jedes mal nur darum gebeten, dass ich ihm verzeihen würde und mich weiterhin verletzt. Von einem wichtigen Menschen ignoriert oder verachtet zu werden tat verdammt weh, ja. Yoongi tat mir verdammt weh.

Doch andererseits konnte ich mir nicht mehr vorstellen, wie mein Leben ohne ihn war. Meine Gedanken kreisten seit dem Tag, an dem er aufgetaucht ist, ständig um ihn.

Ich könnte mich trotzdem nicht wieder normal vor ihm verhalten. Mein Verstand und mein Körper würden es einfach nicht zulassen. Bei jedem seiner Schritte, welche ich genau von den anderen unterscheiden konnte, schlug mein Herz schneller. Mit jedem Mal, wenn er einen Satz anfing, wurde ich aufmerksam und Gott, diese Stimme war so wunderschön. Und mit jedem Mal, in denen ich sein Lachen hörte, bildete sich selbst ein kleines Lächeln auf meinen Lippen und die Frage, wie er wohl dabei aussehen würde, brannte noch immer in mir.
Die Frage, wie er aussehen würde.

Den großen Händen und schlanken Fingern, eher dünneren Armen und seiner Beschreibung zufolge konnte ich mir zwar ein Bild machen, doch wenn sein Körper auch zu seiner Stimme und Art passen würde, wäre er zu perfekt.

Zu der Art, welche er angewandt hatte, bevor er anfing, mich zu ignorieren und zu verwirren.

Ich ließ mich außer Puste an dem Rand irgendeines Hauses nieder. Ich war nicht einmal gerannt, nur schnell gegangen, doch mein Kopf machte mich gerade fertig.

Yoongi hätte mir nun aufgeholfen, mir seine Hand entgegengestreckt und etwas vertrauenswürdiges gesagt.

Ein verletztes Lächeln schlich auf mein Gesicht und ich kickte den Stein, welchen ich mit meinem Fuß erfühlt hatte, mit Kraft weg. Meinen Kopf in die Hände gelegt fing ich leise an, zu wimmern. Dass eine Person mich und meine Gefühle so zerstören konnte, war mir nicht bewusst gewesen.

"Ich hab dir vertraut... und du?", hauchte ich verzweifelt und raufte mir leicht die Haare.

Ich erhob mich wieder und beschloss, am besten nach Hause zu gehen. Fast wäre ich über die Kreuzung gelaufen, doch im letzten Moment schritt ich wieder zurück und erneut erschien ein verletztes Lächeln auf meinem Gesicht, während eine letzte Träne über mein kaltes, halbgetrocknetes Gesicht lief.

Zu genau konnte ich mich daran erinnern, wie er mich jeden Tag aufgehalten hatte, da ich mit ihm jedes Mal unkonzentriert gewesen war und nicht auf den Verkehr geachtet hatte.

Nun musste ich also zum Blindentaster greifen, welcher mir das Signal gab, als die Fußgängerampel grün wurde.

Es schienen nicht viele Leute um mich herum zu sein, trotzdem hielt ich den Kopf gesenkt und beschleunigte meine Schritte auf weiten Flächen, in welchen mir keine Hindernisse bewusst waren, auf das Mindeste.

"Es geht nicht, ich hasse es, ich hasse einfach das alles hier!"

Ich stolperte mit diesen Sätzen durch die Haustür und schmiss meinen Rucksack einfach auf den Boden. Keine Minute danach hörte ich auch schon, wie meine Mutter zu mir kam, die Tür dabei kräftig aufstieß.

"Jimin! Was ist denn passiert, mein Schatz?", fragte sie hektisch und griff nach meiner Hand, doch ich zog sie schnell weg. All die Wut zu Yoongi, die Verzweiflung hatte sich wieder angestaut. "Man ich hasse das alles einfach so sehr!", schluchzte ich auf einmal auf und stampfte auf den Boden, ehe ich an meiner Mutter vorbei in das Wohnzimmer ging und mich schniefend auf die Couch niederließ. Natürlich folgte sie mir und setzte sich mir gegenüber.

"Warum musste ich wieder dahin? Das ist schrecklich! Ich hasse es, ich hasse einfach alles!", schluchzte ich erneut, "Warum ist mein Leben so, hm? Warum..." Ich stöhnte verzweifelt auf, meine Atmung unterstrich dies zittrig.

"Jimin, du weißt, dass wir das Geld nicht haben und dieses Risiko... du hast dich all die Jahre so gut geschlagen, du wirst es auch noch weiterhin schaffen", versuchte meine Mutter mich mit ihrer ziemlich leisen und fast schon schwachen Stimme zu besänftigen, doch ich wollte es gar nicht mehr hören. Immer die selben Worte, die selben Ausreden.

"Rede doch mit mir, Schatz", flehte sie schon fast, "Geht es um... Yoongi?"

Und als hätte sie irgendetwas erwähnt, meinen Kopf irgendwie alamiert, schoss mein Kopf nach oben und ich erinnerte mich plötzlich an eine Situation schon Jahre vergangen...

[...] "Anfangs bist du verknallt, hast Schmetterlinge im Bauch und willst die Person die ganze Zeit um dich haben. Alleine bei dem Namen der Person wird dir ganz warm und dein Bauch beginnt zu kribbeln. Du willst die Person immer küssen, ihre Nähe spüren. Aber diese Verknalltheit wandelt sich mit den Jahren, dann, wenn du nicht mehr nur ihr gutes Aussehen und die charmante Art begehrst, in Liebe um. Wenn du lernst, ihre Geschichte, ihre Macken und Fehler zu lieben. Wenn du merkst, dass diese Person ein Teil von dir ist, du dir sicher bist, sie in deiner Zukunft nicht mehr missen zu wollen."

Mit großen Augen sah ich sie an, während meine Wangen wahrscheinlich schon einen tiefen Rotton annahmen, da ich die ganze Zeit an einenen meiner besten Freunde denken musste. Meine Mutter richtete ihr verträumtes Lächeln nun auf mich und zog wissend eine Augenbraue nach oben.

"Bist du denn in einer Liebe?", fragte ich neugierig, um von mir abzulenken, doch konnte meinen Blick nicht von ihren grünen Augen, welche gerade beinahe funkelten, abwenden. Sie schmunzelte und schaute zur Seite. "Ob ich jemanden liebe? Ich habe es, ja, schon öfter. Aber ich hatte selbst noch nie das Glück, dass es so lange gehalten hat, dass man von der steinharten Liebe, welche zusammen bleibt, bis sie alt und grau ist, spricht."

"Aber was ich bei deinem Vater gelernt hatte...", ihr Gesicht wurde wieder ernster, die Trauer vertrieb kurz das Funklen in ihren Augen, "Das verliebte Grinsen und das Funkeln in den Augen, manchmal auch die Röte im Gesicht wird man niemals los. Nicht, wenn es die oder der Richtige ist... Und verdammt, selbst das Kribbeln im Bauch, wenn er dir einen Kuss schenkt." Plötzlich lief eine stumme Träne über ihre Wange, doch sie wischte sie schnell weg.

Noch immer saß ich einfach nur da und schaute sie mit großen Augen an, verblüfft von ihrer Erzählung, überfordert von ihren Gefühlen. Ich stand also langsam auf und ging zu ihr, befor ich ihren Arm beseite schob und mich auf ihrem Schoß platzierte. "Mami, warum bist du traurig?"

Sie hob ihren Kopf und schüttelte leicht schniefend den Kopf, brachte dabei sogar ein Lächeln zustande. "Es ist alles gut. Ich denke nur nicht so gerne an... Papa zurück." Sie strich mir liebevoll über den Kopf und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

"Aber Erwachsene weinen doch nie", schmollte ich, weshalb sie mich fest in ihre Arme zog.

"Auch Erwachsene können nicht immer stark sein. Niemand kann das, man muss es zwar versuchen, aber wir sind alle Menschen, wir haben alle Gefühle. Dafür bist  du für mich stak, ja? Ich habe dich so verdammt lieb, Jimin, merk dir das, ja?" Ich nickte langsam. "Und bring sie oder ihn doch einmal mit nach Hause", fügte sie grinsend hinzu, weshalb ich mein Gesicht in meinen kleinen Händen versteckte.

Ich hätte wohl wirklich nicht mit der Frage über Liebe zu ihr kommen sollen.

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Don't Be Blind | Yoonmin | abgeschl. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt