1 ›› Not your business

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Wir nahmen alle an dem Tisch Platz und packten unsere Sachen aus. Ich war einer von zweien unter uns, welcher das Tageslicht aus den Augen verloren hatten, die restlichen 5 Jugendlichen hatten andere Behinderungen oder Schwächen.
Als einigermaßen Stille eingekehrt war, klatschte eine Frau, die Verantwortliche und Leiterin dieser Betreuungsgruppe, Mrs. Choi, in die Hände. "Hört mal alle zu, wir haben einen neuen Betreuer, er ist noch in der Ausbildung und heißt Min Yoongi. Seid einfach nett zu ihm!"
"Danke", vernahm ich darauf eine etwas tiefere Stimme, "Ich bin wie gesagt Min Yoongi. Ich bin 20 Jahre und... hoffe auf eine gute Gemeinschaft?"

Wir applaudierten, neben mir vernahm ich kicherndes Getuschel und ich hörte, wie sich der Stuhl gegenüber von mir zurückzog und sich jemand darauf nieder ließ. "Hey", kam es auf einmal von direkt gegenüber von mir, weshalb ich leicht erschrak. Ich machte mir wie immer Gedanken, wie die Person wohl aussehen würde, konnte diese Frage einfach nicht abstellen.

Tiefe Stimme. Groß, muskolös, breitschultrig, dunkle Haare?
Aber dann die nette Stimmlage, die leichte Verunsicherung... Doch ein etwas normalerer Körperbau?

Ich wollte numal einfach gerne ein Bild der Person vor Augen haben, wenn ich mit ihr sprach. Ob es nun zutraf oder nicht war sowieso nebensächlich für mich.

"Hey", gab ich leise zurück, beugte mich dann über meine Aufgaben, die Augen wie immer geschlossen, da ich es hasste, wenn Menschen sie ansahen.

Sie sahen nicht normal aus, aus meiner früheren Erfahrung konnte ich sagen, dass es viele schon als gruselig und abwerten zählten. Wie mein kompletter Zustand war, wie ich mich in den letzten vier Jahren verändert hatte, wie sich meine Umgebung geändert hatte, konnte ich nicht sagen. Diese Fragen kratzten immerzu in meinem Unterbewusstsein, das ewige Schwarz machte mich manchmal fast schon verrückt.

Genauso hasste ich es, wenn fremde Menschen mich ansprachen. Oft hatten sie komplett andere Gründe als Interesse oder Freundlichkeit. Oft war es dieses Mitleid oder die unerwünschte Anbietung von Hilfe. Doch wenn es fremde Personen und dazu auch noch Männer waren, machte ich mir schon etwas mehr Sorgen. Meine Ängste waren gestiegen, ich war vorsichtiger geworden, seitdem ich blind geworden war.

Nach etwa zwei Stunden, in welchen ich brav mit meinen Aufgaben, welche mir in Blindenschrift gegeben worden waren, beschäftigt gewesen war, beendete die Leiterin die Stunde und alle packten ihre Sachen zusammen. Da ich jedoch gerade vertieft in eine der Aufgaben war, blieb ich sitzen, wie immer.
"Bleibst du wieder länger, Jimin?", vernahm ich eine Stimme unter den anderen lauteren und drehte mich leicht in deren Richtung, um meine Aufmerksamkeit darauf zu richten. "Ja, bis morgen", gab ich lächelnd zurück, wendete mich dann wieder der Übung zu und nahm im Hintergrund wahr, wie es langsam ruhiger wurde und schließlich ein letztes mal die Tür ins Schloss fiel.

Doch so ruhig wie sonst immer war es nicht und mein Gehör war sehr gut trainiert.
"Ich kann dich zwar nicht sehen, aber ich höre deinen Atem und daraus schließe ich, dass du gerade gelangweilt in der Gegend herum schaust und eigentlich nach Hause willst. Du musst nicht auf mich warten, deine Schicht ist vorbei, ich-"
"Wer sagt denn, dass ich gelangweilt in der Gegend herumschaue?", unterbrach die Stimme gegenüber von mir mich belustigt. Ich öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder und senkte meinen Kopf, ohne weiter mit ihm zu sprechen.

Da er immernoch sitzen blieb, beeilte ich mich, fertig zu werden und packte meine Sachen zusammen. "Geht's?"
"Jaja, ich bin das gewohnt." Stille folgte, ich setzte meine Sonnenbrille auf, nahm meinen Blindenstock und ich verließ den Raum, gefolgt von ihm.

Ich spürte deutlich seine Präsenz neben mir.

Die Präsenz eines fremden Mannes.

"Meine Mom wartet da hinten auf mich!", sagte ich deshalb schnell und ehe er etwas erwidern konnte, verschwand ich um die nächste Ecke. Dort ließ ich mich erleichtert auf eine Bank sinken und lauschte, bis nurnoch die wenigen vorbeifahrenden Autos zu hören waren. Dann stand ich auf und begab mich seufzend auf meinen Heimweg.

Don't Be Blind | Yoonmin | abgeschl. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt