Kapitel 3

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Kapitel 3

Zu erfahren, dass Joyce, die ich als mittlerweile als eine Freundin bezeichne, die Schwester des Jungen war, der mich seit meinem ersten Tag mehr nervte, als meine Mathematiklehrerin in der Grundschule, die meine Eltern riet, einen Logopäden aufzusuchen, weil ihr Sohn nicht spricht, war überraschend. Ähnlich wie die Erfahrung mit der Mathematiklehrerin. Das war kurz, nachdem mein Vater Maman verlassen und nach Deutschland gezogen ist, was sie nicht gerade selig gestimmt zurückließ. Maman hat sich bestimmt eine halbe Stunde über die Lehrerin aufgeregt, so laut, dass die Hallen auch gefühlt nach einer Woche noch das Echo ihrer aufgebrachten Stimme wiedergaben. Meine Mathelehrerin hatte mich seitdem gehasst, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Jedenfalls hat es mich überrascht, dass Joyce mit Collin verwandt ist.

Um ein guter Freund zu sein (Oder „bester Freund", wie Joyce mich mittlerweile nennt, obwohl wir uns technisch gesehen länger dafür kennen sollten, als zehn Tage), will ich beginnen, mir Collin noch genauer anzusehen und zu beurteilen, ob er ein guter Bruder für Joyce ist.

Die Französischstunde, in der ich gerade sitze, eignet sich perfekt dafür. Wenn ich ihn näher betrachte, fällt mir auf, wie viel Ähnlichkeit er mit Joyce hat. Er hat braune Haare, wie die lockige Löwenmähne von Joyce, nur dass seine kürzer sind und sich nur an den Spitzen leicht kräuseln. Speziell heute sind sie feucht, da es draußen regnet und die Geschwister scheinbar nicht das Privileg hatten, zur Schule gefahren zu werden, weshalb Collin wohl durch den Regen laufen musste. Er hatte mehr Farbe im Gesicht, als Joyce, weil er sicherlich nicht das Tageslicht meidet, bei seiner großen Anzahl von Freunden muss er doch nach der Schule ständig unterwegs sein. Seine Augen sind ein wenig heller, was vielleicht auch an dem Licht liegen mag, oder an dem frechen Schimmern, das er anscheinend immer in den Augen hat. Er lächelt oder lacht viel, mittlerweile ist sein Lachen eine Melodie in meinen Ohren, die ich wahrscheinlich unter hunderten wiedererkennen würde. Nicht einmal, weil sie sonderlich hoch, schrill oder böse ist. Eigentlich ist es eine normale Lache, doch ich hörte sie so oft, dass sie sich in mein Gehirn eingebrannt zu haben scheint. Als er das letzte mal breit gegrinst hat, habe ich seine Zähne gesehen, die gerade und weiß waren. Er muss früher eine Zahnspange getragen haben. Auch ist er der erste, der aufspringt, sobald „Frau Dübecker" den Raum verlässt, um etwas zu erledigen. Er steht auf, malt etwas sinnloses an die Tafel, dass trotzdem jeden zum Schmunzeln bringt. Meist ist es eine Zeichnung von Ben, die nicht sehr vorteilhaft ist. Ben springt dann auch auf, schreit „Du bist tot, Ratte!", mit einem breiten Lächeln und Collin und er jagen sich durch die Klasse. Collin ist relativ klein für sein Alter. Er ist nicht der Kleinste, doch gut ein paar Zentimeter kleiner, als ich es bin. Steht er neben Ben, ist es, als würden Dick und Doof nebeneinander stehen.

Bloß, dass das Dicke bei Ben Muskeln sind.

Heute ist Collin auf den Stuhl gestiegen, um Ben zu überragen.

„Na, jetzt, wo ich größer bin, als du, hast du da immer noch das Gefühl, stärker zu sein, als ich?", hatte er mit schelmischen Grinsen gefragt und die Arme verschränkt.

„Ich müsste nur pusten und du würdest den ganzen Weg nach München fliegen.", hatte Ben erwidert und ihn vom Stuhl geschubst. Gerade rechtzeitig, denn in der nächsten Sekunde kam Frau Dübecker zurück.

Selbst nach dem Unterricht nutze ich jede Möglichkeit, mir Collin anzusehen. Joyce schwört mittlerweile, dass ich mich jede Pause näher an den Sportplatz setze. Einen Fakt, den ich verneine. Als ich ihr dann von meinen Beobachtungen erzählt hatte, rollte sie mit den Augen.

„Das heißt, du starrst meinen Bruder die ganze Zeit an und schreibst dann rasenterweise alles, was du erkennst, in dein Notizbuch?", fragte sie, „Ich glaube, das ist Stalking."

bruyamment//lautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt