Kapitel 19

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Ich hastete die Gänge entlang zu den Gefängniszellen. Abkürzen war in diesem Zustand nicht mehr möglich. Dabei stolperte ich ständig über den Saum meines Brautkleides. Als Nael und ich uns erblickten, stürzten wir uns in die Arme des jeweils anderen.

„Geht es dir gut?" fragte ich ihn und sondierte seinen Körper. An den Oberschenkeln fand ich die Spuren der Folterung in Form von mittlerweile getrocknetem Blut, das durch den zerfetzten Stoff seines Hochzeitsanzugs gesickert war.

„Soweit ja. Und dir? Wie bist du hierhergekommen?"fragte er

Ich druckste herum, so dass der Rob-Verschnitt die Antwort gab. „Sie ist hergeflogen. Sie ist eine Draconian."

Am liebsten hätte ich ihm eine geklebt. Nael diese Sache mitzuteilen wäre mein Job gewesen und nicht seiner. Aber da ich an meiner Friedsamkeit arbeitete, fing er sich nur einen bösen Blick ein. Der ließ ihn allerdings zurückweichen.

„Ist das wahr?" fragte Nael.

„Ja, es ist wahr. Nael, wir müssen dringend reden – allein. Aber zuerst müssen wir aus dieser Situation heraus. Der Plan ist, die Tir'ach abzusetzen und die Mooner nach Hause zu bringen. Dann müssen wir uns dringend um uns kümmern."

„Ja, das verstehe ich. Ich liebe dich. Was ist zu tun?" In Gedanken teilte er mir noch mit, dass er sehr dankbar war. Er beteuerte, dass ich immer noch sein Match war, auch wenn ich jetzt ein anderes Wesen war, als das, was er kannte. Und, dass er unsere Trauung so schnell wie möglich nachholen wollte. Ich antwortete ihm:

(Ribanna) Ich liebe dich.

Und senkte meine Stirn kurz gegen seine.

Ich switchte in den „Jetzt-bin-ich-hier-die-Kommandeurin-Modus." und erteilte den Mooner den Befehl das Raumschiff zu fliegen, während ich den Computer nach brauchbaren Planeten scannte. Zuerst überlegte ich die Tir'ach ganz weit weg zu schicken, dann aber kam mir die Idee sie besser in der Nähe zu behalten, wo ich sie im Auge hatte. Und so fand sich relativ schnell ein kleiner Planet, der geeignet war um sie dort abzusetzen. Nur anderthalb Tagesreisen von Twelve Moons entfernt. Da ihre Population nur aus den Lebewesen auf diesem Raumschiff zu bestehen schien, 3500 Tir'ach, sollte der Planet mehr als ausreichend sein. Wir flogen ihn an. Dieser Planet war sehr stark bewaldet, hatte aber auch einige Gebirge und große Seen im Angebot. Hier sollten sich die Tir'ach wohl fühlen. Während das Raumschiff im Landeanflug war, sah ich nach meinem schwarzen Draconian. Ich fand ihn in der Mitte der schlafenden Tir'ach sitzend, alles überwachend. Seine Drachengestalt hatte er ebenfalls abgelegt.

„Wir werden gleich landen. Und eine Landschaftstransformation einleiten – ein kleines Dorf bauen und so. Wie werden wir dann vorgehen? Vorschläge?" erkundigte ich mich.

„Wenn das Dorf fertig ist, werden wir die Tir'ach nacheinander wecken. Jeder einzelne benötigt eine Behandlung. Wir werden ihnen nur die Aggressionen und das Plündern nehmen und ihnen dafür Friedfertigkeit und Liebe geben. Jedem einzelnen. Das wird eine sehr anstrengende Prozedur. Wir werden einige Tage hier bleiben müssen. Wir werden dafür auch wieder unsere andere Gestalt annehmen müssen, sonst haben wir diese Fähigkeit nicht."

Eigentlich war ich gespannt darauf noch mehr von ihm zu erfahren. Konnte man denn die Gestalt so nach Belieben wechseln? Auf mich hatte es bislang so gewirkt, als ob es nur in der Not ginge. Er schien so viel zu wissen. Aber er sprach nicht weiter. Also fragte ich:

„Du scheinst so viel zu wissen und zu können. Du musst mir mehr erzählen und beibringen."

„Ja, das ist in der Tat so." Er wirkte sehr nachdenklich. „Du wirst noch sehr viel lernen und erfahren müssen, denn du ... du bist... ein Frischling." Das war definitiv nicht das, was er eigentlich sagen wollte, und er wirkte dabei so unendlich traurig, dass ich ihn am liebsten an Mutters Brust gedrückt hätte um ihn zu trösten. Er wechselte das Thema:

„Baut zuerst eine große Halle, wo alle Tir'ach hineinpassen. Dann können die Mooner nach Hause fliegen und dich in ein paar Tagen abholen."

Das schien mir eine gute Idee. Ich besprach es mit Nael, seinem Vater und all den anderen Jungs, die an Bord waren. Sie wagten es nicht einmal mir zu widersprechen. Seit unserer beinahe-Vermählung spielte das Missing-Match-Syndrom eine geringere Rolle. Es war vorhanden, aber aushaltbar für Nael. Sky und er übernahmen das Kommando und würden die Mooner nach Hause bringen.

Die große Halle und das Dorf für die Tir'ach waren mit Hilfe eines Transformierungsprogrammes schnell fertig gestellt, die Tir'ach „ausgeladen" und mir stand eine Verabschiedung bevor. Am liebsten wäre ich mitgegangen. Das stand aber außer Frage.

„Nael, nur 3 Tage." Ich sah ihn aufmunternd an, obwohl mir echt zum Heulen war. Er sagte gar nichts, nahm mich in die Arme und legte seine Stirn an meine.

(Nael) Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich jetzt schon vermisse. Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich liebe. Wenn du fühlen könntest, wie meine Schmetterlinge fliegen...

(Ribanna) Du hast Schmetterlinge?

(Nael) Ja, schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe.

Etwas war neu an dieser Botschaft. Er sandte mir Gefühle mit: Liebe und Trauer. Bittersweet. Sie überrollten mich wie Steine und mir stiegen gleich die Tränen in die Augen. Ich wusste, wenn er jetzt nicht gehen würde, könnte ich meine Aufgabe nicht vollenden. Ich sandte ihm Verzweiflung und Sehnsucht und Pflichtgefühl.

(Nael) Abschiedskuss?

(Ribanna) Nicht Mooner-Tradition. Wir sind wieder vor der Trauung.

Ich schüttelte den Kopf. Er verstand.

„Lass uns die schönen Dinge aufheben, bis wir sie richtig genießen können." Ich sah ihn noch einmal an, drehte mich um und ging. Mir ging es scheiße. Wenig später startete das Raumschiff, ich versuchte es auszublenden. Weg war er, schon wieder. Wie gewonnen, so zerronnen.

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