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Mit abwesendem Blick saß ich einsam im Drachensaal. Ich war nicht einsam, ich hatte Esra und Jona neben mir, sowie Leslie und Raphael uns gegenüber. Dennoch fühlte ich mich so, verlassen vom eigenen Vater. Ich hatte in den letzten Stunden oft darüber nachgedacht und mir lag es die ganze Zeit so deutlich vor der Nase, ich hätte nur danach greifen müssen. Wir hatten nie besonders viel Zeit füreinander. Meinen Geschwistern hatte er das Lesen beigebracht, das Fahrradfahren, er war immer für sie da gewesen.

Auch zu mir sagte er oft, er wäre immer für mich da, wenn ich ihn bräuchte. Doch seit ich ihn kannte war er immer der großmeister der loge gewesen, Morgens sehr früh weg, Mittags wenn ich von der Schule kam beim Elapsieren und Abends spät zuhause.

Frei hatte er nie so wirklich, zumindest nicht vom Elapsieren. Raphael war anders. Natürlich musste er nicht elapsieren, aber trotzdem war auch er einer der Großmeister, doch er hatte immer Zeit für seine Familie. Jona hatte mir so oft von ihren gemeinsamen Männerabenden erzählt. Fußball, Kino, Sport... was Männer eben gerne so taten.

Natürlich konnte ich mir mit Gideon keine Männerabende machen, das war absurd. Aber als kleines Mädchen hätte ich mich gerne ein paar mal mehr in seine Arme geschmissen, wäre rumgewirbelt worden, wäre an seiner schützenden Brust eingeschlafen und am nächsten Tag wieder aufgewacht.

Mit Gwen hatte ich viel Spaß. Sie war auch nicht wahnsinnig oft daheim, aber wir gingen öfters gemeinsam Shoppen mit Leslie, Rose und Esra. Mädelsabend ,dachte ich, doch ich wollte ebenso Mutter, wie auch Vater.

,,Bella?"

Raphael musterte mich sorgevoll, während die Anderen in deiner Diskussion vertieft waren.

,,Ist alles in Ordnung mit dir? Du sagst gar nichts und starrst desinteressiert vor dich hin."

Ein winziges Lächeln huschte über meine Lippen und ich ergriff die Chance.

,,Kann ich bitte kurz mit dir reden? Alleine?"

Er nickte selbstverständlich und schaute kurz auf seine Uhr. Die Zeit spielte in unserer Familie so eine große und verdammte Rolle.

,,Lass uns nach draußen gehen."

Ich folgte ihm in Richtung Flur, wo wir uns in ein paar Wartesesseln niederließen.

,,Was gibt's denn?"

Nervös kaute ich auf meiner Lippe.

,,Wie gut denkst du, kennst du Gideon?"

Einen Moment überlegte er.

,,Ziemlich gut, wenn nicht sehr gut, schließlich sind wir Brüder. Wir reden über fast alles."

Ich nickte, mit Rose konnte ich auch über vieles reden, was mit Gwen nicht ging.

,,Glaubst du er liebt uns?"

Er überlegte, er hatte vermutlich nicht mit solch einer Frage gerechnet.

,,Wen genau meinst du mit uns?"

,,Unsere Familie, allgemein. Aber hauptsächlich Gwen und... mich."

Raphael schüttelte den Kopf und lächelte leicht.

,,Er liebt euch sehr, natürlich jeden in der Familie irgendwie, aber du und Gwen, ihr... also Gwen ist seine große Liebe. Er liebt sie wirklich jeden Tag mehr und du weißt, wie lange die beiden zusammen sind. Und du, du bist seine jüngste Tochter, seine kleine Prinzessin für die er alles tun würde. Er stellt euch beide und auch Lucas und Rose aber vorallem eben Gwen und dich über sich selbst. Ihr bedeutet ihm mehr als sein Leben ."

Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet, nie im Leben. Natürlich wusste ich, dass ich ihm irgendetwas bedeutete, schließlich hatte er es gestern Nacht selbst gesagt und in diesem Moment habe ich mich ihm wirklich nah gefühlt, wie lange nicht. Aber dass die Antwort so ausfallen würde... vielleicht übertrieb Raphael ja auch.

,,Darf ich fragen, wie du auf diese Frage kamst?"

Kurz zögerte ich, doch an irgendwen musste ich einfach alles los werden. Jetzt.

,,Ich... ich weiß auch nicht, warum genau jetzt, aber ich habe manchmal einfach das Gefühl einsam zu sein. Ich weiß auch nicht warum, denn ich habe natürlich euch alle als Großfamilie und euch wirklich total lieb, aber Gideon fehlt mir manchmal, als Vater.

Seit ich denken kann war er immer hier in der Loge, öfter als Zuhause. Rose und Lucas haben mir immer erzählt, wie er ihnen alles beigebracht hat und wie viel Spaß sie damals als Familie hatten, als die beiden noch kleiner waren.

Ich hatte nie so viel Zeit mit ihm, immer war er hier und wenn ich auch mal hier war hat er uns Aufträge gegeben und ist elapsieren gegangen, wie eben. Gestern Nacht, da kam er zu mir und war einfach mein Dad. Mir ist aufgefallen, wie sehr ich ihn und solche Momente vermisse. Ich habe ihn doch so lieb."

Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich beim Erzählen begonnen hatte zu weinen. Ich erwartete keine Antwort mehr und trotzdem bekam ich eine, allerdings nicht von Raphael.

,,Ich habe das getan, weil ich dich liebe."

Erschrocken drehte ich mich zu meinem Vater um. Auch ihm liefen Tränen die Wangen runter.

,,Ich war Tag und Nacht in Temple, weil ich dich liebe Bella. Ich war hier um Hinweise auf den Chronographen zu suchen, weil ich Angst um dich hatte. Von Tag zu Tag wurdest du älter und mir lief die Zeit davon, ich wollte dich nicht in der Vergangenheit verlieren. Jetzt ist es so weit und immernoch stehen wir am Anfang, ich bin so unfähig, unfähig meine eigene Familie zu beschützen. Es tut mir leid!"

Ich rannte zu ihm und schmiss mich in seine starken Arme, die mir Halt boten. Halt, während ich hemmungslos weinte und vermutlich meine gesamte Wimperntusche auf das hemd meines Vaters abfärbte. Er küsste meinen Scheitel.

,,Ich wusste nicht, dass du so sehr leidest Bella. Du hättest mir das doch sagen können."

Mit tränenverschmierten Augen schaute ich zu ihm auf.

,,Deine Arbeit war dir wichtig und hat dich glücklich gemacht, ich habe es an deinem Lächeln gesehen wenn du nach Hause gekommen bist. Ich wollte, dass du glücklich warst."

Er schüttelte den Kopf.

,,Nicht die Arbeit hat mich glücklich gemacht, sondern das Heimkommen zu euch, dich und deine Mum wieder zu sehen nach einem langen Tag. Schon als vor deiner Geburt die Prophezeihungen auftauchten, hatte ich so schreckliche Angst um dich. Und als du dann bei uns warst mit deinen wunderschönen, verschiedenfarbigen Augen und dem dunklen Büschel Locken, da wusste ich, dass ich etwas unternehmen musste, bevor es zu spät war."

Ungläubig und gerührt sah ich ihn an.

,,Es tut mir leid. Du bist der beste Dad auf der Welt und ich habe dich lieb."

,,Nein mir tut es leid, ich möchte öfter für dich da sein. Ich vermisse euch doch auch so schrecklich."

Raphael saß einige Meter entfehrnt, glücklich in seinem Sessel.

,,Danke", sagte ich noch zu ihm, bevor ich im rosanen Strudel

RosenrosaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt