Kapitel 6
Nachdem ich wieder aufrecht gehen konnte, ohne dass die Erde sich mit Lichtgeschwindigkeit um mich herumdrehte (also sprich 10 Minuten nach Stundenende), ging ich nach Hause. Während ich im Bus saß, fuhr meine Hand andauernd durch meine Haare, ähnlich wie Collin es getan hatte, und suchte nach der Stelle, an der er mich getroffen hatte. Ich zuckte jedes Mal zusammen und nahm meine Hand aus den Haaren. Dann, einige Sekunden später, suchte ich die Beule erneut.
Ja, Collin war ein Arschloch und ich konnte ihn definitiv immer noch nicht leiden, aber trotzdem; es war wirklich nett von ihm, bei mir zu bleiben. Er hätte auch einfach, wie ich es erwartet habe, den Ball holen können, ein kurzes „Sorry" murmeln und wieder zu seinen Freunden gehen können. Aber er tat es nicht. Und das rechnete ich ihm hoch an.
Zu Hause angekommen, legte ich mich mit meinem Rücken auf die Couch. Am vorigen Abend hatte mein Vater mir mit freudig glitzernden Augen „Alexa" vorgestellt. Ein schwarzer Zylinder, der mit einem redete, wenn man seinen Namen sagte. Das „okay, Google" in Zylinderform! Aber, ich musste zugeben, es machte Spaß.
„Alexa.", sagte ich also und verschränkte die Arme hinter meinem Nacken, „Spiele „Queen" auf Spotify."
Ich summte zufrieden und schloss meine Augen, als Bohemian Rhapsody erklang.
Is this the real life, is this just fantasy
Caught in a landside, no escape from reality
Open your eyes, look up to the skies and seeIch erinnerte mich, wie ich das Lied lautstark durch das Haus hörte, als ich dreizehn war. Die ersten Male hatte Maman es noch toleriert, doch irgendwann rief sie:
„Oh merde, pas ça! Joue une autre chanson, s'il te plaît!"
Mein pubertäres ich hatte immer theatralisch laut auf geseufzt und dann das Lied beendet und das Radio eingeschaltet. Und immer, wenn es im Radio spielte, drehte ich auf. Und wenn Maman mir einen genervten Blick zuwarf, rief ich:
„Cela compte pas! C'est la radio! Je peux pas changer la chanson!", und fühlte mich stolz, da ich sie besiegt hatte.
Mama, just killed a man
Put a gun against his head
Pulled my trigger, now he's deadDann kamen mir die Worte meines Vaters wieder in den Sinn: „Bis heute ist sie die schönste Frau, die ich je gesehen habe."
Schön, ja. Maman war schon immer eine hübsche Frau. Meine Eltern waren sehr jung, als sie mich bekommen haben. Ich habe es immer als Vorteil gesehen, eine so junge Mutter zu haben. Das bedeutete, dass sie vielleicht meine Interessen verstehen könnte. Doch Maman und ich sind aus zwei verschiedenen Welten. Sie war schon immer selbstbewusst und beliebt, überall, wo sie war, fand sie Freunde. Jeder mochte Maman. Doch Maman mochte niemanden wirklich. Sie hatte schon immer eine sehr kritische Einstellung gegenüber Mitmenschen, doch das würde sie vor anderen nie zugeben. Die einzige Person, an die ich mich erinnern kann, die sie wirklich jemals mochte, war mein Vater.
Dann kam die Scheidung.
Ironisch.
Too late, my time has come
Sends shivers down my spine
Body's aching all the time„Ich sollte ihr wahrscheinlich schreiben.", dachte ich und sah auf mein Handy, das ich auf den Couchtisch gelegt hatte. Oder ich könnte anrufen. Es würde sie glücklicher machen.
„Alexa, Pause.", sagte ich deutlich, und das Lied pausierte. Ich nahm mein Handy vom Tisch und all meinen Mut zusammen, und rief meine Mutter an.
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bruyamment//laut
Romance"So kam es letztendlich dazu, dass ich an der Gepäckausgabe am Hamburger Flughafen stand, geduldig auf meinen Koffer wartend, anders, als die blonde Frau mittleren Alters neben mir, die anscheinend einen dringenden Termin, ADHS oder beides hatte. Je...