Kapitel 11

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Kapitel 11

Vielleicht war es der Schlafmangel, vielleicht war es aber auch Gott, der mir einfach einen Gefallen tun wollte, aber als ich am morgen das Haus verließ, war ich recht gut drauf. Ja, gestern war nicht unbedingt einer meiner besten Tage, aber selbst der schlimmste Tag der Welt hält bloß 24 Stunden an, nicht wahr? Und dann kann man neu beginnen. Und den Neubeginn nahm ich an diesem wunderschönen Donnerstagmorgen sehr ernst.

Ich ließ mir ein bisschen Zeit auf meinem Schulweg, um die Umgebung zu betrachten. Der Sommer schien lang vorbei; es war kalt und gräulich draußen. Habe ich erwähnt, dass der Winter meine liebste Jahreszeit ist? Er ist so magisch und es ist eiskalt, was bedeutet, dass ich eine Entschuldigung habe, mich den ganzen Tag nicht zu bewegen. Wie praktisch ist das bitte?

Obwohl ich meine erste Stunde heute mit Collin verbrachte, hatte ich die perfekte Ausrede, um ihn zu ignorieren; ich war „heiser". Es war perfekt. Ich musste Collin nicht verletzen, aber gleichzeitig konnte ich auch meinen Plan verfolgen. Zufrieden setzte ich mich auf meinen Platz und einige Minuten später war Collin auch schon da und setzte sich auf seinen Platz. Ben war noch nicht da.

„Ben ist krank.", seufzte Collin theatralisch und rutschte zu mir, „Schätze, ich muss dich heute vom Unterricht abhalten." er grinste mich an.

Mein Herz machte einen Hüpfer nach dem nächsten, doch ich lies mich nicht beirren. Stattdessen nahm ich ein Blatt heraus und schrieb mit schwarzen Stift:

„Sorry. Stimme verloren!"

Collin las und wurde besorgt.

„Oh nein.", meinte er und legte eine Hand an mein Gesicht, „Du bist ganz warm."

Ich räusperte mich. Das lief nicht gut. Wieder nahm ich den Zettel zur Hand.

„Wollte den Schultag nicht verpassen. Habe aber kein Fieber."

„Gott sei dank.", murmelte Collin und strich mir kurz durch die Haare, bevor er seine Hand sinken lies. Ein Teil von mir wünschte sich, seine Hand wäre liegen geblieben. Ich schob diesen Teil weit nach hinten.

„Was mir immer hilft, ist heiße Milch mit Honig.", sagte er, „Trink einfach Liter davon und zack, es geht dir besser!"

Ich erlaubte mir ein Lächeln.

„Mach ich!", schrieb ich auf das Blatt, bevor „Frau Dübecker" den Raum betrat und um Stille bat. Collin zwinkerte mir zu, bevor er sich nach vorne drehte.

Mein Plan mit der Heiserkeit hat also nur halbwegs gut funktioniert. Collin sprach mich zwar die ganze Stunde nicht an, dafür tat er etwas schlimmeres. Er warf mir ab und zu Blicke zu, als würde er checken, dass es mir gut geht, und er versuchte, mit Zetteln zu kommunizieren.

Kommunikation per Zettel ist eine persönliche Nemesis. Denn, wenn man verbal miteinander spricht, kann man immer noch so tun, als ob man den anderen nicht versteht. Mit Zetteln war das anders. Es gab keinen Ausweg.

„Du siehst blass aus. Sicher, dass alles gut ist?", schrieb Collin nach zwanzig Minuten Unterricht. Innerlich schrie ich auf. Es war ein Segen und ein Fluch, dass meine Nervosität mir anscheinend Symptome gaben, die einer Erkältung gleichen könnten.

„Alles bestens.", schrieb ich zurück. Er runzelte die Stirn, machte aber nichts. Zehn Minuten später, noch ein Zettel.

„Ich frage mich, warum ich Französisch behalten habe.", stand darauf. Ich grunzte. Dasselbe frage ich mich auch. Kurz darauf folgte noch einer.

„Wenigstens hab ich dich kennengelernt :)" Ich schrieb einen Smiley zurück. Mein Optimismus von heute morgen war wie weggefegt.

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bruyamment//lautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt