Kapitel 1

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Kapitel 1

Es ist Montag. Nicht nur ist heute der Tag, dem viele Menschen ihre Depressionen und Selbstmordgedanken zu verdanken haben, heute ist außerdem der Tag, der mich einerseits rettet und mich andererseits tiefer in das Loch, dass sich Auslandsjahr nennt, fallen lässt; mein erster Schultag. Einerseits retten mich rund 7 Stunden Schule auf 5 Tage pro Woche davor, vollkommen durchzudrehen und die restlichen 361 Tage, die ich hier verbringe, in meinem Zimmer zu sitzen, Musik zu hören und gegen die Decke zu starren, wie ich es die letzten zwei Tage getan habe.

Maman hatte gedacht, es wäre schlau, bereits Freitag anzureisen, damit mein Vater und Ich unsere „Beziehung" zueinander festigen können. Uns näher kommen, Dinge miteinander tun, die Vater und Sohn tun. Also...über Sport reden und sich im Garten mit Bällen abfeuern.

Ich hab' doch selbst keine Ahnung.

Aber mein Vater war genauso wenig darauf vorbereitet, wie ich, denn direkt am Freitagabend hat er mir eröffnet, er müsse am Samstag sowie am Sonntag arbeiten. Daran merkt man mal wieder, dass er sein Leben absolut nicht nach einer Frau oder Kindern ausgelegt hat.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal um 6 Uhr morgens aufstehen musste. Nicht einmal, als ich noch zu Schule ging, war das der Fall. Dort hat es immer gereicht, wenn ich um sieben aufstand. Doch da Deutschland anscheinend das Land der Frühaufsteher ist und die Schule dort bereits um halb acht beginnt, habe ich keine andere Wahl.

Nachdem mein Vater das Wochenende durch gearbeitet hatte, schien er heute morgen den Drang zu verspüren, sich den Titel für „Papa des Jahres" zu verdienen, denn nicht nur hatte er mir eine Tasse Kaffee gemacht, er bot mir sogar an, mich zur Schule mitzunehmen. Was in Anbetracht der momentanen Wetterlage (es regnete) nicht gerade ein schlechtes Angebot war.

Eine weiterführende Schule ist wie eine semi-gute Tier-Dokumentation. Sobald man die Tür öffnet und sich in den vollen Gängen wiederfindet, kann man innerhalb weniger Sekunden bestimmte Altersgruppen mit bestimmten Tieren vergleichen. Die jüngsten Schüler sind zu vergleichen mit Löwenbabys. Auf dem ersten Blick sind sie so süß, klein und hilflos. So voll mit Hoffnung und Träumen. Doch sie verhalten sich, als würde die Welt ihnen gehören, da sie jetzt mit den „ganz großen auf eine Schule gehen, Mami!". Sie schreien durch die Gänge und während es für sie wie ein mächtiges grollen klingt, ist es für die nächste Altersgruppe mehr oder weniger ein fiepsen.

Die nächsten in der Reihe sind die Affen. Das sind die Teenager und Pre-Teens, die soeben eine viel zu Hohe Menge Testosteron und Östrogen in ihre Gehirne gepumpt bekommen haben und nun unbedingt ein Ventil in ihrem Körper finden müssen, um sich auszugleichen. Selbstverständlich müssen dabei alle möglichen Ventile zugleich ausprobiert werden, um herauszufiltern, welches das beste ist. Sie schreien, lauter und unangenehmer als die Löwenbabys, springen wirr herum, schlagen sich, umarmen sich und werfen mit verschiedenen Sachen. Wenigstens sind sie schlau genug, überwiegend mit Papier zu werfen und nicht mit ihren eigenen Exkrementen.

Die dritte Gruppe sind die Bären. Die Bären bestehen aus den älteren Schülern der Schule. Sie sind die größten der Schule und machen vor allem den Löwenbabys Angst, während die Affen versuchen, ihnen auf der Nase herumzutanzen. Jeder Affe macht diese Erfahrung einmal, bevor er lernt, dass keiner einem Bären auf der Nase herumtanzt. Wenn sie wollten, könnten sie die Affenrasse auslöschen und die Löwenbabys in die Ecke drängen, doch die Bären hatten viele Jahre Erfahrung und, um es verständlich auszudrücken, haben einfach keinen Bock mehr. Unter seltenen Umständen sieht man in den Augen eines Bären noch den Glanz eines Löwenbabys. Die meisten haben ihn nach der Affen-Phase verloren. Zusammengefasst: die Löwenbabys sind die Träumer, die Affen die Möchtegerns und die Bären das Resulat aus dem fast 10 Jährigen Dilemma.

bruyamment//lautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt